NATO: Größter Feind sind die leeren Kassen

Chicago erlebt einen heißen Sonntag. Die Heimatstadt von Präsident Barack Obama ist im Belagerungszustand: Helikopter kreisen über der Handelsmetropole, Scharfschützen sind auf den Dächern der Wolkenkratzer stationiert, 3000 Polizisten kontrollieren Plätze und Gebäude. Dort, wo am Wochenende gerne Jogger und Familien mit ihren Kindern unterwegs sind, findet der NATO-Gipfel statt. Das Mc Cormick-Konferenzzentrum direkt am Michigan See, ist der Ort, wo sich mehr als 60 Staats- und Regierungschefs mit ihren Außen- und Verteidigungsministern treffen. Aus Österreich nehmen Bundeskanzler Werner Faymann, Verteidigungsminister Norbert Darabos und Staatssekretär Wolfgang Waldner teil.
Chicago wurde ausgewählt, um den größten NATO-Gipfel seit Gründung des Militärbündnisses im Jahr 1949 auszurichten. Ein Volksfest wird es nicht, die Angst vor Terrorattacken und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften ist groß. Seit Tagen strömen Pazifisten, Mitglieder vom Umweltschutzorganisationen ebenso wie Globalisierungsgegner in die Stadt.
Abzug aus Afghanistan
Ob das NATO-Treffen die Harmonieveranstaltung wird, die Obama gerne hätte, ist offen: Das Bündnis kämpft an vielen Fronten, nicht nur militärischen, auch politisch und finanziell gerät die NATO in die Defensive. Denn die Krise zwingt auch die USA zu Sparen – und das auch am Verteidigungssektor. Für die NATO wird dies gravierende Folgen haben: Die USA können sich das übliche Engagement in Europa nicht mehr leisten.
In Afghanistan hat die NATO nach mehr als zehn Jahren Militäreinsatz noch eine Herkulesaufgabe zu erledigen: Den Abzug. Den würden einige Mitgliedsländer inzwischen gerne beschleunigen. Frankreichs neue Regierung will ihre 3400 Soldaten schon bis Ende 2012 daheim haben. Deutschland will 2013 den Schlussstrich ziehen, ebenso die USA.
Doch klar ist: Afghanistans Armee und Polizei werden noch lange Rückendeckung brauchen, um in dem von Jahrzehnten des Krieges zerstörten Land nicht einfach aufgerieben zu werden. Etwa 15.000 Mann, so schätzen die NATO-Experten, werden weiter stationiert bleiben. Die Hauptlast werden wohl die USA tragen, doch auch deutsche Truppen bleiben voraussichtlich am Hindukusch. Doch es geht auch um Geld. Zumindest die Zusage für mehrere Milliarden Euro wollen die NATO-Länder auf dem Gipfel geben, etwa für Ausbildung und Bewaffnung von Armee und Polizei. Auch Österreich wird sich von 2014 bis 2016 mit insgesamt 18 Millionen Euro beteiligen. Viel Geld in Zeiten knapper Verteidigungsbudgets.
Faymann: "Wir lassen uns nicht länger bremsen"

Chicago, Wien, Brüssel – das sind die Stationen von Bundeskanzler Werner Faymann in den nächsten Tagen. Nach dem NATO-Gipfel folgt das EU-Krisentreffen der Staats- und Regierungschef in Brüssel. Dort will Faymann Tempo für die Finanztransaktionssteuer machen. Da es Bremser gibt, fordert er eine "Koalition der Willigen" bei der Einführung der neuen Steuer.
KURIER: Herr Bundeskanzler, warum nehmen Sie als Regierungschef eines neutralen Landes am NATO-Gipfel teil?
Werner Faymann: Es ist der ausdrückliche Wunsch von Präsident Obama, dass die NATO-Partnerländer hochrangig vertreten sind (Österreich ist seit 1995 Mitglied des NATO-Programms "Partnership for Peace") . Österreich spielt mit seiner aktiven Neutralität eine wichtige Rolle bei der Friedenserhaltung auf dem Balkan und am Golan. Unsere Leistungen sind anerkannt.
Ist der NATO-Beitritt keine Option für Sie?
Es gibt keine Richtungsänderung, sie wird auch nicht verlangt. Neutralität heißt nicht: Sich raushalten und wegschauen, wenn es gilt, solidarisch zu sein und Menschen in Krisenregionen zu helfen. Wir sind gefragt, weil wir nicht als parteiisch gelten. Derzeit sind 1500 Bundesheer-Soldaten im Friedenseinsatz, so viele wie noch nie zuvor.
Sie machen jetzt mehr Außenpolitik. Wird der Bundeskanzler zum Weltbürger?
Die Krise hat gezeigt, wie eng wir auf europäischer Ebene und international verwoben und voneinander abhängig sind. Damit unterscheide ich mich von Leuten, die "Raus aus der EU" schreien. Wer heute denkt, etwas ohne europäische Partner machen zu können, führt Österreich in die Isolation.
Wird es die Finanztransaktionssteuer als Mittel gegen die Krise noch geben?
Ich arbeite offensiv daran. Großbritannien, Schweden und Tschechien sind strikt dagegen. Wir lassen uns aber nicht länger bremsen. Wenn einige Staaten nicht mitziehen, sollte eine "Koalition der Willigen" voranschreiten und die Finanztransaktionssteuer einführen. Das werde ich auch mit François Hollande besprechen.
Sie treffen den französischen Staatspräsidenten Hollande in Chicago: Was erwarten Sie sich davon?
Hollande setzt auf Gerechtigkeit, damit sind wir auf einer Linie. Gerechtigkeit heißt auch jene in die Pflicht zu nehmen, die für die Krise mitverantwortlich sind. Der Finanzsektor muss einen Beitrag leisten. Wenn die Finanztransaktionssteuer nicht in der EU oder der Eurozone eingeführt werden kann, sollten einige Länder im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit die Finanztransaktionssteuer einführen (laut EU-Vertrag braucht es dafür mindestens neun Staaten) . Außerdem werden wir gemeinsame Strategien für Wachstum und Beschäftigung beraten.
Soll der Fiskalpakt neu verhandelt werden?
Europas Wirtschaftspolitik muss auf zwei Säulen stehen: auf verlässlicher Budgetdisziplin und auf intelligenten Investitionen. Ohne Haushaltsdisziplin haben wir keinen Spielraum für Investitionen. Haushaltsdisziplin bedeutet auch neue Einnahmen wie die Finanztransaktionssteuer. In Brüssel müssen wir einen Wachstums-Pakt für Europa beschließen. "Projekt-Bonds" ebenso wie eine bessere Kapitalausstattung der Europäischen Investitionsbank. Am Ende könnten Euro-Bonds stehen, mit deren Hilfe könnten wir in der EU mehr in Bildung, Jobs und Infrastruktur investieren.
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Hintergrund
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