"Momentan wirkt die ÖVP wie eine uralte Tante"

Sieben Jahre lang war Heidi Glück Pressesprecherin und Strategieberaterin von Wolfgang Schüssel, dem letzten Bundeskanzler der ÖVP. Schüssel hielt sich 12 Jahre an der schwarzen Parteispitze. Aus heutiger Sicht, wo die Parteichefs nach rund zwei Jahren frustriert das Handtuch werfen, ein absoluter Rekordwert. Auch wenn Glück seit vielen Jahren nicht mehr in der Politik tätig ist, weiß sie, warum gerade die DNA der ÖVP so schwer in den Griff zu bekommen ist.
KURIER: Frau Glück, es gilt als fix, dass der ÖVP-Bundesparteivorstand Sebastian Kurz am Sonntag zum neuen Parteichef ernennen wird und ihn wahrscheinlich mit einer Art Generalvollmacht ausstatten will. Wird dieser Deal halten oder wird es in alter Parteitradition schon bald die ersten Zurufe aus den ÖVP-Bundesländern geben?
Heidi Glück: Ich würde sagen: Skepsis ist immer angebracht. Das weiß man aus der Vergangenheit. Ich kann der Partei nur raten, sich an die Beschlüsse, die gefasst werden, auch zu halten. Die Partei steht an einer Weggabelung: Zwischen der Chance auf Sieg oder dem Niedergang. Zwischen den 42,3 Prozent, die Wolfgang Schüssel 2002 erreichte, und den Umfragewerten heute liegen Welten. Nicht einmal mehr die Hälfte ist noch vorhanden. Daher ist es ganz wichtig, die Zentrifugalkräfte der letzten Jahre einzudämmen und dem Bundesparteiobmann wieder mehr Gewicht zu geben. Im Moment wirkt die Partei wie eine uralte Tante.
Sebastian Kurz will einige revolutionäre Änderungen. Wird es eine schnelle Entscheidung pro Kurz am Sonntag geben?
Die ÖVP braucht die Öffnung und neue, moderne Inhalte. Wenn sie wieder attraktiv werden will, dann muss es am Sonntag eine schnelle Entscheidung geben und Sebastian Kurz mit dem Pouvoir ausstatten, das er haben will. Eine lange Debatte wäre schlecht und das Signal für ein mühvolles Ringen.
Sebastian Kurz will mit einem "Macron light"-Modell in den Wahlkampf gehen, wo die ÖVP seine eigene Liste nur unterstützt. Wird Kurz das auch durchsetzen können?
Es ist sicher sehr wichtig, auf einen Persönlichkeitswahlkampf zu setzen und die Partei in der Wahlwerbung nur mitzunehmen. Der Trend geht überall in diese Richtung. Der ehemalige ÖVP-Landeshauptmann Herwig van Staa hat es in Tirol so ähnlich gemacht. Bei ihm hat es funktioniert. Wenn die Partei hier mitgeht, wäre es revolutionär.
" ÖVP muss man können", haben Sie dieses Woche getwittert. Kann Sebastian Kurz das?
Dass er den Turn-around schafft, traue ich Sebastian Kurz aus mehreren Gründen zu: Er kennt die Partei und weiß, die Strukturen der ÖVP können Fluch und Segen sein. Wenn du sie beherrscht, dann machen sie dich stark. Was den Sebastian Kurz auch in der politischen Kommunikation auszeichnet ist, dass er gute Überzeugungsarbeit leisten kann. Er ist ein guter Zuhörer. Er kann und vor allem will er seine Vorstellungen auch erklären. Ein wichtiges Asset von ihm ist, dass er Dinge zu Ende denkt und nicht nur bis zum nächsten Tag. Und: Kurz weiß, wohin er will. Hat man ein Ziel vor Augen, kann man auch andere davon überzeugen. Das war das Manko der letzten Parteichefs, die selber nicht wussten, wo sie die Partei positionieren wollen. Deswegen fragt man sich heute: Wofür steht die ÖVP überhaupt? Man braucht in Wahrheit ja nicht nur einen Generationenwechsel an der Spitze, sondern auch an der Basis und bei den Wählern. Es kann nicht das Wahlprogramm sein, die Pensionisten nicht zu vergrämen. Deswegen finden ja keine Pensionsreformen statt.
