Gezerre um Flüchtlings-Umverteilung in Europa

Innenminister Sobotka (l.) und Verteidigungsminister Doskozil
Innenminister Sobotka will mit dem Prozess der Umverteilung von Flüchtlingen beginnen. Weil Österreich dazu verpflichtet sei. Verteidigungsminister Doskozil sprach sich für einen Ausstieg aus.

[Update - 14:59 Uhr: Doskozil für Ausstieg aus Umverteilung]

Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) will gegen die Bedenken der SPÖ die Umverteilung von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland starten. "Wir beginnen den Prozess", sagte Sobotka Montag vor Beginn des EU-Innenministerrats in Brüssel. Er selbst halte zwar den "Prozess der Relocation für falsch", aber, so Sobotka, "Österreich ist verpflichtet, das umzusetzen".

Zum Wunsch der SPÖ nach Verlängerung der Ausnahmeregelung sagte der Innenminister, diese Regelung sei am 11. März des Jahres abgelaufen. Die Bedingungen für eine Verlängerung seien nicht gegeben. Damals sei "ausdrücklich festgehalten worden, wenn bis Juni (2016) die Westbalkan-Route geschlossen ist, gibt es keinen Grund zu einem Einspruch. Das hätte man viel früher überlegen müssen. Man muss das Erbe tragen, wie auch immer es ist".

Drei Mal aufgefordert

Angesprochen darauf, ob die nun von ihm gegenüber Italien zugesagten 50 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge eine Ausnahme seien oder bis September Österreich seine Quote im Rahmen der Relocation erfüllt, sagte Sobotka: "Wir beginnen den Prozess. Wir haben mit dem italienischen Innenminister und mit EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos, von dem ich mehrmals aufgefordert worden bin, geredet." Auch Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) sei vom Europäischen Rat dreimal aufgefordert worden, mit dem Prozess zu beginnen. "Auf der einen Seite fordert er mich auf, den Prozess zu starten, auf der anderen Seite möchte er Ausnahmen erwirken. Das wird nicht möglich sein."

Doskozil für Ausstieg

Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) schlägt hingegen einen kompletten Ausstieg Österreichs aus dem Flüchtlings-Umverteilungsprogramm der EU vor. Er werde noch am Montag einen entsprechenden Entwurf für einen Ministerratsbeschluss an den Koalitionspartner ÖVP übermitteln, sagte der Ressortchef bei einem Hintergrundgespräch. Stimmt die ÖVP zu, so könnte der Ausstieg noch am Dienstag in der Ministerratssitzung beschlossen werden.

Als Begründung für seinen Schritt nannte Doskozil, dass Österreich angesichts der hohen Zahlen an Asylverfahren - im EU-Vergleich - seinen Beitrag bei der Umverteilung von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland bereits "übererfüllt" habe. Der Schritt wäre auch rechtlich gedeckt, erklärte der Minister.

Der Beschluss des Rates der EU zur Umverteilung sei im September 2015 unter der Prämisse des Grundsatzes der Solidarität und gerechten Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU gefasst worden, sagte Doskozil. Der Blick auf die Statistik zeige aber, dass Italien in den Jahren 2015 und 2016 "weitaus weniger Belastung" stemmen musste als Österreich: Pro Million Einwohner wurden in Österreich 4.587 Asylanträge gestellt, in Italien 1.998.

Außerdem sei man bei Beschluss des Umverteilungs-Programms davon ausgegangen, dass das Dublin-System funktioniert, und dass es keine Schleppungen gibt. "Das ist beides nicht der Fall", so der Minister. Diejenigen Flüchtlinge, die sich eigentlich in Italien aufhalten müssten, "stehen bei uns im Asylverfahren", verwies er auf die illegalen Weiterreisen.

"Ausreichender Beitrag"

Österreich soll aus dem (ohnehin im September 2017 auslaufenden) Programm aussteigen, weil es "eines der am stärksten belastenden Länder" sei, sagte der Minister. "Und weil ich der Meinung bin, dass Österreich einen ausreichend humanitären Beitrag geleistet hat."

Zu spät komme dieser Schritt nicht, sagte er auf Nachfrage. Laut dem EU-Beschluss müsse jeder Staat quartalsmäßig bekannt geben, wie viele Flüchtlinge er übernimmt und dafür die notwendigen Informationen liefern. Und Österreich könne die Gründe dafür angeben, warum keine Flüchtlinge mehr übernommen werden, so Doskozil mit Blick auf die Statistik.

Gefragt, ob die von Innenminister Wolfgang Sobotka ( ÖVP) genannten 50 minderjährigen Flüchtlinge, die in einem ersten Schritt aus Italien übernommen werden sollen, den von ihm vorgeschlagenen Schritt eines Ausstiegs rechtfertigen, sagte Doskozil, es bleibe nicht bei den 50, sondern gehe um rund 1.900 Fälle. "Und es geht ums Prinzip." Denn der Grundsatz laute, dass es eine solidarische und gerechte Verteilung geben soll. Die Frage laute daher: "Verfolgen wir dieses Prinzip oder nicht. Ich bin schon dafür, dass wir das verfolgen."

Mit dem Ministerratsbeschluss will Doskozil auch Einigkeit in der Regierung herstellen: "Das Ziel muss sein, dass es in dieser Frage kein politisches Hick-Hack gibt, sondern eine gemeinsame Regierungsposition."

ÖVP zieht mit

Die ÖVP unterstützt den von Doskozil vorgeschlagenen Ausstieg aus dem Flüchtlingsumverteilungsprogramm der EU und will einen entsprechenden Beschluss im Ministerrat mittragen. "Wir stimmen dem inhaltlich voll zu und sind einverstanden", hieß es am Montag aus dem Büro von Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP).

