„Freie Wochenenden gibt’s nicht“

Nationalratsabgeordnete führen ein feines Leben: 8372 Euro brutto im Monat, manche haben noch dazu lukrative Zivil-Berufe und die
Gegenleistung ist bescheiden: Man sitzt halt ein paar Mal im Monat im Parlament, manchmal macht man sich mit einer Rede wichtig.
So oder so ähnlich stellt sich der heimische Boulevard den Arbeitsalltag der Abgeordneten vor. Und die
Regierung plant, 18 Abgeordnete einzusparen.
Doch selbst wenn es unter den 183 Mandataren unscheinbare bis faule geben mag: Ist die Verkleinerung des Nationalrats auf 165 Abgeordnete tatsächlich sinnvoll? Und wo liegen die eigentlichen Probleme des Parlamentarismus? Der KURIER sprach mit drei Abgeordneten, denen man viel vorwerfen kann, nur eines sicher nicht: Dass sie bloß für die Fernseh-Übertragungen ins Parlament fahren.
Der Vollzeit-Parlamentarier: Zwischen den Aktenbergen

Für Peter Pilz ist Politik eine aktenbasierte Angelegenheit. Der Grüne saß in allen großen U-Ausschüssen der vergangenen 25 Jahre, aktuell ist er im Korruptions-Ausschuss mit der Telekom-Affäre beschäftigt. Überhaupt ist Pilz dort zu Hause, wo es heikel wird: Verteidigungs-, Innen-, Kampusch-, Geheimdienst-Ausschuss. Das heißt, neben stundenlanger Sitzungen, regelmäßig tausende Aktenseiten zu studieren.
„Wer die drei Aufgaben eines Parlamentariers – Budget, Gesetzgebung, Kontrolle – wirklich beherrschen will, muss so viel lernen wie in den alleranspruchsvollsten Berufen“, sagt Pilz. Deswegen sei es wichtig, dass das Mandat im Hohen Haus „nicht der fünfte Nebenjob ist. Wenn man Vollzeit-Abgeordneter ist, muss man sich auch für das Gehalt nicht schämen.“
Pilz hat ein Team, das ihn unterstützt (Jurist, Pressesprecherin, Assistentin plus eigene Mitarbeiterin für den U-Ausschuss) und das vom grünen Klub bezahlt wird. Für ihn und seine Leute gilt: „Auf die Uhr schauen geht nicht. Wenn ich drei Tage U-Ausschuss vor mir habe und 50.000 Akten durcharbeiten muss – dann muss das eben sein.“
Pilz ärgert die Debatte über eine Einsparung von 18 Abgeordneten – denn die Zahl sei nicht entscheidend, sagt er. „Man kann auch mit 165 Mandataren ein gutes Parlament haben – unter den richtigen Voraussetzungen.“ Dazu zählt er neben mehr Budget für Mitarbeiter („Wir haben halb so viele wie in Deutschland“) auch einen eigenen Verfassungsdienst für das Parlament und auch einen Ausbau der parlamentarischen Rechte (U-Ausschuss als Minderheitenrecht).
Die Bezirks-Abgeordnete: Wien – Liezen und retour

Seit sie Nationalrats-Abgeordnete ist, ist Elisabeth Hakel vor allem eines: viel unterwegs. Rund 50.000 Kilometer (ohne Chauffeur) ist die SPÖ-Mandatarin pro Jahr allein zwischen Wien und der Steiermark unterwegs; die Fahrten im Heimatbezirk Liezen, der flächenmäßig größer ist als Vorarlberg, nicht mit eingerechnet.
„Freie Wochenenden gibt es nicht“, sagt Hakel. Jede der 97 Feuerwehren im Bezirk habe sie schon besucht, Vereine und Veranstaltungen gilt es abzuklappern. Hakel ist keine, die im Parlament in der ersten Reihe steht. Die heute 34-Jährige zog 2008 erstmals ins Hohe Haus ein, ist dort in Ausschüssen vertreten, die von der Öffentlichkeit selten wahrgenommen werden.
Doch die Arbeit summiert sich. Neben den Ausschüssen erarbeitet Hakel als Bereichssprecherin für die Kreativwirtschaft ein SPÖ-Positionspapier; 800 Schüler aus dem Bezirk führt sie jedes Jahr durchs Parlament; dazu kommen die vielen Wünsche, die seitens der Bürger an sie herangetragen werden: Gleich, ob es um Zugsverbindungen im Bezirk geht, die Schließung eines Bezirksgerichts – oder „nur“ darum geht, dass andere Fahrzeiten für den Disco-Bus gewünscht werden. „Die Leute erwarten Politiker zum Angreifen“, sagt Hakel. „Das ist auch in Ordnung, ich habe ja das Bezirksmandat.“
Das Parlament zahlt ihr wie jedem Abgeordneten gut 2000 Euro im Monat für Mitarbeiter – das reicht für eine 20-Stunden-Kraft in Wien und eine in der Steiermark. Eine Verkleinerung des Nationalrats kann sich Hakel nicht vorstellen: „Weniger Abgeordnete heißt weniger Bürgernähe – und weniger Demokratie.“
Der Selbstständige: Von den Patienten ins Parlament

An starken Tagen bekommt Erwin Rasinger an die 100 eMails. Von Bürgern, die Hilfe bei der Jobsuche oder beim Parkpickerl erbitten; von Funktionären, die mit der Linie der ÖVP nicht zufrieden sind; und manchmal sind Wähler dabei, die nur Dampf ablassen wollen.
„Ich muss mich um jedes Anliegen kümmern. Sonst sagen die Menschen beim Sprechtag: Ich wähl` Sie nicht mehr.“ Erwin Rasinger ist Nationalratsabgeordneter und praktischer Arzt in Wien-Meidling.
Er liebt den Job, er liebt die Politik. Aber leicht zu vereinbaren sind beide nicht. „Die Plenarsitzungen, die man im Fernsehen sieht, sind ein kleiner Teil der Arbeit. Ich sitze in vier Parlamentsausschüssen, dazu kommen wöchentliche Bezirks- und Parteisitzungen.“ Rasinger ordiniert täglich, an Parlamentstagen bezahlt er eine Vertretung. Patienten hat Rasinger dennoch deutlich weniger: „Ich musste auf die Hälfte verzichten, auch mein Tag hat nur 24 Stunden.“
Allein im Gesundheitsausschuss stehen an die 30 Tagesordnungspunkte auf dem Programm, die Palette reicht von der neuen Ausbildung für Turnus-Ärzte bis hin zu gefährlichen Babyschnuller. „In jedem Punkt“, sagt Rasinger, „muss man sich im Detail auskennen, mit Betroffenen Kontakt halten, einen soliden Standpunkt definieren.“
Rasinger ist gegen eine Verkleinerung des Nationalrats („Das bedeutet weniger Kontakt mit dem Bürger“) und betrachtet sich als privilegiert. Warum? „Der Kollege Obernosterer kommt aus dem Lesachtal, er braucht einen halben Tag nach Wien. Ich hingegen bin in 15 Minuten im Hohen Haus.“
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