Weitermachen wie bisher ist angezählt

Es gibt eine latente Wendestimmung im Land. Wie sehr sie sichtbar wird, ist die Schlüsselfrage der Wahl

Der ORF suchte das „Kanzler-Duell“ mit allen Mitteln als Höhepunkt des Wahlkampfes zu inszenieren und walzte die fünfzigminütige Debatte zu einer mehr als zweistündigen Polit-Oper aus. Die Quoten waren bei weniger Aufwand berauschender. Der rot-schwarze Schlagabtausch schaffte es nicht einmal unter die Top 10 der fünfzehn TV-Konfrontationen. Die meistgesehenen blieben jene, in denen Faymann und Spindelegger gegen Strache, Glawischnig, Stronach oder selbst gegen einen politisch Totgesagten wie Bucher antraten. Das ist nur ein Indiz mehr für eine latente Gefühlslage, die sich morgen laut Luft verschaffen könnte: Es gibt eine Wende-Stimmung im Lande; aber nicht die, die Rot und Schwarz gerne hätten. Wer im Kanzleramt das Sagen hat, bewegt vor allem deren Funktionäre.

Angezählt ist das politische Erfolgsmodell der letzten Jahrzehnte, die einst Große Koalition. Nach der Ära Schwarz-Blau feierte Rot-Schwarz mit 69 Prozent der Stimmen 2006 noch ein fulminantes Comeback. Innerhalb von nur zwei Jahren verspielten Gusenbauer/Molterer nicht nur die Zweidrittelmehrheit. 2008 schafften Rot und Schwarz gemeinsam gerade noch 55 Prozent.

Das Regierungsduo Faymann/Spindelegger blieb trotz tadellosem Management der Wirtschaftskrise bis zuletzt glanzlos. So unzufrieden waren die Österreicher noch mit keiner Regierung. Dieser Frust könnte uns erstmals sieben gewählte Parteien statt bisher fünf bescheren (Frank Stronach stampfte sein Team als sechste Partei nach der Wahl erst 2012 mit orangen Abtrünnigen aus dem Boden).

Letztes Aufgebot der Loser?

Ziehen morgen, wie in einigen Umfragen prognostiziert, die Neos als siebente Partei ins Hohe Haus ein, steht auch die magische Fünfzig-Prozent-Grenze für Rot-Schwarz auf dem Spiel. Alle an der Vier-Prozent-Hürde scheiternden Kleinparteien könnten zwar die Mandate so billig machen, dass sich auch mit weniger als 50 Prozent weiter wie bisher regieren lässt. Politisch trägt ein solches Bündnis aber das Zeichen „Letztes Aufgebot der Loser“ auf der Stirn. Für einen lebensrettend radikalen Neustart bräuchte es nicht nur neue Gesichter, sondern auch eine Reform­agenda samt Blockadebrecher-Pakts. Das steirische Regierungsduo Franz Voves und Hermann Schützenhöfer lebt seit drei Jahren erfolgreich vor, wie das geht.

Ob sie Rot-Schwarz diese Chance noch geben oder ob das nur noch mit einem Dritten im Bunde wie den Neos oder den Grünen gelingen kann, haben die sechs Millionen Stimmbürger in der Hand. Wie sehr sich die latente Wendestimmung auf die Stimmabgabe durchschlägt, ist die Schlüsselfrage der morgigen Wahl.

Im europäischen Maßstab wäre das weitere Schrumpfen der Traditionsparteien und die Fragmentierung des politischen Spektrums nichts Besonderes.

In Österreich, sagte der Doyen der Politikwissenschaft, Anton Pelinka, jüngst zum KURIER „käme es einem Erdbeben gleich, sollten SPÖ und ÖVP am 29. September ihre Mehrheit im Nationalrat verlieren.“

Alles rund um die Nationalratswahl gibt es hier.

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