Briefwähler verschoben kräftig Mandate
Die Briefwähler haben die Mandatsverteilung der Nationalratswahl noch kräftig geändert. Die SPÖ verlor gegenüber dem vorläufigen Endergebnis vom Sonntag ein Mandat auf jetzt 52 und die FPÖ sogar zwei auf 40. Umgekehrt gewannen die ÖVP eines dazu auf 47 und die Grünen zwei auf 24. Das Team Stronach blieb unverändert bei elf, die NEOS bei neun. Die Wahlbeteiligung ist durch die 534.944 abgegebenen Briefwahlstimmen von zunächst 65,91 auf 74,42 Prozent gestiegen.
Koalitionen: Alles beim Alten
Die neuen Mandatsstände eröffnen allerdings keine neuen Koalitionsvarianten: Rot-Schwarz ist nach wie vor die einzige realistische Zweier-Regierung mit einer Mehrheit von 99 Nationalratssitzen, Schwarz-Blau hat mit 87 weiter zu wenig. Die von Teilen der ÖVP angedachte Dreiervariante ÖVP-FPÖ-Stronach hätte mit 98 ebenfalls genug. Nicht ausgehen würde sich eine Rot-Grün-NEOS-Regierung; sie kommt auf nur 85 Sitze im Hohen Haus.
Grünes Plus ist gewachsen
Die Stimmenanteile haben sich durch die Briefwähler wie folgt verändert: Die SPÖ hat jetzt 26,86 Prozent, das ist ein Minus von 2,40 Prozentpunkten gegenüber der Wahl 2008. Die ÖVP liegt jetzt bei 24,01 (-1,97), ist also näher an die SPÖ herangerutscht - und hat den Abstand zur drittstärksten FPÖ vergrößert. Diese verlor mit den Briefwählern ein wenig auf 20,55 Prozent, ihr Plus gegenüber 2008 reduzierte sich auf 3,01 Prozentpunkte. Umgekehrt ist das Plus der Grünen größer geworden - mit 1,91 Prozentpunkten mehr kamen sie auf 12,34 Prozent. Am Wahlsonntag war die SPÖ mit 27,10 Prozent, die ÖVP mit 23,81, die FPÖ mit 21,40 und die Grünen mit 11,46 Prozent ausgewiesen worden.
Die neuen Gesichter im Nationalrat:
Das Team Stronach verlor durch die Briefwähler ein wenig, von zunächst 5,79 auf jetzt 5,74 Prozent - umgekehrten legten die NEOS von 4,80 auf 4,93 Prozent zu. Ein von den Meinungsforschern für möglich gehaltenes weiteres Mandat ging sich für sie allerdings nicht aus. Das BZÖ hat sich mit jetzt 3,53 Prozent (Sonntag: 3,63) noch weiter von der Vier-Prozent-Hürde entfernt.
31.000 Stimmen fehlen noch
Das nun vom Innenministerium veröffentlichte Ergebnis ist noch nicht der Endstand. Denn am Donnerstag müssen noch die rund 31.000 Wahlkarten ausgezählt werden, die am Sonntag in "fremden" Wahlkreisen abgegeben wurden. Insgesamt wurden 668.658 Wahlkarten ausgestellt, was 10,47 Prozent der Wahlberechtigten entspricht. 543.139 davon wurden für die Briefwahl verwendet (534.944 dieser Stimmen waren gültig) - und ein Teil der Wahlkarten wurde bereits am Sonntag mitgezählt, weil die Wahlkarten in Wahllokalen im eigenen Wahlkreis abgegeben wurden.
Die Briefwahl wurde bei der heurigen Wahl - der zweiten, wo sie möglich war - wesentlich stärker genutzt. 2008 wurden 375.634 Briefwahlstimmen abgegeben, um 167.505 weniger als heuer. Die Wahlbeteiligung bleibt heuer allerdings inklusive Briefwahl (und auch den noch auszuzählenden Wahlkarten) am Tiefststand.
