In dem seit dem 4. August 2020 – der Explosion im Hafen von Beirut – die schwerste Wirtschafts- und Nahrungsmittelkrise der Geschichte herrscht.
Man kann sich schwerlich eine Vorstellung davon machen, was es heißt, im Zedernstaat, wie der Libanon genannt wird, zwischen Syrien und Israel zu leben: zwischen geschlossenen Grenzen, einem nach wie vor devastierten Hafen und dem Flughafen Beirut, der jederzeit in der insbesondere politisch angespannten Situation in der Region zum Angriffsziel werden kann.
„Die Lage hier ist speziell schwierig“, sagt Österreichs türkiser Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig vor Ort. Auf 60 Millionen Euro hat die Bundesregierung die Nahrungsmittelhilfen für die kommenden drei Jahre aufgestockt (heuer waren es 1,6 Millionen Euro) – auch ob der weltweiten Folgen des Ukrainekrieges wie Nahrungsmittelknappheit und dadurch auch Flucht.
Was es bedeutet, in einem Land, in dem Bananen, Avocados, Orangen, Erdäpfel und Wein gedeihen, Hunger leiden zu müssen, das wird wenige Autostunden von der Hauptstadt Beirut entfernt in der Bekaa-Ebene sichtbar. Und auch, was es heißt, auf einen weißen Karton des Welternährungsprogramms (WFP, World Food Programme) angewiesen zu sein, der pro Monat für zwei Personen 8 Kilo Kichererbsen, 1,6 Kilo Thunfisch, 4,5 Liter Sonnenblumenöl, 1,6 Kilo Tomatenpaste und ein halbes Kilo Salz vorsieht. Über eine Million geflohene Syrer und jeder dritte Libanese bekommt einen solchen Karton zum Leben. Zum Überleben. Und es werden laut WFP immer mehr.
3,5 Millionen Bewohner des 10.452 km² großen Landes haben nachts keinen Strom. Sie können auch keine Party machen, wofür die Hauptstadt Beirut bekannt ist. Sie können im Sommer nicht im Meer schwimmen und im Winter nicht Skifahren gehen.
Sie gehören zu jenen, die unter anderem wenige Kilometer Luftlinie von ihrer Heimat Syrien in Zeltlagern leben. So, wie die 38-jährige Syrerin, die mit sechs ihrer kleinen Kinder in einem mit weißen Planen abgedeckten Verschlag lebt – und das seit ihrer Flucht.
Seit zehn Jahren. Seit einem Dreivierteljahr als Witwe. Ihre Kinder tragen Weihnachtsmützen im Verschlaginneren aber keine Schuhe. Sie machen Faxen und bringen die mit Totschnig mitreisenden Medienvertretern, am Lagerboden sitzenden, unweigerlich zum Lächeln – auch, oder vielleicht gerade weil die Situation das Gegenteil vorgibt.
Die Hälfte der Kinder geht nicht mehr in die Schule, weil die Busfahrt dorthin nicht mehr leistbar ist, sagt die Mutter. Stoisch, während ihre Kinder mit den Weihnachtsmützen am Kopf ausgelassen umherlaufen, fährt sie fort. Sie erzählt, dass sie vom WFP-Programm lebt und von ein wenig Erntearbeit im Sommer. Davon, dass eine Rückkehr für sie ausgeschlossen ist, weil „ich mich hier mit meinen Kindern zumindest sicher fühle“.
Was sie sich für ihre Zukunft wünscht, beantwortet sie schnell. „Nichts mehr. Ich lebe von Tag zu Tag.“
Nein, man weiß nicht, wie es sich anfühlt. Aber die Bilder bleiben. Auch Stunden später.
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