Scharfe Kritik an Kern-Abgang: "So kann man sich nicht verhalten"

Franz Vranitzky rät, die Wehrpflicht erst dann abzuschaffen, wenn es ein EU-Verteidigungssystem gibt.
Ex-Kanzler Vranitzky mit scharfer Kritik am Stil von Kerns Abtritt. "Ist zu akzeptieren", sagt Kanzler Kurz.

" Christian Kerns Rücktritt ist zu akzeptieren, wir respektieren seine Entscheidung." Mit diesen Worten kommentierte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Mittwoch nach dem Ministerrat den Rücktritt seine Vorgängers im Kanzleramt. "Ich wünsche ihm für seine persönliche Zukunft alles Gute." Angesprochen darauf, ob Kern für den Fall eines Antretens als Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten seitens der Regierung unterstützt werden würde, erklärte Kurz: "Sie verzeihen, wenn ich sage, dass ich glaube, dass sich diese Frage nicht stellt."

Er halte es für sinnvoll, dass die stärkste Partei den Kommissionspräsidenten stellt. "Und ich gehe nicht davon aus, dass das die Sozialdemokraten sein werden - und kenne auch niemanden in Europa, der das tut", sagte Kurz.

 

Kurz akzeptiert Entscheidung von SPÖ-Chef Kern

Vranitzky mit Kritik an Kern

Alt-Bundeskanzler und Ex-SPÖ-Vorsitzender Franz Vranitzky hat an der Art und Weise des angekündigten Rücktritts von Kern scharfe Kritik geübt. "So kann man sich nicht verhalten, so kann man nicht abtreten", sagte er in der Tiroler Tageszeitung auf die Frage, ob er von Kerns Verhalten enttäuscht sei. Zwar sei Kerns Entscheidung zu respektieren, erklärte Vranitzky. Gleichzeitig ließ er aber dennoch recht deutlich Kritik durchblicken: "Natürlich muss man persönliche Entscheidungen respektieren, aber man muss wissen, dass solche Entscheidungen immer ursächliche Auswirkungen auf die Gesamtsituation der Partei haben." Zu den Vorgängen in seiner Partei insgesamt meinte der Alt-Kanzler: "Mich erfasst ein großes Entsetzen."

Der noch zu suchende kommende Vorsitzende der SPÖ müsse das Selbstbewusstsein der Partei wieder herstellen, so Vranitzky. Auch müsse die SPÖ "klar signalisieren, dass nur sie eine echte Feuermauer gegen den Rechtsruck in Österreich ist". Der "zweite Schwerpunkt" müsse die volle Konzentration der Partei auf die Europawahl im Mai 2019 sein. "Und wenn jetzt Christian Kern der Spitzenkandidat ist, trägt er hierfür eine zentrale Mitverantwortung", sagte er.

Androsch gelassen

Gänzlich anders als Vranitzky beurteilt Ex-SPÖ-Finanzminister und -Vizekanzler Hannes Androsch die Rücktritts-Ankündigung Kerns: "Nein, das ist alles keinesfalls so negativ", sagte Androsch. Vielleicht hilft dieser befreiende Doppelschlag der SPÖ aus der Depression", so der Industrielle. "Das ist doch ein ehrenvoller Abgang für den Parteivorsitzenden. Und die SPÖ in die EU-Wahl zu führen, ist eine große und wichtige Aufgabe. Jetzt hat die Partei dafür einen bekannten und guten Spitzenkandidaten, Christian Kern kann damit viel gewinnen", sagte er.

Blanik beklagt "Mitteilungsbedürftige"

Tirols SPÖ-Chefin Elisabeth Blanik hat sich empört darüber gezeigt, dass offenbar aus der Partei Informationen über einen bevorstehenden Rücktritt Christian Kerns an Medien gespielt wurden. Es sei ja bekannt, dass es "einzelne mit einem besonderen Mitteilungsbedürfnis" gebe, sagte Blanik im Gespräch mit der APA. Ein solches Verhalten sei "unsinnig und schädigend". Hier seien offenbar "Halbbotschaften" an die Öffentlichkeit gelangt, von wem auch immer, so Blanik. An der Vorgangsweise Christian Kerns hatte die Tiroler SPÖ-Vorsitzende hingegen nichts zu bekritteln. Dieser sei ein "sensationeller EU-Wahl-Spitzenkandidat".

Nichts anfangen konnte Blanik auch mit der "medialen Darstellung", dass es lauter Absagen für den Posten des SPÖ-Bundesparteichefs hagle. Es sei doch klar, dass sich etwa Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser und der burgenländische SPÖ-Chef und Bald-Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil auch weiter auf ihre Bundesländer konzentrieren würden. Diese brauche man doch eigentlich gar nicht zu fragen, ob sie Interesse am SPÖ-Vorsitz haben, zeigte sich Blanik verärgert. Es gebe in der Sozialdemokratie jedenfalls "genügend Kandidaten" auf den Chefposten. Einen Favoriten wollte sie öffentlich derzeit nicht nennen.

