Mehr Mitbestimmung: Bürger an die Macht

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, heißt es im Fußball. Auf die Politik umgemünzt könnte man sagen: Nach dem Sauberkeitspaket ist vor dem Demokratie-Paket – der nächste große Brocken für die Regierung. Denn der Ausbau der direkten Demokratie gilt als weiteres Mittel gegen die Politikverdrossenheit im Lande und soll verhindern, dass Polit-Piraten weiter Aufwind bekommen.
Darüber, dass die Bürger stärker eingebunden werden sollen, herrscht Konsens zwischen allen Parteien. Doch was sich konkret ändern soll, ist offen – etwa was die Aufwertung von Volksbegehren und Volksabstimmungen betrifft.
Ab einer gewissen Zahl von Unterstützern soll ein Volksbegehren künftig automatisch zu einer Volksabstimmung führen. Derzeit kann eine Volksabstimmung, deren Ergebnis binden ist, nicht von der Bevölkerung initiiert werden. Die ÖVP peilt etwa 650.000 Unterschriften als Grenze an, Kanzler Werner Faymann nannte 700.000, die FPÖ 250.000.
Kein Schnellschuss

Während die ÖVP Tempo macht – Verhandlerin Johanna Mikl-Leitner will das Paket bis Jahresende fertig schnüren und führt bereits Gespräche mit den Klubobleuten – warnt die SPÖ vor einem "Pfusch" (Nationalratspräsidentin Prammer). Gewerkschafter Josef Muchitsch meint detto, "ein Schnellschuss, den man danach bereut, wäre sicherlich fatal". Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter sagte zum KURIER: "Nur weil ein Hype um ein Thema besteht, kann man es nicht in wenigen Monaten durchpeitschen. Da müssen viele Dinge überlegt werden. Ein Gesetzesbeschluss im Frühjahr 2013 wäre schon ein sehr ambitioniertes Ziel." Die SPÖ-Mandatare bremsen, weil "große gesellschafts- und sozialpolitische Fragen tangiert sind", sagt Verfassungssprecher Peter Wittmann.
Ehe der Jurist über die Grenzen für eine Volksabstimmung reden will, möchte er eine Debatte über die Inhalte führen. Also: Worüber sollen die Bürger abstimmen dürfen? Grund- und Freiheitsrechte müssten laut Wittmann ausgenommen werden, ebenso Minderheitenrechte, die Fristenlösung und Rechte für Homosexuelle. Auch die Gehälter würden sich nicht für Plebiszite eignen. Man könne nicht über Lehrer-, ÖBB- oder Manager-Gagen abstimmen lassen. Wittmann: "Ich will nicht, dass man Gruppen gegeneinander ausspielt." Steuerfragen will der Vorsitzende des Verfassungsausschusses (wie Prammer) auch nicht den Bürgern überlassen.
Worüber könnte die Bevölkerung dann überhaupt noch abstimmen? "Alles was nicht genannt wurde", sagt Kräuter. Wittmann nennt als Beispiele "die Wehrpflicht und das Familienrecht" (z. B. das Namensrecht).
Quoren

Soll es für eine Volksabstimmung auch ein Quorum geben? Immerhin ist das Ergebnis umzusetzen. Muchitsch bejaht und meint, man sollte Anleihe beim Nationalrat nehmen. Für den Beschluss einfacher Gesetze muss ein Drittel aller Abgeordneten anwesend sein, bei Verfassungsgesetzen müssen es 50 Prozent sein. Für eine Volksabstimmung über einfache Gesetzesmaterien hieße das: 2,1 Millionen Menschen müssten sich beteiligen (bei 6,3 Millionen Wahlberechtigten). Bei Verfassungsmaterien wären es knapp 3,2 Millionen Bürger.
Parlament: Wie das Volk jetzt mitreden darf
Volksbefragung: Muss im Nationalrat beschlossen werden. Dient dazu die Meinung der Bürger zu Grundsatzfragen einzuholen.
Volksbegehren: Für die Einleitung sind 8000 Unterschriften nötig. Ab 100.000 Unterschriften Behandlung im Parlament.
Volksabstimmung: Zwingend bei einer Gesamtänderung der Verfassung. Auch der Nationalrat kann sie einleiten. Ergebnis ist bindend. Es gab erst zwei Plebiszite: EU-Beitritt, AKW-Zwentendorf.
Direkte Demokratie: Was kommen soll
Volksabstimmungs-Pflicht: Alle Parteien sind grundsätzlich für den Ausbau der Instrumente für mehr direkte Demokratie.
Insbesondere die Volksbegehren sollen aufgewertet werden.
Ab einer bestimmten Zahl an Unterstützern soll ein Volksbegehren automatisch zu einer Volksabstimmung führen. Über die Grenze ( SPÖ nennt 700.000, ÖVP 650.000, FPÖ 250.000) gibt es Dissens, auch worüber abgestimmt werden soll, ist noch nicht klar.
"Gesetze durchzuwinken fördert Politiker-Frust"
Er ist keiner, der zum Abschied leise Servus sagt. Ferry Maier sprach am Dienstag das letzte Mal im Plenum. Der ÖVP-Abgeordnete geht vorzeitig – und im Groll, weil ihm Klubchef Karlheinz Kopf vor vier Wochen eine Parlamentsrede verwehrt hatte.
Maier wollte damals begründen, warum er gegen ein Gesetz stimmt, das die Infrastrukturministerin ermächtigt, bis zu 32,8 Milliarden Euro Schulden machen zu dürfen – für Bahn-Tunnelprojekte. Weil ein Regierungsmandatar die Regierung nicht tadeln darf, musste Maier im Nationalrat schweigen.
Und so sagte er am Dienstag, was er vom Gesetz und dem Weg dorthin hält: Es sei "ohne offene Debatte, ohne Klima der Transparenz" zustande gekommen. Für Maier ein Paradebeispiel dafür, wie man es nicht macht: "Die Art und Weise, wie Gesetze durchgewunken werden, fördern Frust und Politiker-Verdrossenheit."
Er forderte "den Mut und die Zivilcourage" ein, "bei Entscheidungen im Infrastrukturbereich, die Generationen nach uns wesentlich belasten, eine Volksabstimmung anzubieten". Kopf lauschte schmallippig, am Ende gab es Höflichkeitsapplaus.
Immer wieder hatte Maier moniert, freie Abgeordnete müssten abnicken, was die Regierung will. Zu deren Plan, zehn Prozent der Nationalratsabgeordneten einzusparen, hatte Maier dem KURIER gesagt: Sie habe "eine Rechnung gemacht, die sie nichts angeht. Das ist Sache des Parlaments. Sie bringen nichts weiter und versuchen, mit populistischen Vorschlägen davon abzulenken."
Besonders heftig kritisierte Maier Klubobmann Kopf. Dessen Führungsstil qualifizierte er so: "Hände falten, Gosch’n halten! G’rade sitzen, Ohren spitzen". Im Vorjahr war Maier als ÖVP-Verkehrssprecher abgelöst worden – Tirols Landeschef Günther Platter hat missfallen, dass Maier eine abgespeckte Version des Brennerbasistunnels begehrt. Im Parlament war Maier seit 1999: zuerst im Bundesrat, ab 2002 im Nationalrat.
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