Missbrauch: So betrügen Ärzte und Patienten
Der Fall von Primarius Manutschehr Parsian aus Wien-Mariahilf, der die Karlsplatz-Szene mit Drogen beliefert haben soll und dessen Praxis geschlossen wurde, sorgte für Schlagzeilen. So eklatant der Fall auch ist, Einzelfall ist er keiner. Alleine in Wien verursachten betrügerische Ärzte und Patienten der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) im Vorjahr einen Schaden von mehr als 680.000 Euro.
"Wenn manche unserer Vertragsärzte mehr als das Doppelte abrechnen, ist das ja noch gar nicht ungewöhnlich. Aber wir haben Fälle, wo bis zu 300.000 Euro zu viel abgerechnet wurden", sagt Franz Schenkermayr. Zusammen mit drei Kollegen spürte der WGKK-Mitarbeiter seit 2009 die schwarzen Schafe in den weißen Kitteln auf. "Ein Fulltime-Job. Wir haben immer etwas in der Pipeline", sagt Schenkermayr.
Missbrauchs-Entdeckung-Prävention (MEP) heißt die Abteilung, der Schenkermayr vorsteht. Alleine im Vorjahr überprüfte die MEP rund 1500 mögliche Betrugsfälle. 948-mal hat sich der Verdacht von Tricksereien bei Ärzten und Patienten bewahrheitet.
Irrtümer

"Oft handelt es sich nicht um bewussten Missbrauch. Es kann schon passieren, dass Ärzte irrtümlich falsch abrechnen oder Patienten, speziell wenn sie nicht gut Deutsch können, Änderungen nicht melden", betont Schenkermayr.
Sollte die Überprüfung einen bewussten Missbrauch ergeben, leitet die WGKK neben dem Kündigungsverfahren auch ein Verfahren vor der Ärztekammer ein. Bei drastischem Missbrauch wird die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. "Derzeit laufen vier Kündigungsverfahren. Der Spitzenreiter, ein Wiener Facharzt, hat einen Schaden von 340.000 Euro verursacht", so Schenkermayr.
Kleinkriminalität

Doch nicht nur betrügerische Ärzte, auch die Tricksereien der Patienten sind im Visier der MEP-Fahnder. 427 Missbrauchsfälle entdeckte die WGKK 2011. Hauptsächlich sind es kleinkriminelle Aktivitäten rund um Suchtmittel: "Ein Patient hat alleine in einem Quartal 72 Ärzte aufgesucht, um an Suchtmittel zu kommen", so Schenkermayr.
Besonderes Augenmerk richtet die MEP auf ungerechtfertigte Krankenstände. Eine enge Kooperation mit dem AMS führte 2011 zu einem drastischen Anstieg der Aufgriffe. Die erwischten Patienten müssen bei künftigen Krankmeldungen bei der Zentrale am Wienerberg vorsprechen.
Dem Betrug durch eCards misst die WGKK hingegen keine große Bedeutung bei: „Meist werden die Betrüger durch eigene Dummheit erwischt. Wenn der Versicherte und der Entlehner der Karte zum selben Arzt gehen, fällt das eben meistens auf." Die eCard mit einem Foto zu versehen, plant die WGKK nicht: „Unsere Vertragsärzte dürfen ohnehin den Ausweis verlangen. Wer das nicht macht, wird auch die eCard nicht so genau ansehen", vermutet Schenkermayr.
Ersatzdrogen: Reger Handel, wenig Handhabe
Heroin, Methadonprogramm und dann stärkere Ersatzdrogen wie Somnubene – so verlief bisher die "klassische" Karriere eines Drogensüchtigen. Doch eine Gesetzeslücke macht es möglich, dass immer jüngere Menschen direkt zu starken Tabletten kommen. Polizei und Krankenkasse geben zu, dass sie diesem Treiben zusehen müssen. "Heute bekommen Jugendliche Somnubene und Substitol verschrieben, ohne je im Methadonprogramm gewesen zu sein", so ein Kriminalist. Die Medikamente sollen Süchtige heilen. Immer häufiger führen sie aber zum Einstieg in die Sucht. Die Tabletten werden zerkleinert und gespritzt wie Heroin, nur billiger.
Neben den Ex-Primar gibt es einen zweiten aktuellen Fall, wo ein Arzt Süchtige versorgt haben soll. In diesem Fall geht es um Privatrezepte, die in einem Hinterzimmer ausgestellt wurden. Diese kosteten zehn Euro, die Süchtigen zahlten in der Apotheke noch fünf Euro für den Drogenersatzstoff. Ein schwunghafter Handel war die Folge.
Die Erhebungen in diesem Fall gestalteten sich schwierig. "Denn Apotheken müssen Privatrezepte nur zwei Wochen aufbewahren, ein Nachweis ist kaum möglich", sagt ein Insider. „Das macht nicht ein Arzt, sondern da gibt es viele", sagt Franz Schenkermayr von der Gebietskrankenkasse. "Aber Privatrezepte sind kein Thema der Krankenkasse."
Der erwischte Arzt, der seit mehr als 20 Jahren ordiniert und kaum Deutsch spricht, darf weiterarbeiten. Das gilt auch für einen anderen ertappten Arzt, der unter Parkinson leidet. Er ließ die Süchtigen die Rezepte ausfüllen – er unterschrieb nur.
Die Krankenkassa fordert daher die eMedikation. Dabei könne gespeichert werden, wer wie viele Medikamente bekommt. Im einem Fall hatte es ein Süchtiger geschafft, innerhalb eines Quartals Rezepte von 72 Ärzten zu bekommen. Das fiel nur durch einen Zufall auf.
„Reine Medikamentenausgabe ist keine Therapie", mahnt Prof. Michael Musalek vom Anton-Proksch-Institut. Doch darauf läuft es immer häufiger hinaus, wie der Fall rund um den 20-jährigen Tim V. zeigt. Ihm wurde leichtfertig Methadon verschrieben, Stunden später war er tot.
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