Gegenwind aus China für Europas Windkraft

Die Europäische Windkraftindustrie kommt immer stärker durch Chinas Industrie unter Druck: Warum das so ist, welche Auswege es gibt und wie sich die Windkraftbranche hin entwickelt, darüber sprach der KURIER mit Benjamin Seifert, dem Regional Head für Zentral- und Nordeuropa von Enercon, einem der größten Produzenten von Windkraftanlagen. Fast jede zweite Anlage in Österreich ist von Enercon.
KURIER: Sie sind ein Global Player, der Windkraftanalagen auf der ganzen Welt baut und installiert. Lohnt es sich eigentlich noch, in der EU zu produzieren?
Benjamin Seifert: Wir haben schon das Interesse und eine lange Historie, hier in Europa zu produzieren. 2017 wurde der Kostendruck immer größer, die internationalen Märkte öffneten sich. Da haben wir angefangen, auch extern produzieren zu lassen, einiges in der Türkei, aber auch Richtung Asien, in Indien und China, um die Kostenvorteile zu nutzen. Es wurde damals fast unmöglich, eine Anlage so kostengünstig in Europa zu fertigen, dass unsere Kunden bei den niedrigen Einspeisevergütungen wirtschaftlich agieren konnten. Dieser Kostendruck von Kundenseite wurde klar an die Lieferkette und damit die Anlagenhersteller weitergegeben.
Wie kann Europa bei dem internationalen Preisdruck überhaupt mithalten?
Natürlich ist eine Komponentenproduktion in Europa teurer als in Asien. Aber wenn ich die Komponenten in Asien produziere, muss ich auch die Transportkosten und Unsicherheiten in der komplexen Lieferkette betrachten. Gerade die letzten Jahre haben gezeigt, dass aus einer günstigen Supply Chain schnell massive Mehrkosten durch Transportkostensteigerungen und Lieferkettenunterbrechungen entstehen können. Somit haben kostenseitig bei Optionen, Europa und Asien ihre Daseinsberechtigung.
Sie sind jetzt also zurück in Europa?
Wir produzieren schon weiterhin in Indien und China, aber für die neuesten Anlagen, die E-175 haben wir uns entschieden, den Fertigungsbeginn vollständig in Europa zu starten. Die Rotorblätter sind aus Portugal, das Maschinenhaus ist aus Aurich in Deutschland, der Turm ist aus Deutschland und Portugal, und der Generator ist aus Polen und aus Magdeburg. Gleichzeitig schauen wir natürlich sehr genau, wie sich die Märkte und auch politischen Rahmenbedingungen entwickeln. Wir müssen flexibel agieren können, um die Marktchancen nutzen zu können. Gibt es klare Rahmenbedingungen der EU, die eine Fertigung in der EU unterstützen, sind wir da. Folgen die Rahmenbedingungen nicht, müssen auch wir schauen, welche Lieferketten wir wählen.
China baut enorm viel Ökostrom aus, ist der Markt dort offen oder eher abgeschottet?
Der chinesische Markt ist komplett abgeschottet. Wir beziehen zwar Komponenten aus China, aber nur die chinesischen Anlagenhersteller installieren auch Windräder in China. Jetzt beginnen sie, auch nach Europa zu liefern, erste Beispiele sind die Türkei, der Balkan, Griechenland.
Müssen wir uns in der Europäischen Union demnach vor diesen Importen schützen?
Ja, die EU untersucht das gerade. Wir produzieren die gleichen Anlagen mit den gleichen Kosten. Doch die Preise von chinesischen Produzenten sind um 30 Prozent billiger. Dieses Delta entsteht nicht durch Skaleneffekte oder Design, sondern vor allem durch das besondere Interesse und die Unterstützung des chinesischen Staates, Windenergie nach Europa zu liefern. Da können wir nicht mithalten. Wir brauchen ein faires Spiel auf Augenhöhe, ein level playing field, um wirtschaftlich und gerecht mit allen Anlagenherstellern um die Projekte zu buhlen.
Neben den reinen Herstellkosten der Windkraftanlagen sollten wir vor allem im Hinterkopf haben, wie relevant eine Fertigung der Komponenten in Europa für uns alle ist! Die letzten 2 Jahre haben gezeigt, dass es von größter Wichtigkeit ist, dass wir eine Energieunabhängigkeit erreichen, in dem solch kritische Infrastruktur wie die Windenergie vollständig in der EU produziert und installiert wird. Nur so sichern wir unsere Energiebedarfe ab und stellen uns zudem klimafreundlich auf. Was hilft die vermeintlich günstigste Kilowattstunde, wenn sie durch fehlende Komponentenlieferungen aus China oder fremdgesteuerte Anlagensteuerung gar nicht produziert oder durch lange Seetransporte zum CO2-Treiber wird? Wir haben eine Verpflichtung, dass wir eine wirtschaftliche, nachhaltige und unabhängige Stromversorgung schaffen – dies kann uns in Europa und für Europa gelingen, wenn alle mitziehen und die EU den klaren Rahmen gibt.