Demnächst dürfen die Regierungsparteien ihre leeren Wahlkampf-Schlagworte mit Inhalt füllen: Wirtschaft entfesseln? Ja bitte! Dazu müssen die Arbeitskosten gesenkt, der Bürokratiedschungel durchforstet werden. Und wieso kostet eigentlich eine Patentanmeldung in Österreich um so viel mehr als in Deutschland oder Holland?
Die SPÖ könnte ihre Börsephobie ablegen und die Idee eines Mindestlohns von 1500 Euro wieder in die Kiste mit den Wahlkampf-Gags zurücklegen. Das ist nur als Kombilohn (mit staatlichen Zuschüssen) realistisch. Hinter dem SPÖ-Plakat-Schlagwort „Bildung“ wiederum steckt hoffentlich mehr als nur Gesamtschul-Ideologie aus den Siebzigern. Wenn fast 100 Prozent der Wiener Poly-Absolventen einen Nachschulungsbedarf haben, dann herrscht Alarmstufe Rot. Der Wiener bfi-Chef hat im KURIER eine „Berufsgrundbildung“ vorgeschlagen, eine neue Kooperation zwischen Schulen, Firmen und außerschulischen Institutionen, in der auch das Sozialverhalten Thema ist. Bitte aufgreifen!
Natürlich ist der Blick in die Steiermark (wo die Blauen bei dieser Wahl nach großkoalitionären Reformen auf Platz eins landeten) nicht ermutigend. Aber wenn Parteien verlieren, weil sie verantwortungsvoll das Richtige machen, ist es immer noch besser, als zu verlieren, weil man nichts getan hat.
Spätestens nach dem turbulenten Wahlsonntag ist nun klar, wer der wahre politische Erbe von Jörg Haider ist: nicht Josef Bucher. Der Kärntner Wirtssohn, der bis zuletzt den Umfragen nicht trauen wollte, flog nach dem Willen des Wählers samt seinem BZÖ nach acht Jahren aus dem Nationalrat. Das Bündnis ist nun nur mehr im Kärntner Landtag vertreten, mit zwei Abgeordneten, und im EU-Parlament mit einem - selbst dort wurde das Mandat erst durch das Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags errungen.
Das BZÖ hatte in den vergangenen Jahren wenig zu lachen: diverse Affären und Parteifinanzierungsvorwürfe, die Abspaltung der Kärntner Landesgruppe durch die Gebrüder Scheuch und zu guter Letzt die Abwerbung der eigenen Funktionäre durch die Funktionärs-Hasser-Partei Frank Stronachs. Von den 21 bei der Wahl 2008 errungenen Mandaten waren zuletzt nur noch zwölf übrig. Auch der "saubere Schnitt", die Neuaufstellung der Kandidatenliste, und Buchers ambitionierter Wahlkampf habe nicht mehr viel ausrichten können.
Ausweg in den Landtag?
