Was bewegt die österreichische Seele, Herr Bachmayer?
Seit bald 50 Jahren geht Wolfgang Bachmayer der österreichischen Seele mit seinem Meinungsforschungsinstitut OGM auf den Grund. Mit dem KURIER hat er nun die neue Regional-Umfrage konzipiert. Ein Gespräch über Konstanten der österreichischen Identität – und was sich in all den Jahren verändert hat.
KURIER: Am 26. Oktober 1955 beschloss der Nationalrat die „immerwährende Neutralität“. Sie gilt seitdem als Grundpfeiler der 2. Republik. Hat sich die Einstellung der Österreicherinnen und Österreicher dazu in all den Jahren verändert?
Wolfgang Bachmayer: Nein, die Neutralität gehört wirklich zur DNA Österreichs. Mehr noch: Der Wunsch nach militärischer Neutralität ist stärker denn je.
Und abseits der Neutralität? Auf welche Werte können sich sonst noch alle Österreicher einigen?
Jedenfalls historisch ist hier „Anti-Atomkraft“ zu nennen. Das könnte sich aber, anders als bei der Neutralität, noch ändern. Das ist auch eine Eigenheit der Österreicher im Gegensatz zu allen anderen Ländern in Europa. Ansonsten gibt es wenige Themen, bei denen der gesellschaftliche Konsens so breit ist. „Stolz auf unsere Landschaft und Natur“ wäre hier vielleicht als Identifikationsmerkmal und Wert zu nennen.
Wie sehen die Österreicherinnen und Österreicher derzeit ihr Land – eher mit Stolz oder mit Sorge?
Sicher mit weniger Stolz als noch vor fünf bis zehn Jahren. Damals war sowohl die wirtschaftliche Entwicklung besser, als auch das internationale Ansehen. „Ist Österreich das bessere Deutschland?“, fragte der Spiegel damals. Das ist heute ja undenkbar. Nicht, dass die Menschen die wirtschaftlichen Zusammenhänge immer genau verfolgen. Aber es sickert. Und übrig bleibt das Gefühl: So gut sind wir eben nicht mehr.
Wo sehen Sie die größten gesellschaftlichen Veränderungen?
Die Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortung haben abgenommen, ebenso wie die gesellschaftliche Solidarität und das Miteinander. Immer weniger aktive Menschen erhalten immer mehr Nicht-Aktive. Dagegen steigt die Staatsgläubigkeit an. Erwin Ringel, Psychiater und Verfasser des Werkes zur „österreichischen Seele“, hat neben vielen zutreffenden und manchen umstrittenen Analysen auch den Hang zur Verdrängung als Kernproblem der Österreicher identifiziert. Diese Diagnose gilt damals wie heute, wo viele im Lande die Krise und die kommenden Wohlstandsverluste noch immer nicht wahrhaben wollen.
Wo gibt es positive Veränderungen?
Positiv sehe ich vor allem die Gleichberechtigung und die Gleichstellung der Frauen, das ist mittlerweile in fast allen gesellschaftlichen Gruppen angekommen. Auch die Zivilcourage bei Fehlverhalten anderer ist gestiegen. Früher haben die Nachbarn bei häuslicher Gewalt weggeschaut, heute wird mehr eingegriffen und angezeigt.
Viel ist vom Spalt zwischen Links und Rechts die Rede. Es gibt diesen Spalt auch zwischen Stadt und Land.
Das ist ein Trend, der Österreich spät erreicht hat, seit einigen Jahren aber voll sichtbar ist. Und er wird sich wohl auch noch weiter verstärken. Das hat in hohem Ausmaß auch mit der Zuwanderung zu tun und den damit verbundenen Sichtweisen der Bevölkerung in Bezug auf allgemeine Sicherheit, Bildung. Sehr salopp gesagt: Am Land ist die Welt noch heiler. Dazu kommt: Das Leben am Land ist um einiges billiger. Der Euro, den ich in Wien verdiene, hat in Hollabrunn mehr Kaufkraft. Das mittlere, erwerbsfreudige Milieu geht Wien de facto verloren, zieht ins Umland. Das sieht man auch in einer aktuellen Kaufkraftstudie, in der Niederösterreich der Gewinner der letzten 20 Jahre ist. Wien liegt bei der Pro-Kopf-Kaufkraft inzwischen am letzten Platz.
Wir fragen in unserer Regional-Umfrage ja nicht nur bundespolitische Themen ab, sondern auch ganz konkret die Sorgen vor der Haustür. Welche Themen beschäftigen die Menschen am meisten?
Die großen Themen sind auch im Kleinen die wichtigen: Sicherheit, mit dem Einkommen auskommen, ein leistbares Dach über dem Kopf, Nahversorgung, Gesundheit, ein gesellschaftliches Miteinander. Deshalb ist diese Regional-Umfrage auch so wichtig. Die Menschen sollen sich gehört fühlen.
OGM wurde 1976 von Wolfgang Bachmayer gegründet.
3.765 Umfragen hat das Meinungsforschungsinstitut in den vergangenen 49 Jahren durchgeführt.
Die Ergebnisse der Regional-Umfrage werden hochgerechnet, sodass ein weitgehend repräsentatives Stimmungsbild entsteht.
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