Schickhofer richtet Blick nach vorne

Der steirische SPÖ-Chef Michael Schickhofer  sagte: "So ein Tag wie gestern darf nicht noch einmal passieren", meinte er am Mittwoch im Gespräch mit der APA und sagte weiter: "Der gestrige Tag war kein positiver." Die Partei habe aber einen "klaren Schlussstrich" darunter gezogen. Nun gehe es um die Zukunft der Sozialdemokraten. Der Entschluss Kerns, sich für Brüssel in Stellung zu bringen, sei für ihn überraschend gewesen. Schickhofer hat nach eigenen Angaben erst Dienstagnachmittag von den spruchreifen Plänen erfahren - in den Tagen davor habe es seines Wissens nach aber innerhalb der Partei schon Gespräche über eine mögliche EU-Kandidatur Kerns gegeben.

Wenn Kern nach Brüssel gehe, werde das der Steiermark keinen Nachteil bringen, denn die Kontakte zum roten Noch-Partei-Chef seien gut, so Schickhofer: "Kern hat europäisches Format." Über die Nachfolge wollte sich der Steirer nicht äußern - es stimme aber, dass es bereits "viele Absagen" gab, ebenso wie "viele Zusagen". Er wolle den "steirischen Stil" pflegen: erst verhandeln, dann darüber reden. Er habe mehrere geeignete Kandidaten und Kandidatinnen im Kopf - angesprochen auf Pamela Rendi-Wagner, von der es bisher zumindest keine Absage gab, meinte er, "Pam" sei für ihn eine der Geeigneten.

Schnabel "überrascht"

Der Zeitpunkt der Ankündigung von Christian Kern, als Spitzenkandidat bei der EU-Wahl antreten und sich als Parteichef der SPÖ zurückziehen zu wollen, sei "etwas überraschend", sagte der niederösterreichische Landesparteivorsitzende Franz Schnabl am Mittwoch am Rande einer Pressekonferenz. Man wolle Kern unterstützen, Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten zu werden.

Schnabl sprach von einer "großen Chance für unser Land und die österreichische Sozialdemokratie", die Möglichkeit zu haben, um europäische Spitzenpositionen mitzureden. Zur Frage der Nachfolge von Kern als Parteichef sagte er: "Es gibt viele hervorragende Persönlichkeiten" - einige Namen seien bereits genannt worden, einige nicht. "Wir werden heute den Fahrplan beraten und festlegen", kündigte der Landesvorsitzende in St. Pölten an. Danach werde der Parteichef einige Gespräche führen, es "wird am Parteivorsitzenden liegen, einen Vorschlag zu erarbeiten".

Niessl will rasche Entscheidung

Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) fordert nach der Rücktrittsankündigung vom Bundesparteivorsitzenden Christian Kern rasche und klare Entscheidungen. "Ich glaube, dass die Partei jetzt rasche Entscheidungen und klare Entscheidungen braucht. Die Sozialdemokratie muss innerhalb relativ kurzer Zeit entscheiden, wer der neue oder die neue Vorsitzende ist", so Niessl zur APA.

Diese Entscheidungen könnten "sicher dazu beitragen, dass wieder konstruktive und kantige Oppositionsarbeit im Parlament geleistet wird. Ich glaube, da muss die Sozialdemokratie den Österreichern verpflichtet sein, rasch eine Persönlichkeit an die Spitze zu setzen, die die Regierung kontrolliert und dort kritisiert, wo das auch angebracht ist", sagte der Landeshauptmann am Mittwoch und verwies dabei etwa auf die Rechte der Arbeitnehmer.

Mögliche Nachfolger nannte er im APA-Gespräch nicht. Aber: "Ich sehe durchaus die Persönlichkeiten, die durch die Medien diskutiert werden. Da gibt es einige Frauen und Männer, die im Gespräch sind und ich glaube da hat die Sozialdemokratie einige interessante Kandidaten."

Strache: "Bizarre Überraschung"

Vizekanzler Heinz-Christian Strache sieht in der Entscheidung von SPÖ-Chef Kern, erst nach der Europawahl den Parteivorsitz abzugeben, einen Rücktritt auf Raten. "Ein EU-Spitzenkandidat Kern ist wahrlich eine bizarre Überraschung", sagte der FPÖ-Obmann bereits am Dienstag am Rande seines Aserbaidschan-Besuchs.

Der FPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament Harald Vilimsky sieht in der "Flucht" des abtretenden SPÖ-Chefs Christian Kern den Beweis für den "desolaten Zustand der einst so stolzen Sozialdemokratie". Mit seiner Erklärung, sich selbst zum SPÖ-Spitzenkandidaten für die Europawahl aufzustellen, habe er seine eigene Partei düpiert.

Der grüne EU-Mandatar Michel Reimon zeigte sich von dem Wechsel Kerns nach Brüssel wenig beeindruckt. "Christian Kern ist ein sympathischer Mann. Schauen wir mal, was er politisch in Zukunft macht".

Die liberale EU-Abgeordnete Angelika Mlinar hat Kerns und Kandidatur als "interessante Entscheidung" bezeichnet. Dies werde die EU bis zu den Wahlen zum Chefthema machen, meinte sie gegenüber der APA. Für Österreich sei es immer erfreulich, wenn sich ein Politiker für europäische Ämter in Stellung bringe. Das stärke den Europa-Diskurs im Land.

Seitens der SPÖ-Europaabgeordneten gab es vorerst mit Ausnahme der gestrigen Aussage von Delegationsleiterin Evelyn Regner keine Reaktion. Regner hatte erklärt, sie begrüße es, dass Kern als Spitzenkandidat der SPÖ bei der EU-Wahl antreten wolle und das als "tolle Nachricht aus Wien" bezeichnet.

Kommentare