Verteidigungsministerin will Budgetsteigerung auf 1,5 Prozent in kommenden fünf Jahren

Über die geplante Erhöhung des Heeresbudgets wurde seit Beginn des Krieges in der Ukraine schon viel geredet. Nun hat Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) erstmals konkrete Zahlen genannt. Sie sprach bei der Präsentation des Berichtes "Risikolandschaft Österreich 2022" am Donnerstag von einem Anstieg von derzeit 0,6 Prozent auf 1,5 Prozent des BIP in den kommenden fünf Jahren.
Budget für Bundesheer soll fast verdreifacht werden
Der Bericht wird seit 9.30 Uhr im Raiffeisen-Haus präsentiert. Es geht um aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen. Als größte Risiken werden Krieg, Pandemie und Versorgungsunsicherheit definiert.
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Hameseder: Krieg als "Zeitenwende"
Die Begrüßungsworte sprach Generalmajor Erwin Hameseder, Milizbeauftragter und Obmann der Raiffeisen-Holding NÖ-Wien. Der 24. Februar sei der Beginn einer Zeitenwende gewesen, sagte er. Da startete Russland den Angriffskrieg gegen die Ukraine, der eine eine "massive Erschütterung der Sicherheitspolitik in Europa" darstelle. Der Krieg habe dramatische Auswirkungen auf alle gesellschaftlichen Bereiche - politisch, sozial und wirtschaftlich.
"Was man heute weiß: Wir müssen massiv in unsere Sicherheit und damit in unsere Landesverteidigung investieren", sagte Hameseder. Es sei ein "Gebot der Stunde", das Regelbudget deutlich über 1 Prozent des BIP anzuheben.
Als Milizbeauftragter sagt Hameseder: "Die Wiedereinführung der verpflichtenden Milizausübungen sind ein wichtiger Baustein." Nur, wer regelmäßig übt, könne seine Aufträge erfüllen.
Es sei auch notwendig, dass Europa mit einer Stimme spricht. Und die Wirtschaft sei aufgerufen, nachzudenken, welche Maßnahmen sie setzen könne, um Österreich resilienter zu machen. Das betreffe etwa den Bereich der Cyberabwehr. Die Angriffe seien zuletzt heftiger geworden, sagte Hameseder.
Es drohen der Verlust von Arbeitsplätzen, in letzter Konsequenz gehe es da um die soziale Sicherheit. "Wir müssen massiv dagegenarbeiten." Und bei aller Notwendigkeit der Sanktionen der EU gegen Russland, betonte Hameseder, solle und müsse weiter der Grundsatz gelten, dass die Sanktionen uns selbst nicht mehr schaden dürfen als jenen, denen sie gelten sollen.
Tanner: "Mehr Risiken als je zuvor"
In ihrer Keynote schloss sich Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) Hameseder an: Der 24. Februar stelle eine Zäsur dar. Es sei deutlich geworden, dass Frieden in Europa keine Selbstverständlichkeit ist.
Wenn man sich die sicherheitspolitische Jahresvorschau aus 2020 anschaut, dann sehe man allerdings, dass Russland schon da zur Risikogruppe gezählt wurde, erklärte Tanner. Und trotzdem sei man überrascht gewesen. "Wahrscheinlich, weil wir es nicht glauben konnten und wollten, weil wir in Europa etwas anderes gewohnt waren", sagte Tanner. Nun müsse man daraus die Lehren für die Zukunft ziehen.
Der aktuelle Bericht zur "Risikolandschaft Österreich" sei zwar vor dem Angriffskrieg erstellt worden (Redaktionsschluss war im Jänner), Russland und die Ukraine kommen aber dennoch vor, sagte Tanner.
Zu den Risiken, die im Bericht abgebildet werden, sagte sie: "Es gibt mehr als je zuvor." Die geopolitischen Bedrohungen kämen immer näher. Tanner sprach hier Naturkatastrophen, Cyberattacken mit Blackouts als Folgen und Kriege wie in der Ukraine mit klassischen militärischen Mitteln an.
