Die optimistischen Deutschen streichen das Positive hervor
KURIER: Die ,Lohnsteuer-runter‘-Kampagne des Gewerkschaftsbundes ist soeben angelaufen. 500.000 Unterschriften sind ein bescheidenes Ziel für den ÖGB, oder?
Werner Faymann: Naja, 500.000 Menschen, die eine Forderung unterstützen, ist eine starke Zahl. Man sagt etwas an, und dann übersteigt man es und nicht umgekehrt. Da kann die Regierung etwas lernen für die Öffentlichkeitsarbeit (lacht).
Haben Sie schon unterschrieben?
Ich unterschreibe grundsätzlich keine Unterschriftenlisten, aber ich unterstütze das voll. Ich bin stolz, dass unsere Gewerkschaft – überparteilich bitte! – diesen Weg eingeschlagen hat, statt Streiks und Demos, wie anderswo.
Aber die kalte Progression könnten Sie ja schon mal ohne Kampagne abschaffen.
Wir müssen zunächst einmal außer Streit stellen, was in Deutschland und der Schweiz bereits eine Selbstverständlichkeit ist, nämlich, dass man beim Erben – und wir reden da ohnehin immer von der Millionengrenze – wie in Deutschland auch Steuern zahlt. Oder eine Vermögenssteuer, wie sie in der konservativen Schweiz existiert...
... Wo es deutlich niedrigere Lohnsteuern gibt...
Ja, aber ich kämpfe so, dass ich mir jeden Tag anhören muss, da sei die Perlenkette der Omama in Gefahr, wo jeder weiß, weder die Schweizer noch die Frau Merkel nehmen irgendwem die Perlenkette weg. Bei fairen Steuern haben wir einen Aufholbedarf .
Aber wie werden die 4 bis 6 Milliarden finanziert? Darüber streitet die Regierung, täglich und in allen Details.
Mich stört nur, wenn es polemisch, so gemein, so persönlich und herabwürdigend wird.
Wenn Ihr Klubobmann Schieder von "Märchenstunde des Vizekanzlers" spricht?
Es ist verwirrend, wenn der Sozialminister sagt, die Leute gingen schon später in Pension und VP-Staatssekretär Danninger widerspricht sofort.
Man kann doch sagen, "Jawohl, wir haben bei Pensionen sehr viel gemacht", jetzt geht es darum, Menschen dazu zu bringen, dass sie möglichst lange arbeitsfähig bleiben, und dann muss es auch genügend Arbeitsplätze geben.
In Deutschland sinkt die Arbeitslosigkeit, bei uns steigt sie. Die deutsche Regierung macht was besser.
Wir haben uns sehr genau die Stärke Deutschlands angesehen, das ist die Kaufkraft , die Leute investieren mehr als bei uns.
Bei uns werden Lohnerhöhungen weggesteuert.
Genau, weniger Steuern sind ein Impuls für mehr Kaufkraft. Und Finanzminister Schäuble und auch die deutsche Kanzlerin streichen schon mit mehr Optimismus das Positive hervorstreichen. In Österreich hat man die ständige Diskussion, dass es hart ist. Das weiß ja eh jeder.
Eine Kritik am Vizekanzler? Ist er zu negativ?
Nein, das ist eine Bitte an alle, wir dürfen Österreich nicht schlechtreden. Das braucht keiner, kein Forscher, kein Journalist. Das ist ein Appell an positive Formulierungen.
Aber die Senkung der Arbeitskosten wird seit Jahrzehnten versprochen.
Wir haben in der vorigen Periode eine Steuerreform gemacht, nachdem die ÖVP im Wahlkampf gesagt hat, das geht nicht. Sechs Monate später war es soweit. Dieses Mal wird es ein bisschen länger dauern. Ob es Juli oder September oder in drei Phasen in Kraft tritt, das kann man alles ausverhandeln, aber nächstes Jahr soll das passieren. Der öffentliche Druck hat in unserem Land mehr Wirkung, als wenn jemand Teil einer Koalitionsregierung ist.
Sie wollen öffentlichen Druck gegen den Vizekanzler. Aber Sie hängen sich an die Unterschriftenaktion auch an, weil Sie sonst am SPÖ-Parteitag Probleme hätten.
Naja, am Parteitag ist man gewählt mit 50 Prozent und einer Stimme, und ich muss ehrlicherweise sagen, es allen Menschen recht machen geht auch nicht in einer Partei. Ich versuche alles, was es an Kritik und Verbesserungsvorschlägen gibt, sehr ernst zu nehmen. Aber die Steuern müssen wir nicht wegen dem Parteitag senken, sondern weil sie zu hoch sind.
Aber die Aktion soll auch am Parteitag helfen.
Ganz egal, wo ich hinkomme, sagt jeder, wie gibt es denn das, dass konservativ geführte Länder, wie Deutschland unter einer CDU Führung, mehr vermögensbezogene Steuern haben als Österreich.
Es gibt nach wie vor viele Steueroasen und US-Konzerne, die ihre Erträge in Europa kaum versteuern. Ist der Luxemburger Juncker da der Richtige in der EU , um das zu verbessern?
Juncker hat natürlich durch seine Vergangenheit in Luxemburg zwei Themen, wo er sehr genau beobachtet wird. Das eine, er war immer ein Gegner der Finanztransaktionssteuer, die wir wollen. Das zweite ist , dass Luxemburg auch eines der Länder als Bankenstandort ist, wo Experten alle möglichen Schlupflöcher suchen – nicht die Regierung, sondern die Banken und Finanzinstitute. Da wird er sicher auf dem Prüfstand stehen. Wo Juncker ein hervorragendes Zeugnis hat aus seinem bisherigen Leben, ist, dass er ein christlich sozialer Mensch ist, dem soziale Werte etwas bedeuten. Das war spürbar. Eine meiner Lieblingsaussprüche von ihm ist "Wir kennen die Regeln des Marktes, aber die Leute sind uns etwas wert, und darum müssen wir das in Einklang bringen". Und das scheint mir so entscheidend.
