Merkel: "Eine Schande für Deutschland"

Eine Schande für Deutschland", nannte am Montag Bundeskanzlerin
Angela Merkel die Neonazi-Mörderbande und die Tatsache, dass diese 13 Jahre lang unentdeckt geblieben ist. Nicht nur die Politik ist bestürzt über die größte politische Mordserie seit dem linksextremistischen RAF-Terror. Auch die großen Zeitungen zeigen sich geschockt und fragen, wer die Verantwortung dafür trägt. Linke wie konservative Blätter befürchten, dass dahinter mehr als Schlamperei und Behördenunfähigkeit stecken könnte.
Was die Öffentlichkeit nicht verstehen kann, ist nicht nur die Monstrosität der Taten, sondern auch, warum keine Behörde die Täter verdächtigte und diese zehn Jahre unbehelligt im Untergrund leben konnten. Alle vier bisher bekannten Mitglieder der Bande waren Ende der Neunzigerjahre mehrfach den Behörden bei Neonazi-Demonstrationen aufgefallen. Noch im Jahr 2000 gab es eine Hausdurchsuchung bei einem der beiden Haupttäter, bei der belastendes Propaganda-Material und Spuren von Gewaltbereitschaft gefunden wurde. Trotzdem wurde er nicht verhaftet und konnte wie die anderen beiden Bandenmitglieder untertauchen. Nur der vierte, zuletzt verhaftete Holger G., war in Niedersachsen wohnhaft und den Behörden als Neonazi bekannt.
Informanten

Noch mehr verstört, dass zumindest einer der Täter in den 1990er-Jahren nachweislich vom Verfassungsschutz Thüringen als Informant aus der dort hochaktiven Neonazi-Szene geführt wurde. Nicht nur der CDU-Innenminister von Thüringen hat keine Erkenntnisse, ob und wie er unter dem damaligen SPD-Vorgänger "abgeschaltet" wurde. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der als erster von "Rechtsterrorismus" sprach, versicherte, dass der
Neonazi jedenfalls nicht vom Bundesverfassungsschutz geführt worden sei.
In der Bundesregierung setzt sich deshalb offenbar gerade die Erkenntnis durch, dass die Organisationsform des Verfassungschutzes dringend überdacht werden muss. Der Geheimdienst ist in 16 Landesbehörden und eine Bundesbehörde aufgeteilt, die offenbar nicht miteinander kooperieren. Jeder Dienst agiert eigenständig. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger forderte am Montag eine entsprechende Initiative zur Umstrukturierung.
Noch weiter ging der Vorsitzende des Bundestags-Geheimdienstausschusses Thomas Oppermann, der Geschäftsführer der SPD-Fraktion: Er deutete die Befürchtung an, dass Teile des Verfassungsschutzes eigenmächtig gehandelt haben und Mitwisser der Taten sein könnten. Sein Verdacht stützt sich auf die in der Zwickauer Wohnung der Bande gefundenen Dokumente. Laut Bild-Zeitung sollen sich darunter "legale illegale" Ausweise befinden. Darunter verstehen die deutschen Sicherheitsbehörden von ihnen ausgestellte Dokumente zur Tarnung der Spitzel im Extremisten- oder Kriminellen-Milieu.
NPD-Verbot?
Der
Verfassungsschutz überwacht seit Jahrzehnten die Neonazi-Szene fast nur mit Spitzeln, weil er anders keinen Zugang findet. Deren Auftreten und Einfluss in der Führung der NPD war 2002 auch der Grund dafür gewesen, warum das Verfassungsgericht das von der damaligen rot-grünen Bundesregierung ausgesprochene NPD-Verbot wieder aufhob.
Trotzdem fordern jetzt wieder Grüne und die Linke sowie Teile der SPD und der CSU einen neuen Anlauf zum Verbot der Neonazi-Partei. Nach Ansicht des Rechtsextremismus-Experten Hajo Funke ist die Gewaltbereitschaft neonazistischer Gruppen in
Deutschland zuletzt stark unterschätzt worden.
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