Doskozil spricht ebenfalls von "Richtwert"
Nach der Einigung der Regierungsparteien auf ein Limit von 37.500 Flüchtlingen in diesem Jahr spricht auch der künftige SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil von einem Richtwert, und nicht, wie der Koalitionspartner ÖVP von einer Obergrenze. Das Wort "Planungsgröße" beschreibe die Situation am besten, sagte Doskozil im Ö1-"Morgenjournal". Er verweist auf "die Gesetzeslage in Österreich, die jeder kennt, über die gibt es keine Diskussion". Daher gehe er davon aus, dass auch der 37.501. "einreisen kann und, wenn er einen Asylantrag stellt, nicht zurückgewiesen werden darf".
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hatte am Mittwoch angekündigt, nach Erreichen der Obergrenze Asylanträge zwar anzunehmen, aber nicht zu bearbeiten, oder die Flüchtlinge direkt an der Grenze zurückzuweisen. Letzteres hält Doskozil offenbar nicht für möglich.
"Signal an Europa"
Dennoch spricht Doskozil von einer Einigung und einem Bemühen, diese Zahl zu erreichen. Wobei keine Punktlandung versprochen werden könne. Die Einigung sei "ein starkes Signal an Europa und für eine Hotspot-Lösung", damit Asylanträge irgendwann nur mehr an den EU-Außengrenzen gestellt werden. "Das ist ein erster Schritt zu einem funktionierenden Fremdenrechtssystem".
Zum Thema Gewalteinsatz bezog sich der designierte Verteidigungsminister ebenfalls auf die Gesetzeslage. Ein gewisses Grenzregime sei darin vorgesehen, aber nach geltender Rechtslage handle es sich nur um Verwaltungsdelikte. In Ungarn sei das Rechtssystem geändert worden, weswegen man im Nachbarland die Überwindung des Grenzzaunes nun als strafrechtliches Delikt behandelt. Der Einsatz des Bundesheeres in Österreich finde aber in Abstimmung mit dem Innenministerium und entlang der Gesetze statt, so Doskozil im "Morgenjournal".
Die Regierung hat beim gestrigen Asylgipfel eine politische Einigung kund getan. "Die praktische Umsetzung ist eine administrative Frage", sagte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner.
Welche Möglichkeiten hat Österreich rechtlich und praktisch, um zu erreichen, dass tatsächlich nicht mehr Flüchtlinge pro Jahr kommen als die Politik als Richtwert ins Auge gefasst hat? Die angestrebte Obergrenze im KURIER-Faktencheck.
Kann man die Obergrenze im Gesetz festschreiben?
Nein. "Jeder Mensch, der nach Österreich kommt und hier Asyl beantragt, hat das Recht darauf, dass eine Behörde in einem fairen Verfahren darüber entscheidet, ob er Asyl bekommt, subsidiären Schutz oder ob man ihn zurückschickt", sagt Manfred Nowak, Professor für Internationales Recht und Menschenrechte an der Uni Wien, im Gespräch mit dem KURIER. Der Ruf nach einer Obergrenze sei zwar "politisch verständlich, aber rechtlich nicht wirklich umsetzbar".
Wäre es möglich, die Anträge einfach nicht mehr zu bearbeiten und die Menschen so lange in einer Wartezone an der Grenze warten zu lassen?
Man könne "nicht einfach sagen, das ist der 37.501., und deswegen führen wir jetzt kein Verfahren durch", sagt Nowak. "Damit würden wir unsere Verpflichtungen verletzen." Nowak hat ein solches Vorgehen vor ein paar Jahren in Griechenland miterlebt: "Da hat man irrsinnig lange Schlangen gesehen, und die Behörden haben nur ein paar Stunden offen gehabt. Darauf kann man es natürlich anlegen, aber ein Rechtsstaat wie Österreich sollte das nicht tun." Nowak geht davon aus, dass die Zahlen der Obergrenze eher eine politische Vorgabe sein werden. Und dass man damit entweder genug Druck für eine europäische Lösung erzeugen wird – oder die Obergrenzen eben noch einmal anhebt. "Man muss es auf europäischer Ebene schaffen", sagt Nowak, "nur mit polizeilichen Maßnahmen wird es nicht gehen."
Kann Österreich damit argumentieren, dass man mit einer höheren Zahl an Flüchtlingen überfordert wäre?
Genau hier wird die Regierung wohl anzusetzen versuchen: Am Rechtsgrundsatz, dass niemandem abverlangt werden darf, was ihn überfordern würde. Allerdings, sagt ein erfahrener Verfassungsexperte zum KURIER, "ist es dabei problematisch, dass man jetzt schon eine Zahl genannt und damit quasi das Ergebnis vorweggenommen hat. Besser wäre es gewesen, zuerst zu prüfen, was für Österreich machbar ist bei den Quartieren, im Budget etc. – und daraus eine Zahl abzuleiten." So hätte man ein empirisch unterfüttertes Argument – und nicht einfach nur eine aus der Luft gegriffene Zahl.
Die Obergrenze soll den Familiennachzug beinhalten. Lässt sich dieser so einfach beschränken?
Nein – hier ist die Obergrenze noch heikler. Anerkannte Flüchtlinge haben ein Recht auf Familienleben, sprich: den Nachzug ihrer Familie in einem vertretbaren Zeitrahmen.
Gibt es auch andere Überlegungen, um die Obergrenze einzuhalten? Warum schickt Österreich nicht einfach die Flüchtlinge zurück nach Slowenien, Kroatien oder Griechenland – schließlich sind das allesamt "sichere Drittländer"?
Im EU-Aslyrecht ("Dublin-Verordnung") ist vorgesehen, dass die Asylverfahren in jenem EU-Land durchgeführt werden müssen, das als Erstes betreten wurde. Lange Zeit wurde das auch so gehandhabt – bis Deutschland im Spätsommer letzten Jahres die Praxis geändert hat und diese sogenannten "Dublin-Fälle" nicht mehr zurückgeschickt hat. In der Praxis haben sich diese Rückführungen schon in der Vergangenheit als schwierig und langwierig erwiesen. Juristisch könnte sich Österreich freilich wieder darauf berufen. In der Regierung wird auch schon in diese Richtung gedacht. Das Argument: Flüchtlingen soll geholfen werden – aber sie sollen sich nicht aussuchen dürfen, in welchem EU-Land sie Asyl beantragen wollen. Wenn jemand schon in einem anderen EU-Staat war – ist der dann in Österreich noch ein "Verfolgter" im Sinne der Flüchtlingskommission?
Offen ist, wie lange die Überlegungen rund um "Dublin" noch relevant sein werden: Wie die Financial Times berichtet, bereitet die EU-Kommission gerade das Aus für dieses System vor. So soll Druck von den Erstländern wie Italien oder Griechenland genommen werden.
Kommentare