Koalition: Feilschen um Finanzierung
Die Verhandlungen der Bundesregierung über das erneuerte Regierungsprogramm sind in der Nacht auf Sonntag unterbrochen worden und werden mittags fortgesetzt, wie es im Anschluss hieß. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) betonte dabei, es sei ihm wichtig, dass die Regierung als ein Team auftritt. Was die Finanzen anbelangt, habe man eine "Größenordnung gefunden", die man finanzieren könne.
Es habe "intensive Arbeitssitzungen" gegeben, die Frage der Finanzierung für die Projekte sei dabei ausführlich diskutiert worden, erklärte Kern nach Mitternacht gegenüber Journalisten. Was man sich nun vorgenommen habe, sei "absolut in Reichweite", ebenso die "Methode", wie Einsparungen realisiert werden können, um sich das Paket leisten zu können.
Sechser-Runde ab 13 Uhr
Sonntagmittag - die Sechser-Runde trifft sich um 13 Uhr im Bundeskanzleramt - sollen dann jene Punkte, die weniger finanzielle Belastungen bedeuten, aber politisch wichtig seien, wie Integration, Sicherheit und andere Projekte, diskutiert werden, erklärte Kern weiter.
Der Kanzler betonte, dass es ihm wichtig sei, dass die Bundesregierung als Team auftritt: "Das ist Sinn und Zweck der ganzen Übung." Es solle eine Strategie gemeinsam umgesetzt werden. Nach der "Vorgeschichte" dieser Koalition, den "vielen quälenden Diskussionen", bei denen man eher den Anschein eines Gegeneinanders als eines Miteinanders gehabt habe, soll nun ein Team geformt werden, bei dem jeder seinen Beitrag leiste und gemeinsame Ziele verfolgt werden.
"Mit den Auseinandersetzungen, die wir uns in der Vergangenheit geliefert haben, mit diesem doch ziemlich unwürdigen Schauspiel, auch der gegenseitigen Bezichtigungen, muss Schluss sein", dies sei sein Hauptanliegen, meinte Kern: "Damit wollen wir die Österreicher nicht mehr belästigen."
Kern räumte ein, dass die aktuellen Verhandlungen an jene zur Bildung einer Koalition erinnern. Dies dauere üblicherweise mehrere Wochen, das Update des Regierungsprogrammes soll nun innerhalb einer Woche stehen. Dieses werde als gemeinsame Grundlage dienen und drei, vier große Initiativen für die nächsten 18 Monate enthalten. Auch eine Reihe anderer Reformprozesse soll eingeleitet werden.
"ÖVP betreibt Inszenierung"
Den Vorwurf einer Inszenierung und von Neuwahl-Gelüsten wies der Kanzler zurück: Werde ihm Inszenierung unterstellt, sei dies genau die Inszenierung, die von ÖVP-Seite betrieben werde: "Nicht vom Vizekanzler, mit dem verbindet mich wirklich ein Vertrauensverhältnis." Ihm gehe es um ein Arbeitsprogramm und da sollen alle dahinterstehen.
Apropos dahinter stehen, angesprochen auf Aussagen von Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP), der angekündigt hatte, nicht den gesamten Pakt, sondern nur sein Kapitel unterzeichnen zu wollen, meinte der SPÖ-Chef: Er - Kern - habe die klare Meinung vertreten, warum er es für wichtig erachtet, gemeinsam aufzutreten. Jeder müsse dann selbst für sich die Frage beantworten, ob er bereit ist, im Team zu spielen, oder Eigeninteressen zu vertreten.
Vizekanzler und ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner stellte sich nach dem Abschluss der heutigen Verhandlungsrunde kurz den Journalisten. Auch er berichtete von "intensiven Auseinandersetzungen" mit den Themen. Man sei dabei durchaus weitergekommen. Allerdings sei "die Angelegenheit noch nicht beendet". Mitterlehner hofft, dass es am Sonntag zu einem Schlusspunkt kommt. Gerade in dieser Phase gehe es aber um viele Detailformulierungen und dies sei entscheidend sowie aufwendig. Der Vizekanzler begründete einmal mehr die Notwendigkeit eines Programmupdates, seien doch seither etwa in der Flüchtlingsfrage oder am Arbeitsmarkt Veränderungen eingetreten.
Samstag, Tag vier, im Gezerre um Neustart oder Neuwahl. Nach wie vor war offen, ob SPÖ und ÖVP weiterregieren oder sich trennen werden.
Die Entscheidung hängt an mehreren Faktoren. Zunächst einmal ist da die Frage, worauf sich Rot und Schwarz inhaltlich einigen können, was sie also gemeinsam umsetzen könnten (vulgo "Update des Regierungsprogramms"). Da – so ist auf beiden Seiten zu hören – könnte man durchaus zusammenkommen. Es wurden schon Schnittmengen herausgefiltert. Im Sicherheitsbereich hat man sich bereits verständigt. Auch niedrigere Lohnnebenkosten würden allseits goutiert. Das gilt detto für den Plan, die kalte Progression abzuschaffen. Vieles von dem, was realisiert werden könnte, steht und fällt aber mit der Frage, wie man es finanziert.