Eine steile, kurvenreiche Straße führt von Bozen auf ein Hochplateau. Hier, auf Schloss Prösels, wird hinter dicken Festungsmauern über die Rolle der Regionen in der Europäischen Union diskutiert.
Verfassungsexperten, Schriftsteller Robert Menasse, der weltberühmte Bergsteiger Reinhold Messner, Wissenschaftler und Politiker sind an diesem Wochenende auf Einladung der Südtiroler Landesregierung zusammengekommen, um den Regionen eine große Zukunft in der EU vorauszusagen und den "Tod des Nationalstaates" (Menasse) zu verkünden.
Unter den Gästen sind auch die Regierungschefs aus Österreich und Italien, Werner Faymann und Matteo Renzi. Das ganze Dorf ist auf den Beinen, weil der neue Ministerpräsident aus Rom zu Besuch ist.
Frauen in bunter Tracht verteilen Rosensträußchen, kleine Mädchen laufen aufgeregt herum. Es ist ein historischer Moment, denn das erste Mal treffen sich der österreichische Bundeskanzler und der italienische Regierungschef auf Südtiroler Boden. Für Südtirol hat Österreich immer noch eine Schutzfunktion inne.
Faymann und Renzi halten bei der Konferenz recht kurze Statements. "Wer Frieden will, muss über die soziale Frage reden und Probleme gemeinsam lösen, kein Staat, keine Region kann Wachstum alleine schaffen oder die Arbeitslosigkeit alleine bekämpfen", sagt Faymann.
Renzi hört ihm aufmerksam zu, sie tauschen Blicke, die beiden Sozialdemokraten verstehen sich, sie sind abgestimmt. Der Bundeskanzler verlangt, den Stabilitätspakt neu zu interpretieren. Den Gegnern weicherer Kriterien sagt er, dass "Wachstum und eisernes Sparen gleichzeitig nicht möglich sind". Für Wachstum braucht es Investitionen in Infrastrukturprojekte, die über "Projekt-Bonds" finanziert werden sollen.
Elan wie bei Bankenrettung
Dann tritt Renzi ans Rednerpult: Energisch, mit hochgekrempelten Ärmeln steht er mit seinem weißen Hemd und blauer Krawatte vor den Gästen. "Ich wähle Faymann", macht er seinem EU-Kollegen Komplimente.
Angestrengt hören die Teilnehmer dem jungen Ministerpräsidenten zu, es ist schwül im holzgetäfelten Saal des Schlosses. "Ich stimme mit Faymann total überein, wenn es darum geht, die soziale Frage Europas mit demselben Elan und Überzeugung anzugehen, wie vor Jahren marode Banken gerettet wurden."
Unerträglich findet er die hohe Jugendarbeitslosigkeit in der EU, auch in Italien. "Wenn schlecht über uns geredet wird, dann sind wir selber schuld. Wir müssen uns am Schopf ziehen und machen, was in der Vergangenheit versäumt wurde, wir müssen Reformen durchziehen." Er sei "kein Verschrotter", sagt Renzi, er wolle aus Fehlern lernen und den Italienern eine neue Hoffnung geben. Das hören seine Landsleute gerne.
Nach den kurzen Reden ziehen sich Faymann und Renzi ins Jagdzimmer zurück. Keiner soll die beiden stören, wenn sie über die derzeit wichtigste Sache Europas reden und Strategien schmieden, wer die hochrangigen EU-Jobs bekommen soll.
Beim Vieraugen-Gespräch planen sie aber auch die Trendumkehr in der Europa-Politik. "Wir sind beide dafür, dass die Wachstums- und Beschäftigungspolitik der Schwerpunkt der neuen EU-Kommission werden soll", betont nach dem Tête-à-Tête der Bundeskanzler im KURIER-Gespräch.
Vizepräsident für neue Jobs
Faymann: "Es muss eine Vizepräsidentin oder einen Vizepräsidenten in der Kommission für Beschäftigung und Wachstum geben. Wir sind die Lobbyisten für die soziale Frage." Wer diesen Posten bekommen soll, ist offen.
Faktum ist: Um nach Rettungsschirmen und Banken-Hilfspaketen sechs bis sieben Millionen arbeitslosen Jugendlichen in der EU eine Perspektive zu geben, wollen die europäischen Sozialdemokraten stärker als bisher kooperieren. Das haben Faymann und Renzi in den Südtiroler Bergen beschlossen. "Für innerstaatliche Reformen brauchen wir auch Resultate auf europäischer Ebene, wir brauchen Programme, die den Menschen etwas bringen und die Konjunktur nicht abwürgen", erklärt Faymann. "Das ist auch eine Waffe gegen nationalistische und rechtsextreme Politiker in Europa."
Den Südtirol-Besuch beendet Matteo Renzi mit einer Besichtigung des Brennertunnels. Ein Helikopter bringt ihn und den Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher zur größten Baustelle Europas. 2026 soll der Tunnel fertig sein. "Die europäischen Probleme müssen wir aber schneller lösen", betonte der Bundeskanzler auf dem Rückflug von Bozen nach Wien. Und schnell holt ihn die heimische Realität und der Streit über die Steuerentlastung mit der ÖVP wieder ein.
Er habe den jüngsten Worten von Finanzstaatssekretärin Sonja Steßl (SPÖ) nichts hinzuzufügen, sagt Faymann. Steßl hatte "keine Dramatik" beim Budget gesehen.
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