Österreichs erste First Lady

Kyrle mit Vater Adolf Schärf, Prinz Bernhard & Königin Juliana der Niederlande
Martha Kyrle repräsentierte die Republik acht Jahre lang an der Seite ihres Vaters, des Bundespräsidenten Adolf Schärf. Und sie hat viele Erinnerungen an diese Zeit.

Für sie wurde der Begriff "First Lady" geschaffen, diese Funktion gab es vor ihr in Österreich gar nicht. Erst als Adolf Schärf Bundespräsident wurde, stellte sich die Frage: Wer wird die Frau an seiner Seite sein? Da Schärfs Gemahlin kurz vor seiner Wahl verstorben war, bat er seine Tochter, diese Aufgabe zu übernehmen.

"Das war keine leichte Entscheidung", erinnert sich Martha Kyrle heute, kurz vor ihrem 100. Geburtstag, den sie in erstaunlicher Frische begeht. "Ich musste meinen Beruf als Ärztin aufgeben, um mich voll dieser Herausforderung widmen zu können, aber meinem Vater zuliebe habe ich es gemacht."

Österreichs erste First Lady
Martha Kyrle, Wien am 11.04.2017

Und sie hat es nie bereut. Große Reisen standen auf dem Programm, und in Wien wurden gekrönte und ungekrönte Häupter aus aller Welt empfangen. "Es war sehr interessant, diese Persönlichkeiten kennen zu lernen", sagt Martha Kyrle, die sich – während die Staatsmänner über Politik sprachen – um das Damenprogramm kümmerte.Es gab bis dahin in der Zweiten Republik keine First Ladys, weil Schärfs Vorgänger Karl Renner und Theodor Körner weder Reisen unternahmen, noch Staatsgäste empfingen. Außerdem lebte Renners Frau Luise vollkommen zurückgezogen und Körner war Junggeselle.

Öffnung des Landes

"Als mein Vater 1957 gewählt wurde, war die Situation dann eine ganz andere", sagt Martha Kyrle. Österreich hatte den Staatsvertrag und wollte sich öffnen, es war jetzt für die Wirtschaft und den Tourismus wichtig, das Land weltweit zu präsentieren."

Der erste Staatsbesuch an der Seite des Bundespräsidenten führte Martha Kyrle im Oktober 1959 nach Moskau, wo sie indirekt Bekanntschaft mit dem KGB machte: "Wir wohnten im Kreml, eines Tages betrat ich das Zimmer meines Vaters und sagte zu ihm, dass ich bei dem schlechten Wetter eigentlich Stiefel hätte mitnehmen sollen. Kaum war ich wieder in meinem Zimmer, ging die Tür auf und jemand fragte: ,Sie brauchen Stiefel?’"

Die Wände haben Ohren

Die Wände hatten offenbar Ohren, damals im Kreml.Politischer und gesellschaftlicher Höhepunkt während der Präsidentschaft von Adolf Schärf war das Gipfeltreffen von John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow im Juni 1961 in Wien. Österreich war stolz, sich von seiner besten Seite zeigen zu können, wobei sich die 1500 nach Wien gereisten Journalisten mehr aufs Damenprogramm als auf die große Weltpolitik konzentrierten. "Das lag daran", verrät Martha Kyrle, "dass die Männer hinter verschlossenen Türen verhandelten und kaum etwas davon nach außen drang".

Also schrieb die Weltpresse über Jackie Kennedys und Nina Chruschtschows Besuche in der Spanischen Hofreitschule, im Restaurant Kerzenstüberl und im Palais Pallavicini, wohin sie von Martha Kyrle geleitet wurden. "Mit Mrs. Kennedy sprach ich Englisch, Frau Chruschtschow hatte zwar angekündigt, 19 Sprachen zu beherrschen, aber wir konnten uns trotzdem nur über Dolmetscher unterhalten, weil das alles russisch-slawische Dialekte waren."

Österreichs erste First Lady
Königin Sirikit, Martha Kyrle Polizeipräsident Josef Holaubek (v. l.), Wien 1964 Foto: Präsidentschaftskanzlei

Den Vater versteckt

Martha Kyrle wurde am 17. April 1917 als Tochter des Rechtsanwalts Adolf Schärf und seiner Frau Hilda in Wien geboren. Nach einer wohlbehüteten Kindheit verlebte sie schwere Jugendjahre, da ihr Vater 1934 als sozialdemokratischer Bundesrat und danach in der Nazizeit mehrmals verhaftet wurde. Im Jänner 1945 konnte sie ihn als Medizinstudentin in einem Spitalsbett im Allgemeinen Krankenhaus verstecken und so vor einer neuerlichen Festnahme retten.

Martha Schärf absolvierte zunächst das Reinhardtseminar und war Schauspielerin am Stadttheater Zürich, ehe sie sich entschloss, in Wien Medizin zu studieren. Sie wurde nach dem Krieg Fachärztin für Dermatologie und heiratete den prominenten Chirurgen Paul Kyrle.

"Herrenprogramm"

Zweifellos waren die acht Jahre als First Lady die glanzvollsten in ihrem Leben. Gerne erinnert sie sich an die Staatsbesuche der Königin Juliana und des Prinzen Bernhard der Niederlande (in diesem Fall war Martha Kyrle für das "Herrenprogramm" zuständig), der Könige von Schweden und Dänemark und des thailändischen Königs Bhumibol mit seiner schönen Frau Sirikit, die von den Österreichern wie eine orientalische Märchenprinzessin bewundert wurde.Martha Kyrle musste aber auch miterleben, wie ihr verwitweter Vater in seinem hohen Amt immer einsamer wurde. "Als Bundespräsident hatte er zwar mit vielen Menschen zu tun, aber das Protokoll erlaubte kaum private Kontakte und schuf eine Distanz zu früheren Freunden."Die einzige engere Beziehung, die in diesen Jahren entstand, war die mit dem Schah von Persien und seiner Frau Farah Diba, was wohl auch daran lag, dass der Schah in Österreich nicht nur Staatsgast, sondern auch Patient von Schärfs Schwiegersohn Paul Kyrle war. "Ex-Kaiserin Farah Diba schickt mir heute noch jedes Jahr Grüße aus Paris", freut sich Martha Kyrle.

Schah am FlughafenAdolf Schärf starb 1965 in seinem 75. Lebensjahr, weil er trotz einer schweren Verkühlung darauf bestanden hatte, den Schah vom Flughafen Schwechat abzuholen.Dass Martha Kyrle morgen, Montag, in relativ guter Verfassung ihren 100. Geburtstag feiert, führt sie darauf zurück, dass sie gesund gelebt, nie geraucht und trotz der vielen Empfänge, an denen sie als First Lady teilnahm, nur wenig Alkohol getrunken hat. Gefeiert wird mit ihren beiden Söhnen, fünf Enkeln und acht Urenkeln.

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