Mein Gott – oder was ist christlich?

Mein Gott –  oder was ist christlich?
Das Christentum hat ein Verhältnis zum Staat gefunden, das ein friedliches Zusammenleben ermöglicht.

Viktor Orbán will eine „christliche Demokratie des 21. Jahrhunderts“, Papst Franziskus mahnt im neuen Dokument „Oeconomicae et pecuniaeriae quaestiones“ ein gerechteres Wirtschaftssystem ein und kritisiert die Finanzindustrie als „Ort der Egoismen und Missbräuche“, der Chef der historisch antiklerikalen FPÖ zeigte bei Wahlkämpfen das Kreuz wie eine Monstranz, und bei der türkisen ÖVP vermissen manche christlich-soziale Traditionen. Was ist christlich? Und welche Rolle soll der Glaube in der Politik aufgeklärter Staaten spielen?

Pfingsten ist heute, der 50. Tag nach Ostern, Aufbruch für das Christentum. Die Apostelgeschichte erzählt vom Treffen der Jünger Jesu zum jüdischen Fest Schawout: „Als der Pfingstsonntag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daher fährt und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten. Auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem heiligen Geist erfüllt und begannen in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“

Die Apostelgeschichte wurde um das Jahr 80 wahrscheinlich vom Evangelisten Lukas verfasst, sie behandelt die Lösung der Jünger von der jüdischen Religion, für Katholiken ist sie so etwas wie der Beginn der Kirche.

Gottes Wort und blutiges Schwert

Die Geschichte der katholischen Kirche in den folgenden knapp 2000 Jahren ist wechselhaft. Zunächst waren die Christen eine verfolgte Minderheit im Römischen Reich, wurden unter Kaiser Konstantin mit dem Mailänder Edikt toleriert, 380 unter Kaiser Theodosius wurde das Christentum Staatsreligion. Kriegerische Auseinandersetzungen mit dem Islam in Europa fanden 100 Jahre nach Mohammeds Tod ihren ersten Höhepunkt: 732 schlug Karl Martell bei Tours und Poitiers ein muslimisches Heer.

Die früher selbst Verfolgten missionierten überall mit Gottes Wort und irdischem Schwert, in der Überzeugung, dass es nur einen Weg zu Gott geben könne und „Gottes Gnade“ auch das Tun der staatlichen Herrscher bestimme.

Mit Martin Luthers Thesen begann 1517 die Spaltung des Christentums, die im 30-jährigen Krieg (1618-1648) mit viel Blut gefestigt wurde. Napoleon und das Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation 1806 führten auch zur Verstaatlichung von Kirchengütern. Die Aufklärung brachte die Trennung von Kirche und Staat.

Die christliche Arbeiterbewegung

Das Christentum blieb Teil der Gesellschaft in Europa, vor allem die römische Kirche tat sich aber schwer mit dem Rückzug in die Gotteshäuser. Auf die Industrialisierung und die sozialen Folgen antwortete nicht nur Karl Marx, sondern auch die christliche Arbeiterbewegung. Der sozialdemokratische Theoretiker Otto Bauer schrieb über die um 1873 aufgekommene Bewegung österreichischer Christlichsozialer: „So war die Anklage gegen den Kapitalismus das eigentliche Wesen des christlichen Sozialismus.“ Karl von Vogelsang, einer der Vordenker, war vom evangelischen zum katholischen Glauben übergetreten. Bei ihm und seinen Mitstreitern kam auch die Gegnerschaft zum Liberalismus und eine gehörige Portion Antisemitismus dazu, der bis in die Erste Republik bei den Christlichsozialen eine Rolle spielte.

Gegen Liberalismus und Sozialismus, beide im Kern antiklerikal, veröffentlichte Papst Leo XIII. im Jahr 1891 mit „Rerum Novarum“ die erste Sozialenzyklika. Die Würde der Arbeiter, gerechter Lohn und eine staatliche Sozialpolitik forderte die Kirche von der staatlichen Ordnung.

Christliche Politiker führten zur Diktatur

Das aber war den christlichen Politikern in einigen europäischen Staaten nicht genug, so auch in Österreich. Sie wollten den Staat in Berufsstände einteilen und den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit durch gemeinsame Organisationen auflösen. Die Macht wurde im Zweifel mit diktatorischen Mitteln gesichert, die Kirche gab ihren Segen dazu.

Der Priester Ignaz Seipel, zwischen 1922 und 1929 zwei Mal Bundeskanzler, erwarb sich nach dem Brand des Justizpalastes und den vielen Toten bei den Demonstrationen durch unversöhnliche Worte den Titel „Prälat ohne Milde“. Der Bürgerkrieg stand schon vor der Tür. „Zwischen den Gemeinschaften, welche im Staat neben einander lebten, herrschte eine Kluft, und diese Kluft war durch Angst und Hass abgesichert. Der Nationalsozialismus behauptete dann als lachender und siegender Dritter, diese verfeindeten Lager wieder zu einem einheitlichen Volk zusammen schmieden zu wollen“, beschreibt der Philosoph Erwin Bader das Ende der Ersten Republik in einem Satz. Die Kirche suchte anfangs auch die Nähe zu Hitler, der die Christen aber auch verfolgen ließ.

In der Zweiten Republik mischte sich die Kirche wohl in gesellschaftspolitische Debatten ein, Priester aber gingen nicht mehr in die Politik.

Erstaunlich war, dass ausgerechnet FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache unter Missachtung der antiklerikalen Tradition seiner Partei mit dem Kreuz in der Hand in Wahlkämpfe zog. Im FPÖ-nahen Magazin Zur Zeit wird ausgerechnet zu Weihnachten gerne an die heidnischen Wurzeln christlicher Bräuche erinnert. Dort ist das „Christentum ein Stachel im Fleisch Europas“ , das über Rassen, nicht den christlichen Humanismus definiert werden solle.

Viktor Orbán geht nicht so weit, aber er sieht sich als Retter des Christentums in Europa, gegen den Islam.

Welche Rolle also soll und kann Religion in der Demokratie spielen? Katholische und evangelische Kirche sind in Österreich durch ihre Sozialorganisationen präsenter als durch ihre Glaubenssätze. Aber gerade so öffnen sie sich und unterstreichen das christliche Menschenbild. Dieses ist auf die Person, auf Verantwortung des Individuums aufgebaut, und nicht auf eine „Volksgruppe“, wie das Orbán und andere wollen. Und die Kirchen respektieren den Rechtsstaat und die Grundrechte Einzelner, also die liberale Demokratie.

Der Wandel der katholischen Kirche könnte dem Islam ein Vorbild sein: Nur durch Unterordnung unter den Staat kann eine Religion von allen Menschen akzeptiert werden. Jeder hat das Recht auf seinen Gott, auf seinen Glauben. Das ist Grundlage des christlich-humanistischen Menschenbildes, das nur mit dem Wort, nie mit dem Schwert agiert. Das Kreuz kann so als Symbol der Versöhnung dienen.

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