Wenig Diskrepanzen
ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling stellte daher gestern wenig überraschend fest, dass dies "der Knackpunkt" sein werde: "Inhaltlich sind die wesentlichen Punkte diskutiert. Da gibt es wenig Diskrepanzen. Der kritische Punkt ist die Gegenfinanzierung – und die kann nur durch Einsparungen erfolgen." Der Minister pochte darauf, dass in einem Pakt festzuhalten sei, wie die Kosten bewältigt werden können. Unterstützung bekam er bei seinem Verlangen nach Budgetdisziplin von Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner, der betonte, dass das Geld nicht mit beiden Händen aus dem Fenster "gehaut" werden dürfe. Schelling ließ jedenfalls in seinem Haus kalkulieren, was all die Vorhaben kosten würden. Damit ging er in die "Sechserrunde", die Samstagabend erneut zusammenkam. In dieser Gruppe sitzen neben dem Finanzminister noch Kanzler Christian Kern, Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, die Regierungskoordinatoren Mahrer und Drozda sowie SPÖ-Klubchef Andreas Schieder. Absehbar war, dass die Herren wieder bis in die Nacht Standpunkte austauschen.
Strategische Überlegungen
Ob die Koalitionäre einen gemeinsamen Nenner finden werden, hängt nicht nur daran, ob die Finanzierung gesichert ist. Zentral sind polit-strategische Überlegungen. Kanzler Kern muss darüber nachdenken, ob er bei einer etwaigen Einigung genug für "seine" Klientel herausgeholt hat – und nicht am Ende als Verhandlungsverlierer dasteht. Er weiß auch, dass er zumindest bis Herbst mit der ÖVP weiterarbeiten muss, wenn es nicht in diesen Tagen zu einem Bruch kommt. Ist das aus seiner Sicht sinnvoll? Könnten bis dahin seine derzeit guten Umfragewerte sinken?
Eine Frage des Willens
Die Schwarzen wollen naturgemäß möglichst viele ihrer Forderungen umsetzen, müssen aber zudem zeigen, dass sie die Hüter solider Staatsfinanzen sind – wie sie gerne behaupten. Hinzu kommt, dass sie kein Interesse daran haben, dass es heißt: "Kern hat ein Ultimatum gestellt, und jetzt geht in der Regierung endlich etwas weiter." Es sind nicht nur diese Gedanken, die eine Übereinkunft erschweren. Hinzu kommt die nicht unwesentliche Tatsache, dass keiner mehr dem anderen traut. Will und soll man da weitermachen? All das spielt im Hintergrund eine Rolle. Ein Insider sagte gestern, es sei durchaus möglich, "ein Gesamtpaket zu schnüren, das die Handschrift beider Partner trägt – aber nur, wenn man das auch wirklich will".
Das kennen wir alle: Wenn man sich auf einen Vertrag geeinigt hat, dann muss unterschrieben werden – rechts unten bitte. Das ist natürlich ein Stück Misstrauen, weil es auch mündliche Verträge gibt. Aber letztlich ist es dann eine Beweisfrage. Und eine Frage des Vertrauens – oder Misstrauens – womit wir bei der Regierung wären.
Sollten sich heute – oder morgen SPÖ und ÖVP doch einigen, dann wäre das wirklich ein Neustart. Dann hätte das Drama der letzten Tage einen Sinn gehabt. Dann würde sich die Regierung auf Maßnahmen im Bereich Wirtschaft und Sicherheit verpflichten. Aber bitte die ganze Regierung. Wir sind einfach dieser Streitereien und Taktierereien müde. Wir wollen, dass Ministerinnen und Minister für ihr Geld arbeiten. Im Ministerrat besteht das Prinzip der Einstimmigkeit. Wenn es jetzt wieder keine Einigkeit gibt, geht das Theater jeden Dienstag wieder los. Schluss damit.
Innenminister Sobotka will nicht unterschreiben. Er zahle ja auch nicht die Telefonrechnung des Nachbar. Der Vergleich hinkt natürlich. Sobotka ist nicht nur Innenminister, er ist auch Chef des ÖAAB in Niederösterreich. Und er will die Richtung der ÖVP mitbestimmen. Das soll er jetzt, in den Verhandlungen machen, und dann kooperieren, wie alle anderen auch.
Die Verfassung bietet dem Bundeskanzler eine – theoretische – Möglichkeit, den Innenminister los zu werden, wenn er nicht unterschreibt. Er kann dem Bundespräsidenten laut Artikel 70 dessen Entlassung vorschlagen. Aber bevor es soweit ist, platzt die Koalition. Wegen einer mangelnden Unterschrift? Ernsthaft? Ja, jetzt wird es ernst, ohne Ausreden und ohne Ausflüchte.
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