Internetforen: Zwischen Einsamkeit und digitaler Gemeinschaft
Es gibt viele Gründe, warum sich junge Menschen von der realen Welt abkapseln: Sie fühlen sich unverstanden, einsam, von den anderen abgelehnt. Ihr Heil suchen sie dann häufig im Internet, wo sie sich mit Gleichgesinnten treffen und austauschen können. Das gilt nicht nur für diejenigen, die wie der Attentäter Schulamokläufe heroisieren, sondern auch für Jugendliche, die Essstörungen haben oder selbstverletzendes Verhalten zeigen. Sie alle finden in Foren Gleichgesinnte.
Das Problem: Im Netz sind nicht nur Gruppen präsent, die professionelle Hilfe bieten, sondern genau das Gegenteilige tun: Sie bestärken psychisch labile Personen in ihrem Verhalten. Das weiß auch Béa Pall vom Bundesverband für Psychotherapie, der die psychische Gesundheit ein besonderes Anliegen ist.
Junge Menschen sind neugierig
„Junge Menschen sind per se offen und neugierig und gleichzeitig auf der Suche nach ihrer Identität. Haben sie ein Problem, finden sie im Netz mit ein paar Schlagwörtern eine Vielzahl von Gruppen, Bildern und Plattformen.
Dort werden dann ganz schnell Kontakte zu Gleichgesinnten geknüpft. Wie auf der Homepage von Saferinternet erläutert wird, entstehen dort „Twin-Börsen“, in denen Magersüchtige zum Beispiel gezielt nach Personen mit ähnlichen Körperzielen suchen. Nach dem Erstkontakt verlagert sich die Kommunikation meist in private Whatsapp-Gruppen.
Dort finden Betroffene einerseits Zuspruch, bleiben aber anonym. Die Gruppenmitglieder motivieren sich gegenseitig zum Abnehmen, tauschen Kalorien- und Gewichtsdaten aus und posten regelmäßig Bilder des eigenen Körpers.
Rund um die Uhr
Wer sich in diesen Foren nicht an die teils extremen Diät- oder Sportvorgaben hält, wird ausgeschlossen. Es wird häufig rund um die Uhr geschrieben – ein Abschalten fällt schwer, die Gedanken kreisen dauerhaft ums Abnehmen. Das Problem wird verstärkt statt Hilfe angeboten.
Entdecken Eltern, dass ihre Kinder in solchen Gruppen ein Zuhause gefunden haben, ist der Schock groß. Der erste Reflex ist da oft, dass man dem Kind verbietet, diese Seiten zu besuchen. „Doch Verbote sind immer kontraproduktiv. Widerstand ist da vorprogrammiert“, gibt Béa Pall zu bedenken.
Austausch ist wichtig
Wichtiger ist, dass man den Jugendlichen die Möglichkeit gibt, sich mit einer Vertrauensperson auszutauschen. „Machen Sie sich selbst ein Bild über die Gruppen, in denen sich Ihr Kind bewegt“, erläutert Pall. Da gibt es zum Beispiel Influencer, die vorgeben, selbst an Bulimie zu leiden, aber in Wahrheit sich nur viele Follower sichern wollen – und dabei versteckte Werbebotschaften platzieren, um höchst manipulativ Getränke oder Nahrungsergänzungsmittel zu verkaufen.
Wer im Gespräch mit einem jungen Menschen bleibe, der kann auch mit ihm darüber reden, was ihn an diesen Gruppen so fasziniert. „Fragen Sie das Kind, ob es glaubt, dass es gut für es ist, wenn es sich immer im gleichen konfliktbeladenen Umfeld aufhält“, rät die Psychotherapeutin.
Besser sei es, Kontakt zu einer Gruppe Gleichaltriger zu suchen, die mit unterschiedlichen Themen zu kämpfen haben – einer hat Leistungsdruck, die andere ist melancholisch, aber der Dritte ist an dem Tag vielleicht gut drauf.
Gefühl der Einsamkeit
Das Problem: Nicht jeder junge Mensch hat jemanden, zu dem er Vertrauen hat. Besonders dann, wenn Eltern selbst mit dem Alltag zu kämpfen haben, weil sie zum Beispiel Stress im Job haben oder gerade in Trennung leben. Das zieht die Aufmerksamkeit von den Kindern ab. „Wenn in einer solchen Situation niemand da ist, der das Vakuum im realen Leben füllt, ist das Kind besonders anfällig, in Internet-Gruppen eine Ersatz-Familie zu finden“, stellt Pall fest.
Doch auch wenn der Alltag noch so stressig ist: „Eltern dürfen sich da nicht aus ihrer Verantwortung nehmen. Die Hinwendung zum Kind ist unerlässlich.“ Und die Eltern sollten sich selbst überlegen, wie sie mit dem Handy und Internet umgehen. Ihr Vorschlag: „Legen Sie das Handy einmal weg und widmen sich bewusst Ihrem Kind – indem sie etwa Gesellschaftsspiele spielen oder einen gemeinsamen Kinobesuch planen.“
Auch Schule ist gefragt
Eine wichtige Aufgabe komme hier auch der Schule zu. „Im Fach digitale Grundbildung sollte auf das Phänomen dieser Gruppen aufmerksam gemacht werden und gleichzeitig sinnvolle Alternativen aufgezeigt werden.“
Denn diese gibt es in Form von seriös moderierten Selbsthilfegruppen oder professioneller Beratung wie zum Beispiel dem Infoportal für Jugendliche zu psychischer Gesundheit, Sucht, Gewalt und Mobbing feel-ok.at, der Online-Peer-Beratung opentalk.at von Jugendlichen für Jugendliche, die vertraulich und kostenlos ist oder der Plattform bittelebe.at, die Jugendlichen mit Suizidgedanken zur Seite steht.
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