Warum die Regierung derzeit freie Hand hat

Warum die Regierung derzeit freie Hand hat
Nicht-Streiten zieht beim Bürger, dennoch könnte die SPÖ die EU-Wahl gewinnen.

Könnte es für die Regierung im Allgemeinen und Bundeskanzler Sebastian Kurz im Besonderen zum Problem werden, dass das „Don’t smoke“-Volksbegehren vorerst keine nachhaltigen politischen Konsequenzen hat?

Unmittelbar nein, aber mittel- und langfristig vielleicht doch, lautet die Antwort von Franz Sommer. Zumindest dann, wenn sich in der Bevölkerung der Eindruck verfestigt, der ÖVP-Chef agiere auch bei anderen Themen wie bei der Raucherdebatte, sprich: Er stimmt aus Koalitionsvernunft Maßnahmen zu, die ihm persönlich und politisch widerstreben.

Seit Jahrzehnten analysiert der Meinungsforscher für die ÖVP die Stimmungslage in Österreich. Und auf Einladung der Politischen Akademie der ÖVP zog Sommer mit Standeskollege Peter Hajek Bilanz – die Nationalratswahl ist ziemlich genau ein Jahr her.

Wie also ist die Stimmung im Land? Was hat sich verändert? Bemerkenswert ist, und hier sind Hajek und Sommer einer Meinung, die auffallend stabile Lage am „Wählermarkt“. „Ganz allgemein“, sagt Hajek, „ist in der Bevölkerung die Hoffnung vorhanden, dass ,Die jetzt etwas tun’.“

Diese Einstellung führt zu auffallend hohen Zustimmungsraten.

„Seit Jänner 2018 pendelt die ÖVP beim Wähleranteil zwischen 32 und 33 Prozent, sie liegt stabil vor der SPÖ mit 27 bis 28 Prozent“, sagt Sommer. Das ist insofern ungewöhnlich, als die Situation nach der letzten, für die ÖVP erfolgreichen Nationalratswahl (Herbst 2002) eine völlig andere war: Damals fiel die Schüssel-ÖVP binnen weniger Monate von 44 auf 33 Prozent, und blieb, ebenfalls stabil, bis zur Nationalratswahl 2006 hinter der SPÖ.

Kein Streit

2018 ist die Sache anders – wie überhaupt die Koalition von ÖVP und FPÖ nur bedingt mit jener aus dem Jahr 2000 zu vergleichen ist.

Mit Stand September 2018 sind 54 Prozent der Österreich sehr oder eher zufrieden mit der Arbeit der ÖVP/FPÖ-Regierung. Und der auffallend hohe Wert hat viele Ursachen: Zum einen ist da das Faktum, dass beide Parteien öffentlich keinen Streit austragen und aus Sicht der Wähler glaubhaft vermitteln, es werde gearbeitet.

Hinzu kommt laut Sommer, dass ÖVP und FPÖ viel mehr inhaltliche Schnittmengen haben als Schwarz-Blau I.

Ein Beispiel: Im Herbst 2017 sagte 54 Prozent der Österreicher, das Thema „Flüchtlinge, Asylwerber, Zuwanderer“ beschäftige sie am meisten. Ein Jahr später hat sich nichts geändert, im Gegenteil: Für 55 Prozent bleibt die Migration das zentrale Thema.

Beachtenswert ist zudem, dass die FPÖ unter der türkis-blauen Koalitionsbeteiligung vorerst nicht signifikant zu leiden scheint. „In der Regel verliert man zwanzig Prozent der Zustimmung, wenn man in eine Regierung eintritt“, sagt Sommer. Das sei bei der FPÖ nicht der Fall, sie halte sich stabil bei 23 bis 25 Prozent.

Harte Zeiten also für die Opposition? Nicht unbedingt. Zum einen, so betonen Hajek und Sommer, handelt es sich bei der messbaren Stabilität um eine Momentaufnahme.

Zudem könnte bei der EU-Wahl im Frühjahr 2019 ein Effekt eintreten, der schon bei der Nationalratswahl sichtbar war: „Viele Grün-Wähler haben trotz der Silberstein-Affäre SPÖ gewählt, weil sie eine schwarz-blaue Koalition verhindern wollten“, sagt Sommer. Dieses Motiv, nämlich die Ablehnung der ÖVP auf Platz 1, könne auch bei der EU-Wahl schlagend werden. Zum Leidwesen der Grünen – aber zum Vorteil der SPÖ.

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