Das Bundesheer müsse sich zur Verteidigung des Landes sehr breit aufstellen. "Und dafür benötigen wir ein deutlich höheres Verteidigungsbudget", betonte Tanner. Ziel sei es, das Budget erst auf 1 Prozent des BIP und in den folgenden fünf Jahren auf 1,5 Prozent zu erhöhen.
"Konzepte gibt es genug, die sind vorhanden. Jetzt geht es darum, die auch umzusetzen", so Tanner in Richtung der Grünen, die bei der Erhöhung des Heeresbudgets auf der Bremse stehen und "Konzepte" einfordern. "Wir werden nichts kaufen, was wir nicht dringend benötigen", so Tanner weiter.
Tanner schloss mit einem positiven Ausblick: "Es liegt an uns, wie wir diese Risiken gestalten, wie wir uns darauf einstellen." Sie sei überzeugt, dass gerade angesichts des aktuellen Krieges die Wahrnehmung auf künftige Ereignisse geschärft wird. Es brauche dazu auch die Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen auf nationalstaatlicher und auch europäischer Ebene. "Es kann nur gemeinsam gehen. Es geht schließlich um die Sicherheit von uns allen."
Das bekräftigte auch Generalstabschef Robert Brieger: "Konzeptionell ist es vorhanden. Ich hoffe auf eine Umsetzung." Die Militärführung habe für das österreichische Bundesheer drei große Bedarfskörbe ausgemacht: Mobilität am Land und in der Luft, Mannesausrüstung und Präzisionsmunition sowie Autarkie.
Wichtig sei in der Debatte um das Verteidigungsbudget die langfristige Sicherstellung der finanziellen Ausstattung. Eine einmalige Finanzspritze nutze wenig. Streitkräfte entwickelten sich über Jahre und müssten langfristig finanziert werden, betonte Brieger einmal mehr.
Österreich und auch die EU, deren militärischer Berater Brieger ab Juni sein wird, müssten nicht nur für eine umfassende militärische Verteidigung, sondern auch für eine umfassende Sicherheitsversorgung auf allen Ebenen sorgen, so Brieger weiter.
Und das steht im Bericht
Im sicherheitspolitischen Bericht "Risikolandschaft Österreich 2022" sind fünf zentrale sicherheitspolitische Herausforderungen für die nächsten zwölf bis 18 Monate herausgearbeitet. Der Krieg in der Ukraine sei "als Teil der größeren Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen" zu verstehen, heißt es in dem 316-seitigen Papier.
Die größten Herausforderungen der kommenden Monate sind
- die Covid-Pandemie und ihre längerfristigen negativen gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Auswirkungen,
- der Versuch Russlands zur unilateralen Umgestaltung der europäischen Sicherheitsarchitektur,
- die sich verschärfenden Krisen im unmittelbaren Umfeld der EU mit besonderem Fokus auf die Entwicklungen in Osteuropa, Westafrika und dem Westbalkan und daraus resultierende Migrationswellen,
- die erwartbare weitere Verdichtung hybrider Einflussnahmen insbesondere durch Cyberattacken und Desinformation und
- das Auftreten neuer resilienzgefährdender Extremereignisse insbesondere Blackout, Versorgungsunsicherheit und komplexer klimaassoziierter Katastrophen.
"Vor dem Hintergrund dieser globalstrategischen Entwicklungen steht die Europäische Union vor der doppelten Herausforderung, sich einerseits auf internationaler Ebene gegenüber anderen Großmächten als eigenständiger Akteur zu behaupten. Gleichzeitig ist die EU gefordert, den inneren Zusammenhalt zu wahren, der durch China in Form finanzieller und wirtschaftlicher Abhängigkeiten und vonseiten Russlands mit militärischen Drohungen und Cyberattacken auf die Probe gestellt wird", heißt es im Bericht.
