Verfassungstag: Für Van der Bellen ist Absetzung Kimmels "brandgefährlich"

Alexander Van der Bellen
Festakt im VfGH anlässlich des Beschlusses der Verfassung 1920. Bundespräsident hielt Justiz dazu an, Vertrauen zu schaffen. Festrednerin Nußberger für "wehrhaftes Völkerrecht".

Vor genau 105 Jahren, am 1. Oktober 1920, wurde die Bundesverfassung beschlossen. Beim Verfassungstag im Verfassungsgerichtshof (VfGH) pochte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Mittwoch darauf, demokratiepolitisch problematische Entwicklungen in den USA von Österreich fernzuhalten. "Brandgefährlich" und "undemokratisch" sei etwa die Absetzung der Late-Night-Show von Jimmy Kimmel wegen politischen Drucks gewesen. Die Justiz hielt er dazu an, Vertrauen zu schaffen.

"Wer einen Dominostein im demokratischen Gefüge anstößt, wie eben das Recht auf freie Meinungsäußerung einer ist, bringt damit viel mehr ins Wanken: Die gesamte Rechtsstaatlichkeit, die Grundlagen der Demokratie, und nicht zuletzt das Vertrauen in diese beiden wichtigen Grundpfeiler", so der Bundespräsident beim nicht medienöffentlichen Festakt. "Jimmy Kimmel Live!" war nach kritischen Äußerungen des Moderators gegenüber US-Präsident Donald Trump und dessen Anhängern nach dem Attentat auf den rechten Aktivisten Charlie Kirk vorübergehend abgesetzt worden.

Van der Bellen warnte zudem davor, dass Menschenrechte zu kurz kommen könnten, wenn schnelle Lösungen für Probleme verlangt werden. Dafür, dass das nicht geschieht, sorge vor allem ein gut funktionierendes Justizsystem mit unabhängigen Gerichten. Demokratie und Vertrauen in den Rechtsstaat müssten allerdings jeden Tag erneuert werden, sagte er in seiner Rede, die der APA schriftlich vorliegt. Dazu müsse auch die Justiz beitragen - ob durch die bessere Begründung und Erklärung von Urteilen oder der Präsentation des Gerichtshofs gegenüber der Öffentlichkeit wie am Verfassungstag. Denn zu Entwicklungen wie in den USA könne es nur kommen, wenn immer mehr Menschen sie mittragen und tolerieren.

Richterin plädiert für "wehrhaftes Völkerrecht"

Der Verfassungsgerichtshof sorge gemeinsam mit den anderen Gerichten für ein hohes Rechtsschutzniveau in Österreich, meinte indes VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter in seiner Eröffnungsrede. Er wies außerdem darauf hin, dass europäische Grundrechte nicht nur von Gerichtshöfen in Straßburg und Luxemburg ausgelegt werden, sondern dass auch Verfassungs- und andere Höchstgerichte wesentliche Akzente setzen. Als Beispiele nannte er Entscheidungen des VfGH zu Doppelbestrafungsverbot, Wahlrecht oder Adelsaufhebung.

Die Festrede hielt Angelika Nußberger, Vizepräsidentin des Verfassungsgerichts von Bosnien-Herzegowina und ehemalige Richterin und Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Sie betonte, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine habe "die Grundkoordinaten des internationalen Rechtssystems abermals geändert." Gefolgt seien der blutige Angriff der Hamas auf israelische Zivilisten, der Gazakrieg, dessen Opfer gleichermaßen die Zivilbevölkerung sei, und die zweite Amtszeit von US-Präsident Trump. In einer neuen multipolaren, interessendominierten Weltordnung gerate das Völkerrecht unter die Räder, indem es etwa selektiv angewendet oder ignoriert werde. Nußberger plädierte deshalb für ein "wehrhaftes Völkerrecht" ähnlich einer "wehrhaften Demokratie", das eine effektive Antwort gegenüber jenen findet, die das System aushöhlen oder unterminieren.

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