Und Bucher? Ist jetzt beschäftigungsfrei. Theoretisch könnte der Parteichef nach seinem Abschied aus dem Nationalrat in den Landtag wechseln. Dazu müsste allerdings einer der beiden orangen Mandatare, Johanna Trodt-Limpl oder Wilhelm Korak, auf seinen Sitz verzichten. Die beiden hatten nur wenige Wochen nach der Landtagswahl einen heftigen Konflikt mit der Bundespartei ausgetragen und drohten sogar mit Parteiaustritt. Entsprechend gering war am Montag die Bereitschaft der beiden, für Bucher Platz zu machen. „Ich werde sicher keine Verzichtserklärung unterschreiben“, sagt Willi Korak, „Wer bundesweit so ein schlechtes Ergebnis einfährt, hat nichts im Landtag verloren.“ „Er hat unsere Arbeit eher behindert als gefördert“, nimmt sich Korak kein Blatt vor den Mund. „Wenn er mir jetzt die Hand entgegenstreckt, werde ich meine zurückziehen.“
Es gibt allerdings auch noch eine andere Möglichkeit für Bucher, in den Kärntner Landtag zu kommen. Die Orangen haben ja das Wahlergebnis beim Verfassungsgerichtshof beeinsprucht, weil im Bezirk St. Veit/Glan eine BZÖ-Stimme als ungültig gewertet wurde. Auf dem Stimmzettel war eine "pornografische Karikatur" angebracht worden. Damit hatten die Grünen gegenüber dem BZÖ um eine Stimme die Nase vorn und bekamen ein fünftes Mandat. Sollte der VfGH diese Stimme den Orangen zusprechen, herrschte Stimmengleichstand. Dann entscheidet das Los darüber, welcher Partei der Landtagssitz zufällt. Ob Bucher überhaupt Interesse hat, in den Kärntner Landtag einzuziehen, war am Montag nicht bekannt. Der orange Obmann war weder für Parteifreunde noch für die Presse erreichbar. Was die Finanzen der Partei anbelangt, bekommt das Bündnis heuer noch öffentliches Geld, damit ist erst ab 2014 Schluss.
Porträt Josef Bucher:
Was Bucher jedoch freuen dürfte, ist das Schicksal von zwei der Abtrünnigen: Trotz Wechsels zu Stronach hat es für zwei Ex-BZÖ-Abgeordnete nicht mehr für ein Mandat gereicht. Sowohl der Kärntner Stefan Markowitz als auch der Salzburger Erich Tadler verpassten einen Sitz im Nationalrat. Ex-"Miss World" Ulla Weigerstorfer muss darauf hoffen, dass die ehemalige ORF-Generaldirektorin Monika Lindner ihr Mandat auch tatsächlich nicht annimmt. Die hat sich zwar bereits vor längerer Zeit aus dem Team Stronach zurückgezogen. Ein Mandat stünde ihr aber zu.
Ablinger wackelt, Öllinger draußen
Offen ist auch, ob die Linzer SP-Wackelkandidatin Sonja Ablinger noch einen Platz im Parlament ergattern kann. Das wird sich erst entscheiden, wenn die Wahlkarten vollständig ausgezählt sind. Zwar ist davon auszugehen, dass in SPÖ in Oberösterreich noch ein Mandat verliert, entscheidend ist aber, in welchem Wahlkreis: Ein Mandat weniger auf Landesebene bedeutet das Aus für Ablinger, geht das Mandat hingegen im Innkreis verloren, ist die Chance intakt."Wenn es nicht klappt, möchte ich wieder unterrichten", sagt die Vorsitzende der oberösterreichischen SP-Frauen, die vor ihrer Polit-Karriere als Englisch und Geschichtslehrerin tätig war, zum KURIER. Der SP-Frauenorganisation bleibt sie auf jeden Fall erhalten: "Ich bin quasi Feministin von Beruf."
Unklar ist, wer an Ablingers Stelle das Themenspektrum Netzpolitik besetzen wird. "Ich fände es schade, wenn das einschläft, denn ich denke, es ist uns gelungen, uns hier recht gut zu positionieren. Aber es rücken ja auch wieder neue nach, denen werde ich das Thema sicher sehr ans Herz legen."
Auch in der ÖVP gibt es Sessel-Verluste: Prominentester Abgang ist nach jetzigem Stand Sparkassen-Generalsekretär Michael Ikrath, der sein Direktmandat verfehlte.

Die Newcomer
Mit den Grünen ziehen dafür einige neue Gesichter ein: Wie erwartet schaffte es die ehemalige Vorsitzende der Hochschülerschaft, Sigrid Maurer. Dazu kommen noch Julian Schmid, der dem Grünen Wahlkampf als "Posterboy" gedient hatte, sowie etwas überraschend die bekannte Psychotherapeutin Eva Mückstein.

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