Schwachstellen werden aufgezeigt
Der Krieg in der Ukraine sei "als Teil der größeren Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen" zu verstehen. Er zeige die Schwachstellen auf Seiten der europäischen und transatlantischen Sicherheit auf. Eine Lösung der Konfliktursachen sei nur langfristig denkbar und bedürfe neuer sicherheitspolitischer Ansätze. Für Österreich bedeutet der Krieg Schäden im Wirtschaftsbereich durch Sanktionen und Gegensanktionen sowie ein signifikantes Versorgungsrisiko auf dem Energiesektor.
Eine Herausforderung könnte auch für die Neutralität Österreichs vor allem im Falle einer militärischen Involvierung von NATO-Staaten eintreten, wenn Überflugs- oder Transitanfragen gestellt werden. Dabei ist nicht auszuschließen, dass Österreich auch zum Ziel von Cyberangriffen oder hybriden Maßnahmen werden könnte.
Eine militärische Eskalation würde die bestehenden Risiken "Hybride Einflussnahme und Desinformation" und "Versorgungsunsicherheit" verstärken. Außerdem könnte der Eintritt der Risiken "Neutralitätsverletzung", "Blackout" und "Cyberangriffe" wahrscheinlicher werden, heißt es in dem Bericht, der noch vor Beginn des Krieges erstellt wurde.
Spannungen zwischen EU und China
Zudem wird die Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos "Spannungen EU-China" als sehr wahrscheinlich beurteilt. "Es hat das Potenzial für signifikante negative Auswirkungen auf Österreichs Wirtschaft. Dieses Querschnittsrisiko tritt im Risikobild erstmalig in Erscheinung, zumal die Europäische Union 2021 eine Reihe offensiver Maßnahmen gesetzt hat, die im bilateralen Verhältnis mit China zu Spannungen mit erheblicher Folgewirkung geführt haben.
EU-Sanktionen wurden seitens Beijings mit Gegensanktionen beantwortet. Europäische Produzenten und Handelstreibende sind angesichts neuer, restriktiver Gesetzgebung in China mit verstärkter staatlicher Kontrolle konfrontiert. Obwohl sich die bilateralen Spannungen mit China auf demokratiepolitische Teilbereiche konzentrieren, manifestieren sich die Auswirkungen vorrangig im Investitions- und Handelsbereich", lautet die Analyse der Experten.
"Blackout weiter wahrscheinlich"
Das Risiko der "Versorgungsunsicherheit" wird als bereits deutlich wahrnehmbar und eine existenzielle Bedrohung für Österreich angesehen. "Versorgungsunsicherheit beschreibt Störungen, Lücken oder Engpässe in der Verfügbarkeit von Gütern, Rohstoffen, Information und Kapital oder im freien Personenverkehr, die die Sicherung der Grundbedürfnisse von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat beinträchtigen.
Versorgungsunsicherheit kann Österreichs Sicherheit befristet oder dauerhaft, in einzelnen Sektoren oder in umfassendem Sinne gefährden. Ein integrales Verständnis von Sicherheits- und Wirtschaftspolitik ist wichtig, um Ursachen vorzubeugen und sie zu bewältigen."
Dies kann aus Pandemien oder aus den Risiken "Blackout" oder "Cyberangriffen" resultieren. Ebenso ist die Versorgungsunsicherheit aufgrund von "Spannungen zwischen der EU und China" bzw. des "Systemkonfliktes zwischen den USA und China" möglich.
Der Risikofaktor "Blackout" wird ebenfalls weiterhin als wahrscheinlich beurteilt. "Ein Eintritt des Risikos würde Österreich sowohl wirtschaftlich nachhaltig schädigen als auch zumindest kurzfristig die innere Sicherheit massiv bedrohen", so der Bericht.
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