Allerdings müsse dabei auch festgehalten werden, dass Bundeskanzler Kern den Ausstieg bei der EU-Kommission und dem Europäischen Rat in Brüssel beantragen muss, weil das "Relocation"-Programm in die Zuständigkeit der Staats- und Regierungschefs fällt, teilte eine Sprecherin des Ministers mit.

Nur auf Ebene der Regierungschefs

Sobotka beruft sich dabei auf die internationale Rechtsanwaltskanzlei DLA Piper. Eine allfällige Aussetzung von Relocation bedarf eines Vorschlags der Europäischen Kommission, eines Ratsbeschlusses und einer Anhörung des Europäischen Parlaments, erklärte der auf Europarecht spezialisierte Florian Schuhmacher von DLA Piper. "De facto kann ein solcher Prozess nur auf Ebene der Regierungschefs eingeleitet werden."

Bundeskanzler Kern müsste demnach auf Basis eines nationalen Ministerratsbeschlusses den Ausstieg bei der EU-Kommission anregen. Kommt es dazu nicht, ist der Innenminister "rechtlich verpflichtet, die für Österreich bindenden Beschlüsse des Rates umzusetzen. Bei Verstoß droht ein Vertragsverletzungsverfahren", so Schuhmacher.

Vergleich mit Geschwindigkeitsbegrenzung

Sobotka ortete eine "ungeheure Scheinheiligkeit" in der österreichischen Debatte. Es seien jedenfalls Beschlüsse einzuhalten. "Dass der Innenminister den Weg der Rechtsstaatlichkeit verlässt, ist für mich undenkbar. Am 11. März ist unser Aufschub so quasi ausgelaufen, daher ist es zu vollziehen. Das weiß jeder. Das ist bekannt. Ich wundere mich auch, dass mit mir persönlich kein Wort gesprochen wurde und warum ich das über die Medien erfahren muss".

Sobotka zog einen Vergleich mit der Geschwindigkeit beim Autofahren. "Es ist undenkbar, dass sie auf der Autobahn, auch wenn sie es falsch finden, bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 Stundenkilometern die Geschwindigkeit übertreten. Da können sie einen Antrag stellen, das anders zu machen. In Deutschland gibt es keine Geschwindigkeitsbeschränkung und sie wissen, dort gibt es weniger Tote. Also wenn sie etwas für falsch halten, stellen sie einen Antrag. Aber sie können nicht in Österreich deshalb mit größerer Geschwindigkeit fahren. Das wird niemand verstehen."

Den von der EU beschlossenen Relocation-Prozess halte er "grundsätzlich für falsch, weil das ein Anziehungsfaktor ist. Da kommen wieder mehr Illegale mit kriminellen Schleppern nach Europa". Sobotka bekräftigte dies mehrmals, "solange die EU-Außengrenze nicht sicher ist. Das ist eine andere Sache. Aber ein Rechtsstand ist zu erfüllen. Es gibt auch keine Diskussion in anderen EU-Staaten. Wir können nicht mit dem Finger auf jemand anderen zeigen, der das nicht erfüllt und selber Recht brechen."

Die Maiziere enthält sich Kommentars

Deutschlands Innenminister Thomas de Maiziere will den innerösterreichischen Koalitionsstreit um die Flüchtlingsumverteilung nicht kommentieren. "Ich bin nicht willens, Debatten in befreundeten Nachbarstaaten zu kommentieren", so de Maiziere beim EU-Innenministerrat am Montag in Brüssel. "Ich weiß, dass wir unsere Verpflichtungen erfüllen, ich erwarte das auch von allen anderen".

De Maiziere zeigte sich gleichzeitig zuversichtlich über das Relocation-Programm der Umverteilung von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland in die anderen EU-Länder. "Ich denke, wir sind vorangekommen. Viele Staaten haben erklärt, ihre Verpflichtungen erfüllen zu wollen". Sollte dies bis September nicht möglich sein, "aber viele auf dem Weg dahin sein", sei die "Erfüllung der Zahlen in absehbarer Zeit wichtiger als die Einhaltung des Datums". Der deutsche Innenminister relativierte damit allfällige Vertragsverletzungsverfahren gegen Staaten, die ihre Quote der Aufnahme bis Ende September nicht erfüllen. Die EU-Kommission habe dafür Instrumentarien.

De Maiziere sprach sich auch dafür aus, dass über eine Mission im Süden Libyens nachgedacht werden sollte, damit sich Menschen aus Niger oder Mali nicht nach Libyen aufmachen. Es habe sich gezeigt, dass unter den fünf Herkunftsstaaten, die übers Mittelmeer nach Italien kommen, so gut wie keine aus Staaten kommen, die einen traditionell hohen Schutzbedarf haben, sondern "es sind Nigeria, Gambia, Elfenbeinküste oder Guinea, wo kein Schutz zu erkennen ist".

Der deutsche Innenminister will bei den Verhandlungen über die Rückführung von Flüchtlingen auch einen Konnex mit der Visumpolitik herstellen. Völkerrechtlich sei es ja verpflichtend, dass ein Land seine eigenen Staatsbürger zurücknehme. "Viele Staaten tun das nicht gerne. Um die Rücknahmebereitschaft der Herkunftsländer zu fördern, muss man die Visa-Sache in den Verhandlungskorb legen. Wenn ein Staat nicht bereit ist, eigene Staatsbürger zurückzunehmen, muss er damit rechnen, dass in der Visumpolitik, die die Reise nach Europa ermöglicht, Führungspersonen des Landes nicht mehr so großzügig" bedacht würden wie bisher.

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