Nicaragua: Comandante lässt sich wählen
Nur das Beste für die Ärmsten - die besten Wellblechdächer für das Volk, gute Straßen in die Berge und gute Schulen", zieht der lokale Abgesandte von Präsident
Daniel Ortega stellvertretend für den Chef eine Erfolgsbilanz. Die Stimmung ist ausgelassen. Buben sorgen mit Trommelwirbel dafür, dass selbst entfernte Nachbarn zur Wahlveranstaltung gelockt werden.
Ein Pferdewagen wurde mit roten und schwarzen Ballons behängt. Es sind die Farben der Ortega-Partei FSLN, der Sandinistischen Befreiungsfront, die den Bauern einst Freiheit und ein besseres Leben versprochen hat. Schulen und Gesundheitsstationen gibt es. Und sie sind tatsächlich leistbar für Eltern, die ihre Kinder nicht zur Kaffeebohnen-Ernte mitnehmen oder das Feld mitbestellen lassen.
"Christlich, sozial und solidarisch" - mit dieser Aura umgibt sich Ortega, darunter ist allerdings auch viel Luft: Fast die Hälfte der Nicaraguaner muss 20 Jahre nach Revolution und Krieg mit weniger als 1,50 Dollar pro Tag auskommen. Trotzdem hat er die größte Chance, heute wieder gewählt zu werden. "Obwohl die Verfassung eine zweite Amtszeit verbietet", so der Jurist Antonio Moreno zum KURIER. "Wozu sind so viele gestorben, wenn jetzt die ganze Macht wieder an einer Person hängt?"
Diktatur Um seine Familiendiktatur zu festigen, hat Ortega das Oberste Gericht, die Wahlkommission, aber auch die Medien unter seine Kontrolle gebracht. Sich und den Seinen hat er Wohlstand zugeschanzt. Ortegas Revolutions-Gefährte
Ernesto Cardenal spricht auch deshalb von einer "verlorenen
Revolution". Es gehe nicht ums Volk, sondern um die eigenen Taschen. Eine lokale Zeitung nannte Ortega gar einen Klon der Somoza-Diktatur.
Der Sohn eines Schusters, der ab 1967 zur Führungsriege der FSLN gehörte und unter Somoza sieben Jahre im Gefängnis saß, muss sich auch als Mensch kritisieren lassen. Seine Stieftochter hat ihn angeklagt, sie als Kind jahrelang sexuell missbraucht zu haben. Die Gerichte ließen den Fall verjähren. Ortegas Frau
Rosario Murillo - die Mutter des Opfers - wehrte alle Vorwürfe ab. Ortega, der sich als Christ präsentiert, weiß ihre Loyalität zu schätzen. Murillo ist Sprachrohr und heute seine wichtigste Polit-Beraterin.
20 Jahre Kriegsende: Armut und grassierende Korruption
Mit der Flucht der Familie Somoza nach Florida wurde 1979 der Sieg der sandinistischen Befreiungsbewegung besiegelt. Über Jahrzehnte hinweg hatte der Clan eines der größten Wirtschaftsimperien Lateinamerikas geschaffen und die Bewohner ausgebeutet. Oppositionelle und Kleinbauern wurden drangsaliert. Die linken Companeros hefteten sich daher im Geiste des ersten lateinamerikanischen Guerillaführers und Revolutionärs Augusto Cesar Sandino (1885-1934) den Kampf für Gerechtigkeit an die Fahne. Sie setzten nach der Machtübernahme ein Bildungs- und Gesundheitsprogramm um. Unterstützung kam aus kommunistischen Staaten, aber auch aus dem Westen - von Brigadisten, die unterrichten und die Felder bewirtschaften.
Der Dichter und Priester Ernesto Cardenal wurde zum Kulturminister ernannt, das Land zum Hoffnungsmodell für linke Sympathisanten auf der ganzen Welt. Ab 1982 geriet die Lage außer Kontrolle. Im Bürgerkrieg zwischen anti-sandinistischen Contra-Rebellen, die von den USA finanziert wurden, und der "Sandinistischen Volksarmee" wurden bis zum Ende der Revolution 1990 mehr als 70.000 Menschen getötet.
Bei der darauf folgenden
Präsidentenwahl siegte das Bündnis "Union Nacional Opositora" unter Führung von Violeta Chamorro. Nicht zuletzt, weil sich die sandinistische Führung schamlos zu bereichern begann. Chamorro machte den Bruder des abgewählten Präsidenten Daniel Ortega zum Obersten Befehlshaber der Armee und band damit die Sandinisten geschickt ein. Die folgenden Jahre waren von einer liberalen Wirtschaftspolitik geprägt, die auch Chamorros Nachfolger durchsetzen. 2006 schaffte Ortega sein Comeback. Doch vom revolutionären Geist ist zur Enttäuschung früherer Weggefährten Ortegas nichts geblieben. Stattdessen grassiert
Korruption. Staatliche Institutionen sind marode, das Land zählt zu den ärmsten der Welt.
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