Bundeskanzler Christian Kern hat zuerst Sebastian Kurz die Reformpartnerschaft für Österreich angeboten. Nachdem Kurz aber Neuwahlen präferiert, versucht Kern nun, neue Mehrheiten im Parlament zu finden. Wer von den beiden hat nun besser das Zepter des Handelns in der Hand?
Aus meiner Sicht hat Bundeskanzler Kern hier einige Fehler gemacht. Man kann nicht eine Reformpartnerschaft anbieten und fast zeitgleich mit der Opposition in Verhandlungen treten, ohne die Antwort des Adressaten abzuwarten. Das beweist, dass dieses Angebot von Kern reine Taktik und ein Giftzuckerl war. Warum sollte Sebastian Kurz dieses Giftzuckerl freiwillig schlucken? Kerns unbedingten Wunsch weiterzumachen, versteht ohnehin keiner, wenn man sich anschaut, was in den letzten Monaten passiert ist: Es existiert kein Grundvertrauen zwischen den beiden Parteien, keiner gönnt dem anderen den Erfolg, es gibt kein gemeinsames Wollen. Dieses zerrüttete Verhältnis soll ausgerechnet zwischen Kern und Kurz besser werden? Es wäre besser gewesen, wenn Kern Tabula rasa gemacht hätte und diesen Schritt mitgegangen wäre, um herauszufinden, wer vom Wähler die Legitimation erhält, weiter zu regieren.
Unter normalen Umständen hätte Bundeskanzler Kern dieses Wochenende seine Ein-Jahres-Bilanz zelebriert. Hier hat ihm die ÖVP ordentlich einen Strich durch die Rechnung gemacht ...
Kern steht in Wahrheit vor einem Scherbenhaufen, den er mitverursacht hat. Es gab im letzten Jahr nicht eine vertrauensfördernde Maßnahme, die von Kern ausgegangen ist. So hat der Kanzler das gemeinsame Pressefoyer nach dem Ministerrat abgeschafft, er hat kaum den Kontakt zu den ÖVP-Ministern außerhalb des Ministerrates gesucht. Wolfgang Schüssel ist mit seinem damaligen Koalitionspartner in Museen oder in den Tierpark am Abend gegangen. Das hat er nicht gemacht, weil ihm langweilig war, sondern weil er Vertrauen schaffen wollte. Er war es auch, der das gemeinsame Pressefoyer nach dem Ministerrat eingeführt hat, weil Schüssel aus seiner Zeit als Vizekanzler unter Franz Vranitzky wusste, wie schwer es ist, ein mediales Forum als Koalitionspartner zu bekommen.
Wie tickt Außenminister Sebastian Kurz eigentlich ideologisch? Außer seinen Positionen in Flüchtlings- und Integrationsfragen ist noch nicht viel bekannt. Einige Zeitungskommentatoren meinen, er präferiert den Kurs von David Cameron: "Law and order", wirtschaftspolitisch liberal und gesellschaftspolitisch relativ offen. Rechnen Sie auch damit?
Es stimmt, das wird noch spannend, was Kurz hier präsentiert, weil er zu diesen Punkten de facto kaum noch Stellung genommen hat. Er muss die ÖVP als Wirtschaftspartei dringend neu positionieren, weil das die DNA der Partei ist. Wie ich ihn bis jetzt kennengelernt habe, wird er sich für sein Programm gute Leute holen. Er weiß, dass die ÖVP einen Aufbruch braucht. Ich denke, Kurz wird auch den Abstand von der Klientelpolitik suchen, die in den vergangenen Jahren sehr stark ausgeprägt war.
Wenn man sich die ersten Tage nach dem Rücktritt von Vizekanzler Mitterlehner anschaut, dann hat man das Gefühl, dass sich nun alle Parteien gegen Sebastian Kurz einschießen. Früher hieß es im Wahlkampf "Alle gegen Heinz-Christian Strache". Heißt es nun "Alle gegen Sebastian Kurz"?
Diese Strategie baut sich im Moment bei den anderen Parteien auf. Das ist aber auch ein gefährliches Spiel und kann nach hinten los gehen. In diesem bevorstehenden Dreikampf Kern/Kurz/Strache ist Sebastian Kurz das frischeste Gesicht. Von Kurz wird man neue Positionen erfahren, denn die Strategien von den anderen beiden kennt man ja schon. Er hat bei vielen Österreichern hohe Sympathiewerte. Wenn man hier versucht, ein Dirty Campaigning zu starten, dann werden das die Bürger nicht goutieren.
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