Fischer: "Keine Freude mit Sanktionen"

Selbst der Papst musste sich jüngst 90 Minuten gedulden, bis er zu ihm vorgelassen wurde. Andere Gäste brachten es auf bis zu vier Stunden. Heinz Fischer musste gestern nur eine knappe Stunde warten, bis er Wladimir Putin die Hand schütteln konnte. Für Mittwoch 12 Uhr (MEZ) war ein Vieraugengespräch samt anschließendem Arbeitsessen mit der hochrangigen Regierungsdelegation angesetzt, drei Minuten vor 13 Uhr war es dann so weit.
Auf offener Bühne wurden allein Höflichkeiten ausgetauscht. Putin lobte die guten Beziehungen zu Österreich und sprach den massiven Rückgang im bilateralen Handel an. Fischer bekräftigte, dass Österreich ein loyales Mitglied der EU bleibe. Aber: "Jeder, der dafür ist, gute Beziehungen zu Russland zu haben, wird keine Freude mit Sanktionen haben."
Für Österreichs Botschafter in Russland, Emil Brix, war Fischers gestern Abend beendete Staatsvisite dennoch alles andere als Routine: "Das ist kein traditioneller Besuch. Wir befinden uns in der schwersten Krise zwischen Russland und der EU."
Alte Feindbilder
In Moskau wurde aufmerksam registriert, dass hohe Militärs Moskau wie zu Zeiten des Kalten Kriegs öffentlich zum Feind Nummer eins erklären. Der Dauerkonflikt um die Ukraine, die Annexion der Krim und die nachfolgenden Sanktionen haben das weltpolitische Gefüge massiv verändert. Auch für Moskau ist das neue/alte Feindbild klar: Russland fühlt sich von der NATO an seiner Außengrenze bedrängt. "Es wäre aber übertrieben von einer Rückkehr in die Zeit des Kalten Krieges zu sprechen, auch weil es keinen ideologischen Wettstreit mehr gibt", sagt Brix. Entscheidend sei aber: Russland hat sich auch aus eigener Sicht wieder als Weltmacht aufgebaut. Die aggressive Politik stärkt Wladimir Putin auch in den Augen der eigenen Bevölkerung.
Auf Dauer wird das für den Machterhalt nicht reichen. Sinkende Realeinkommen und steigende Inflation drücken massiv auf die Stimmung im Land. Vieles davon ist aufgrund von Ölpreis- und Rubelverfall sowie fehlender Reformen hausgemacht. Für eine langfristige Stabilisierung braucht Putin aber auch im Westen Partner.
Offizielle Staatsgäste machen sich im Moment rar. Heuer war auf der Ebene der Staatsoberhäupter bisher erst der finnische Staatschef da. Unter den Diplomaten des Außenamts gab es im Vorfeld daher Bedenken: Arbeitsbesuche auf Ministerebene ja, aber in EU-Sanktionszeiten sei ein Staatsbesuch nicht angebracht. Zumal das internationale Aufsehen um Putins letzten Besuch in Wien wenige Wochen nach Annexion der Krim manchen noch schmerzhaft in Erinnerung ist (Stichwort: "Gute Diktatur"). Die Befürworter des Dialogs am Ballhausplatz setzten sich durch.
Zu Fischers siebenter und letzter Begegnung in seiner zwölfjährigen Amtszeit mit Wladimir Putin ist demonstrativ auch der Außenminister angereist. Denn: "Österreich wird sehr stark als ein Land gesehen, das eine Position der Mitte einnimmt", berichtet Sebastian Kurz von seinem Gespräch mit Außenminister Lawrow.
Vertrauen vertiefen
"Es ist der richtige Zeitpunkt, um das bestehende Vertrauen auszubauen", proklamiert Wirtschaftskammerchef Christoph Leitl, vehementer Gegner der Sanktionen. Österreichs Exporte nach Russland sind im Vorjahr fast um die Hälfte – auf knapp zwei Milliarden Euro – eingebrochen.
Die Russen sind im Regelfall zu stolz, um die Sanktionen von sich aus anzusprechen. Im Fall Fischer machten sie eine Ausnahme. "Wenn man die Sanktionen anspricht, wird sehr intensiv darüber geredet", sagt Außenminister Kurz. Die Botschaft ist immer die gleiche: Die Sanktionen müssten diejenigen beseitigen, die sie beschlossen haben.
Große Abkommen und bahnbrechende Beschlüsse hatte von Anfang niemand erwartet. Konkret greifbarstes Thema waren Interventionen für österreichische Firmen, die in Russland Probleme haben. Beim Gespräch mit Putins Buddy, Ministerpräsident Dmitri Medwedew, spricht Fischer höflich, aber unverhohlen die Blockade eines Projekts der EVN nach dem Bürgermeisterwechsel in Moskau an. Das Energie-Unternehmen befürchte, so Fischer, einen Schaden von 200 und 300 Millionen Euro. Zudem deponiert der Bundespräsident beim russischen Premier Klagen des Papierkonzerns Mondi über willkürlich angehobene Energiekosten – und als Dauerbrenner Wünsche der AUA für zusätzliche Überflugrechte.
Dialog pflegen
Was hat der knapp 24-stündige Blitzbesuch von Heinz Fischer mehr gebracht als die Hoffnung für heimische Firmen auf Lösung ihrer Probleme vor Ort? Zeitpunkt und Ablauf der Staatsvisite sind der perfekte Schlussstein der Ära Fischer in der Hofburg. Der 77-Jährige war nie ein Heißsporn, sondern mit Leib und Seele Diplomat. Einer, der bisweilen öffentlich alle Für und Wider bis zur Unkenntlichkeit seiner Aussagen abwägt. In einem Punkt ist seine Botschaft am Ende seiner zwölfjährigen Amtszeit klarer denn je: Gerade ein kleines Land hat im Konzert der Nationen nur dann eine Chance gehört zu werden, wenn es zuvorderst den Dialog pflegt oder sich als Plattform des Dialogs anbietet.
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