Nordkoreas Armeechef entlassen

Kim Jong-un und ein nordkoreanischer General applaudieren vor einem Hintergrund aus roten Blumen.
Jungdiktator Kim Jong-Un schickt den höchsten Militär in Zwangspension. Die heimliche Atommacht wird umgekrempelt.

Er gehörte zum innersten Führungszirkel des streng abgeschotteten Nordkorea, war Generalstabschef der Armee, Vizevorsitzender der Militärkommission der allmächtigen Kommunistischen Arbeiterpartei und saß im Präsidium des Politbüros – buchstäblich über Nacht hat Vize-Marschall Ri Yong-Ho jetzt aber all seine Posten verloren. Die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA sprach am Montag in einer dürren Meldung von gesundheitlichen Gründen. Die Entscheidung sei im Politbüro gefallen.

In einem völlig intransparenten und geheimnisumwitterten Land wie Nordkorea, das noch dazu eine in­offizielle Atommacht ist, kommt ein solcher Personalwechsel einem Erdbeben gleich. Wie einst die Kremlastrologen bemühen sich Experten in aller Welt, vor allem aber in Südkorea, um eine Interpretation dieser "ä­ußerst ungewöhnlichen" Ereignisse. Sie vermuten einen Machtkampf in der obersten Führung. Möglicherweise sei Ri Yong-Ho in Ungnade gefallen, weil er dem neuen Staatschef Kim Jong-Un zu mächtig geworden sei. Aus Krankheitsgründen werde in Nordkorea jedenfalls kein Spitzenfunktionär entlassen.

Ri Yong-Ho war ein enger Vertrauter des früheren Machthabers Kim Jong-Il. Als dieser im Dezember starb, zählte der Armeechef zu den acht Männern, die seinen Sarg begleiten durften. Der 69-Jährige gehörte auch zur Gruppe der "Hüter", die den nicht einmal 30-jährigen Jungdiktator Kim Jong-Un bei der Festigung seiner Macht helfen sollten. Bei allen wichtigen Auftritten war er an dessen Seite zu sehen. Jetzt hat Ri Yong-Ho seine Schuldigkeit offenkundig getan – und musste gehen.

Nordkorea-Auguren erwarten, dass Kim Jong-Un jetzt einen jüngeren und leichter zu führenden Offizier als Nachfolger bestellen wird. Vermutlich gehe es ihm darum, die Kontrolle der Partei über die riesige Armee zu stärken.

"Die Armee zuerst"

Mit etwa 1,2 Millionen Mann unter Waffen gehört die nordkoreanische Armee zu den größten der Welt. Seit den 1990er-Jahren ist ihr Einfluss enorm gestiegen. Damals wurde den Militärs im Rahmen der sogenannten Songun-Doktrin ("Die Armee zuerst") eine Sonderstellung eingeräumt. Diese Doktrin war verantwortlich dafür, dass trotz der elenden Versorgungslage der Bevölkerung und Hungersnöten stets Unsummen in die Verteidigung gepumpt wurden – und das w­iderspruchslos.

Schon Kim Jong-Il hatte zuletzt begonnen, die Begehrlichkeiten der Offiziere zurückzustutzen. Diesen Kurs scheint Kim Jong-Un fortzusetzen. Möglicherweise will er die Mittel jetzt anders einsetzen. In den ersten sieben Monaten seiner Herrschaft hat er jedenfalls bereits verschiedene Signale für einen leichten Kurswechsel ausgesandt.

Eine junge Frau als Zeichen eines zarten Wandels

Nordkorea ist eines der isoliertesten Länder der Welt: Was nicht h­inausdringen soll, bleibt innerhalb der Landesgrenzen. Kein Wunder also, dass jeder noch so kleine Anhaltspunkt eines Wandels registriert wird. Die New York Times e­twa will Anzeichen einer Öffnung des kommunistischen Staats anhand der Saumlänge der Nordkoreanerinnen ablesen können: Allein die Tatsche, dass Frauen in Pjöngjang nun kurze Röcke trügen, sei ein Signal für die nicht mehr ganz so strenge Ablehnung der westlichen Kultur seit der Amtsübernahme Kim Jong-Uns.

Ebensolche kurzen Röcke trugen sogar Musikerinnen, die kürzlich für den jungen Machthaber aufspielten. Bei diesem Musical-ähnlichen Konzertspektakel Anfang Juli gab auch der Auftritt von Disney-Figuren Anlass für Interpretationen: Die Comicmäuse Mickey und Minnie aus den verhassten, imperialistischen USA waren Ehrengäste auf der Bühne (was den Disney-Konzern verärgerte). Und Kim, gar nicht empört über Röcke und Popkultur-Ikonen, applaudierte und zeigte mit dem Daumen nach oben. Doch darauf achtete kaum jemand. Weit größeres Interesse zog die mysteriöse junge Frau auf sich, die sehr vertraut neben dem Staatschef saß. Seither spekuliert die Weltpresse, ob es sich um die neue First Lady handelt.

Manche Medienberichte weisen sie als Sängerin aus; manche glauben, in der selbstbewussten, modisch gekleideten Dame Kims Schwester zu erkennen. Es könnte aber auch seine Geliebte sein. Sicher scheint eines: Allein durch das wiederholte Auftauchen einer Frau an der Seite Kims, die neben und nicht hinter ihm steht, wird ein Stilbruch sichtbar: Weder Vater Kim Jong-Il noch Großvater und Staatsgründer Kim Il-Sung ließen je Bilder ihrer Frauen veröffentlichen.

Glasnost

Sind dies zarte Anzeichen einer Öffnung oder nur eine Kampagne? Kim, dessen genaues Alter geheim ist, gibt sich bürgernah und weich. Der Diktatorensohn wurde in der Schweiz unterrichtet, reist viel und redet öffentlich – ganz anders als seine dynastischen Vorgänger. Wenn er auf neue Menschen trifft, umarmt er sie. Und er macht kein Hehl daraus, dass auch er gerne Burger isst.

Manche glauben in den ungewohnten Gesten bereits eine Glasnost Nordkoreas zu sehen: Nicht nur der allmähliche Generationenwechsel in der KP werde eine Öffnung herbeiführen, auch der Konsum. Handys, ausländische Filme und sogar Luxusautos seien im Umlauf – freilich nur für die mittlere und obere Funktionärskaste. Doch angesichts des Atomprogramms und der restriktiven Informationspolitik bleibt das für skeptische Beobachter reines Wunschdenken.

Kommentare