Wie viel Islam verträgt eine liberale Gesellschaft?

  
Nach Sebastian Kurz' Forderung nach einem Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst haben wir uns umgehört, was dafür spricht - und was dagegen.

Mit seiner Forderung nach einem Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst hat Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) am Wochenende für Aufsehen gesorgt. Österreich sei "zwar ein religionsfreundlicher, aber auch ein säkulärer Staat", sagte Kurz am Freitag. Vor allem für den Schulbereich könne er sich ein Verbot vorstellen: "Weil es dort um Vorbildwirkung ein Einflussnahme auf junge Menschen geht". In einer gemeinsamen Aussendung kritisierten Landes-Oberrabbiner Schlomo Hofmeister und Imam Ramazan Demir ein Kopftuchverbot als "diskriminierend und religionsfeindlich". kurier.at hat sich bei Politikern und Experten aller Coleur umgehört, was dafür spricht - und was dagegen.

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Wie viel Islam verträgt eine liberale Gesellschaft?

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    Ich finde, die Säkularismus-Debatte ist wichtig. Allerdings sollte man sie nicht am Kopftuch festmachen. Es ist ein Symbol, das von Gruppen des politischen Islam instrumentalisiert wird – und wenn Kurz und Fassmann ein Verbot des Kopftuchs fordern, stärken sie damit diese Position letztlich nur. Sie schaffen Fronten, die jenen Gruppen helfen, die von diesen Schwarz-Weiß-Bildern leben.

    Kopftuchtragende Frauen sind da gut beraten, sich zwischen den Fronten nicht zerreiben zu lassen. Gründe, Kopftuch zu tragen, gibt es nämlich viele, individuelle. Es ist in der öffentlichen Debatte nur mühsam, das Kopftuch differenziert wahrzunehmen. Wer aber sagt, dass es absolut nichts mit dem politischen Islam zu tun hat, der lügt.

    Ich betrachte auch nicht das religiös getragene Kopftuch als Hindernis für eine gelungene Integration, aber sehr wohl, wenn eine politisch-religiöse oder ideologische Haltung, die sehr offen und provokativ auftritt, von Integration spricht, jedoch eigentlich die Grundlagen einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft bekämpft.

    Muslime dürfen die Frage, wie viel Religion eine säkulare Gesellschaft verträgt, nicht als Angriff verstehen, sondern als Chance für eine Selbstreflexion. Die Muslime sollten die Debatte deshalb zum Anlass nehmen, auch über ihre Bringschuld gegenüber einer gut funktionierenden Gesellschaft nachzudenken. Nur so können die Grenzen ausgelotet werden. Denn es ist zum Beispiel ja auch religiös begründbar, einer Frau nicht die Hand zu geben und die Burka zu tragen. Auch die Frage des Schwimmunterrichts in Schulen und Halal-Essen in Kindergärten müsste von so einer Selbstreflexion betroffen sein. Die Frage ist: Wo ist die Grenze? Wie viel Islam können wir dieser Gesellschaft zumuten? Die Tragfähigkeit einer liberalen Gesellschaft darf nicht überstrapaziert werden.

    Auch die Kirche musste sich dieser Debatten in der Vergangenheit stellen. Dass sie sie als Chance zur Selbstreflexion genutzt hat, hat auch eine neue Kirche entstehen lassen. Und so wie der Islam der Gegenwart nicht der Islam der Vergangenheit ist, wird er auch nicht der Islam der Zukunft sein. Muslime müssen einfach lernen, dass es keine Religionsfeindlichkeit ist, wenn man Religion in allen Lebensbereichen hinterfragt.

    (Artikel um 16.00 Uhr um die Stellungnahme von Ednan Aslan aktualisiert)

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    Ednan Aslan, Professor für islamische Religionspädagogik an der Universität Wien

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    Die muslimische Bevölkerung Österreichs ist statistisch eine sehr junge, aber auch eine eher bildungsferne und sozial schwache Gruppe. Gerade junge Frauen spielen in der Förderung der Integration eine positive Rolle und überwinden veraltete Rollenmuster durch Bildung und finanzielle Unabhängigkeit. Das ist nicht nur eine positive Entwicklung für die einzelnen Frauen, sondern sie tragen auch zur Weiterentwicklung der gesamten, muslimischen Community bei. Es ist bemerkenswert, dass sie als "Motoren" der Integration fungieren, obwohl sichtbare, muslimische Frauen bereits jetzt vielfach Diskriminierung erfahren und Übergriffen auf der Straße ausgesetzt sind.

    Ein Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst würde diese Situation verschärfen und zur Demoralisierung gerade von jungen, gut ausgebildeten Frauen führen. Als offene und fortschrittliche Gesellschaft müssen wir damit aufhören Frauen aufgrund der Menge des Stoffes an ihrem Körper zu bewerten und gegen Sexismus und für Gleichstellung aller Menschen unabhängig von Religion, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Hautfarbe oder ethnische Wurzeln eintreten.

