„Natürlich sehen wir diese Entwicklung sehr kritisch“, sagt Margot Ham von der Wiener Patientenanwaltschaft. Ein Fall wie der beschriebene bei einer Brustuntersuchung sei jedenfalls ethisch fragwürdig. Leider würden Patientinnen mit solchen Erfahrungen sich nur selten an die Patientenanwaltschaft wenden. Seit Jahren bekannt bleibe das Problem der schwindenden Kassenärzte. „Die meisten Beschwerden sind ja wegen der teils langen Wartezeiten für Untersuchungen oder Operationen“, sagt Ham.
Der niederösterreichische Patientenanwalt Gerald Bachinger will das differenziert betrachten. Beim Covid-Test, erklärt der Jurist, gehe es ganz grundsätzlich um ein Ressourcenproblem, denn nicht alle, die einen Test wollen, brauchen diesen auch dringend. „Die große Frage ist, wie man ein gerechtes System schafft, dafür müsste man sich ein ethisch richtiges Modell auch beim Covid-Test überlegen. Nicht gerecht ist jedenfalls, wenn die Diagnose oder Therapie vom Vermögen des Patienten abhängt.“
Bachinger plädiert etwa für eine Art Vorselektion durch elektronische Gesundheitsassistenten im Internet, die den Patienten helfen könnten. Als Beispiel nennt er das heimischen Start-up „symptoma.at“.
Keine Wahl bei Wahlärzten
Als „unethisch“ und „wahrscheinlich rechtlich gar nicht zulässig“ sieht Bachinger dafür den beschriebenen Fall bei der Brustuntersuchung. „Wenn es einen Krebsverdacht gibt, ist es inakzeptabel, dem nicht sofort nachzugehen.“ Das darunter liegende Problem sei in den vergangenen Jahren aber größer geworden: Dass es deutlich mehr Wahlärzte als Kassenärzte gibt. „Inzwischen haben wir bei der Grundversorgung ein Ressourcenproblem“, sagt Bachinger, und damit sei es ein gesundheitspolitisches Problem. „Denn die Idee des Wahlarztes ist, dem Patienten die Wahl zu lassen – entweder den nächsten Kassenarzt aufzusuchen oder zum Arzt seiner Wahl zu gehen und zu zahlen. Jetzt haben wir in weiten Teilen das Problem, dass die Patienten eben keine Wahl haben, sondern zum Wahlarzt gehen müssen“, sagt der Experte. Und es gebe bereits Menschen mit geringem Einkommen, die sich „das Essen vom Mund absparen“, nur damit sie bei einem Facharzt behandelt werden.
„Der Grundversorger muss hier seine Hausaufgaben machen. Denn mit Blick auf die bisherige Entwicklung muss klar sein, dass sich die Situation in den kommenden Jahren weiter verschärfen wird“, sagt Bachinger – auch im Hinblick auf viele anstehende Pensionierungen. Knapp ein Drittel der Ärzte ist über 55 Jahre alt.
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