Bauen wir in der EU überhaupt ausreichend Windkraft aus? Neue Anlagen zu bauen, ist ja oft vor Ort höchst umstritten.
Solche Streitfälle gibt es überall, es wird aber merklich weniger, das hat wohl auch mit den hohen Energiepreisen und einer höheren Akzeptanz für lokale Stromproduktion zu tun. In Deutschland etwa wurden vor zwei Jahren nur 2,5 Gigawatt pro Jahr genehmigt, inzwischen wurden aber viele Hürden abgebaut und Prozesse verschlankt, jetzt wurden allein im ersten Quartal dieses Jahres 2,7 GW genehmigt – Rekordniveau! Und wir sehen, dass weitere Länder dem Beispiel Deutschland folgen – klasse.
Stimmt es, dass der Windkraftausbau in Österreich besonders kompliziert ist?
Ja, Deutschland und Österreich sind da sehr ähnlich. In anderen Staaten bekommt man rasch eine Baugenehmigung, ohne sofort zu sagen, welche Windkraftanlage das genau werden wird, welche Leistung und Größe sie hat. Bei uns braucht man vorab eine Zertifizierung, eine Typenprüfung und eine Klassifizierung, alles vor Einreichung der Baugenehmigung. Die Anforderung für eine Genehmigung sind also extrem hoch. Gleichzeitig stellen wir so sicher, dass nur Qualität genehmigt wird und nach der Genehmigung wenig Schwierigkeiten auftreten. Das Beispiel Deutschland zeigt, dass auch die komplexen Verfahren schlank absolviert werden können. Es liegt an uns allen, hier erfolgreich und schnell zu sein.
Ganz im Nordosten Österreichs wurde am Sonntag der neueste Windpark Großkrut-Altlichtenwarth mit vier Anlagen in Betrieb genommen. Aktuell drehen sich 1.443 Windkraftwerke in ganz Österreich mit einer jährlichen Stromerzeugung von neun Milliarden Kilowattstunden, das sind etwa 12 Prozent unseres Stromverbrauchs.
Wobei „ganz Österreich“ ist nicht korrekt: In den Bundesländern Salzburg, Tirol und Vorarlberg steht nach wie vor kein einziges Windkraftwerk, in Kärnten gerade einmal zehn, in Oberösterreich nur 31, dort gibt es schon seit einigen Jahren keine neuen Anlagen in Bewilligungsverfahren. In der Steiermark sind es 122, der überwiegende Teil der Windkraft wird also in nur zwei Bundesländern erzeugt, im Burgenland und in Niederösterreich.
Österreich hat sich als Ziel gesetzt, bis 2030 den Stromverbrauch (bilanziell) zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien bereitzustellen, die Windkraft ist dafür wesentlich, da vor allem im Winterhalbjahr viel Wind bläst, und Wind die Erzeugung der Wasserkraft und der Photovoltaik gut ergänzt.
Beim Windkraftausbau in der Vergangenheit gab es abwechselnd kurze Phasen von verstärktem Zubau und längere Phasen des Rückgangs bis zum Stillstand. Im Jahr 2024 ist der Ausbau mit lediglich 13 Windrädern noch bescheiden, doch bis Ende 2025 wird der Ausbau mit 77 Anlagen an die Größenordnung des ausbaustärksten Jahres 2014 heranreichen. Wobei inzwischen oft alte, schwächere Anlagen mit höheren und leistungsstärkeren Anlagen ersetzt werden. Am 26. und 27. Juni 2024 findet dazu das 15. Windenergie-Symposium in Wien statt.

Windpark Großkrut-Altlichtenwarth

Wie groß sind denn die neuesten Anlagen, die Sie bauen?
Die neueste Generation wird die E175, also Rotordurchmesser von 175 Meter, und einer Leistung von sechs MW, die dann ab 2026 auf 7 Megawatt gesteigert werden kann. Die haben eine Turmhöhe von bis zu 175 Meter. Es gilt je höher die Anlagen, desto mehr Energie können sie erzeugen.
Wenn sich Windräder nicht drehen, sind die dann kaputt?
Das kann viele Gründe haben: Die Anlagen müssen vier Mal pro Jahr gewartet werden, es kann sein, dass bei sehr schwachen Wind nur die vordere Anlage ausreichend Windkraft bekommt. Oder die Netzbetreiber wollen nicht noch mehr Strom haben und schränken die Einspeisung ein. Also nur weil eine Anlage steht, heißt das nicht, dass sie kaputt ist. Denn unser Anspruch ist, dass sich unsere Windräder 25 Jahre lang drehen.
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