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    Dudu Kücükgöl, Integrationsexpertin und gläubige Muslimin

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    Die Freiheitlichen fordern bereits seit Jahren ein Verbot der Gesichtsverschleierung als Symbol des Islamismus. Der Schutz der Frau vor Unterdrückung muss immer an oberster Stelle stehen. Von vielen Frauen wird das Kopftuch aber genauso als Zeichen der Unterdrückung empfunden. Außerdem ist Österreich ein säkulärer Staat, ein Verbot des Kopftuchs an Schulen, Universitäten und im öffentlichen Dienst, das selbst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als zulässig erachtet, ist daher längst überfällig. Österreich muss dem Beispiel von Frankreich, Italien, Belgien, Niederlande, Spanien etc. folgen und entsprechende Verbote umsetzen.

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    Petra Steger, FPÖ-Jugendsprecherin

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    Ein Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst ist ein diskriminierender Vorschlag gegen muslimische Frauen. Die Maßnahme verletzt den Gleichheitsgrundsatz. Frauen, die ein Kopftuch tragen, wird dadurch der Zugang zum öffentlichen Dienst erschwert. Ich möchte betonen, dass das Kopftuch kein islamisches Symbol ist, sondern eine Religionspraxis, die in Österreich immer schon toleriert wurde. Seit 1912 ist der Islam in Österreich rechtlich anerkannt. Ich verstehe nicht, warum Außenminister Kurz und Justizminister Brandstetter diese Vorreiterrolle durch populistische Forderungen untergraben wollen. Es scheint, als würden sich einige Politiker mit einer Salamitaktik politisch profilieren wollen – und das auf dem Rücken der Muslime in Österreich. Zuerst war es das Islamgesetz, wo Kurz schon eine unrühmliche Rolle eingenommen hat; dann das Burkaverbot; und nun das Kopftuchverbot.

    Wenn man mehr für die Integration von Musliminnen tun will, muss man die Schulbildung und die Berufsausbildung fördern. Jedes Mal das Kopftuch zu verbieten, ist eine wirklich heuchlerische Debatte. Seit einiger Zeit bemerke ich, dass mit der österreichischen Tradition des Dialogs gebrochen wird. Obwohl wir Integrationsbotschafter haben und versuchen, miteinander zu reden, erfahren wir in Wirklichkeit alle Vorschläge von Kurz aus den Medien. Offenbar ist es derzeit en vogue, etwas gegen Muslime zu unternehmen, egal auf welcher Ebene. Aber haben wir das wirklich nötig? Österreich ist ein säkularer Staat, der immer sehr gut mit seinen Religionsgemeinschaften umgegangen ist. Ich glaube nicht, dass diese Politik bis jetzt den sozialen Frieden geschadet hat. Wichtig ist ja, was man im Kopf hat, und nicht, was drauf ist.

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    Omar Al-Rawi, SPÖ-Gemeinderat in Wien und Vorstand der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen

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    Die Diskussion ist nachvollziehbar. Ein Problem ist aber die Häufigkeit und Permanenz der Debatte. Dass Bagatellthemen nach vorne gestellt werden und ernstere Themen weniger Aufmerksamkeit erfahren. Das tut auf Dauer nicht gut, den Menschen mit muslimischen Background und auch der Mehrheitsgesellschaft nicht. Die Debatte um den öffentlichen Dienst ist mir auch zu grobschlächtig: Wir müssen über die Markanz religiöser Symbole diskutieren. Wenn jemand eine Halskette mit einem Kreuz trägt – das würde ja niemanden stören. Es geht um die Expressivität. Ein kleines Kreuz ist nicht raumwirksam. Ein Kruzifix an der Wand schon. Die Diskussion um die Frage der Dominanz der religiösen Symbole fehlt mir.

    Kopftücher sind sehr dominante religiöse Zeichen. Es wäre aber Ungleichbehandlung, wenn man einer Gruppe sagt, sie dürfen, der anderen aber nicht. Ob eine Buchhalterin im Finanzamt ein Kopftuch trägt, halte ich für belanglos. Wir sollten uns auf Bereiche des Staats konzentrieren, die Ausstrahlungskraft haben: Gerichtssäle, zum Beispiel, und insbesondere den pädagogischen Bereich. Grundschulen und Pflichtschulen sollten Schutzräume sein, wo religiöse Zeichen zurückgenommen sind, damit Kinder nicht zu früh religiös imprägniert werden.

    Das Signal, das vom Kopftuch ausgeht ist problematisch und die Debatte ist zu Recht zu führen. Es steht für Verschiedenes und wird von Frauen auf unterschiedliche Weise gelesen. Aber ein Punkt, wo sich die meisten wiederfinden, ist die Grundidee, dass Frauen Männer zu sündigen Gedanken bewegen, also eine Bedrohung darstellen. Das ist die weit verbreitete religiöse Argumentation und das Bild, das ausgesendet wird. Das Kopftuch an sich widerspricht damit dem Gedanken der Gleichheit.

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    Kenan Güngör, Soziologe

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