Februarkämpfe: Was man am 12.-Februar-Platz erzählt

Februarkämpfe: Was man am 12.-Februar-Platz erzählt
5.000 Menschen leben in der weltbekannten Heiligenstädter Wohnhausanlage. Nicht alle wissen, dass im Karl-Marx-Hof im Februar 1934 für die Demokratie blutig gekämpft wurde.
Von Uwe Mauch

Es weht ein kühles Lüfterl über den 12. Februar-Platz, der die repräsentative Mitte einer der bekanntesten und größten Wohnhauskomplexe Europas markiert. Der Anschein trügt auch heute nicht: In den vier Höfen des Karl-Marx-Hofs sind mehr Touristen zugange, alle am Roten Wien interessiert, als Mieter und Mieterinnen.

5.000 Menschen wohnen hier. Über den 12. Februar 1934, das zeigen die meisten Gespräche, haben viele in ihrer Schulzeit nichts oder nur sehr wenig mitbekommen.

Damals, vor 90 Jahren, schossen hier Österreicher auf Österreicher. Eine gesicherte Opferzahl des Bürgerkriegs ist bis heute nicht bekannt, sie geht in die Hunderte, sowohl auf Seiten der Soldaten des Dollfuß-Regimes als auch auf Seiten des sozialdemokratischen Schutzbundes und der Zivilbevölkerung.

Karl Marx Hof

Mehr Demokratie

„Ehrlich gesagt, ich kenne den 12. Februar-Platz, aber ich kenne seine Geschichte nicht“, sagt Baris Dogan. Er wohnt und arbeitet im Karl-Marx-Hof. Als Einzelbetreuer im Solde und in Uniform der Stadt Wien sorgt er für Sauberkeit im 4er-Hof und auf den Stiegen 83 – 98.

In der Schule war der zweifache Familienvater mehr mit dem Deutschlernen als mit dem Geschichtsunterricht beschäftigt: „Ich kam mit zehn Jahren aus dem Osten der Türkei nach Wien, lebe seither gerne hier.“

Herr Dogan weiß trotz der Wissenslücke besser als viele andere, dass die Demokratie schützenswert ist: „Wenn in Österreich gewählt wird, dann verläuft alles ruhig und nach klaren Regeln. In der Türkei herrscht oft schon Monate vor einer Wahl Ausnahmezustand.“

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Relativ friedlich ist auch das Zusammenleben im Karl-Marx-Hof, sagt Wohnpartnerin Bettina Neumayr vom Nachbarschaftsservice: „Müll, Lärm, es gibt dieselben Probleme wie anderswo auch.“ Durchs Reden kämen aber meist die Leute zusammen.

Auch die soziale Durchmischung sei gut: „Es gibt hier Familien mit Kindern und ebenso ältere Bewohner, Menschen mit und auch ohne Migrationshintergrund.“

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Der 12. Februar 1934 als Thema spielt keine große Rolle im Alltag der Mieter. Das sagt auch eine der letzten (sieben) Hausmeisterinnen im Karl-Marx-Hof: „Meine Nachbarn haben oft ganz andere Sorgen, die raufen mit dem Geld.“ Die aktuellen Teuerungen setzten sie zusätzlich unter Druck.

„Wenn einer noch nie vom 12. Februar gehört hat, dann heißt das aber nicht, dass er kein Demokrat ist“, betont die Hausbesorgerin, die seit 26 Jahren im Karl-Marx-Hof tätig ist und ganz nebenbei auch Marxsche Bücher gelesen hat.

Weniger Freundschaft

Was uns zu den Genossen im riesigen Gemeindebau führt: An jedem zweiten Dienstag trifft sich die SPÖ-Sektion Heiligenstadt-Nußdorf in einem Hinterzimmer der Pizzeria „Da Contessa“, einem Gassenlokal an der Heiligenstädter Straße. Christian Tschabitscher, er ist Bezirksrat in Döbling, erzählt vom Verlust der alten Hausmacht: „In unserer besten Zeit gab es im Karl-Marx-Hof vier Sektionen.“ Länger her: „Heute ist unsere Sektion für ganz Heiligenstadt und für Nussdorf da.“

Am vergangenen Dienstag war wieder einmal die Gedenkveranstaltung am 12. Februar vor dem Denkmal der Freiheitskämpfer gegenüber der U-Bahn-Station Heiligenstadt ein Thema. Interessantes Detail: Niemand aus dieser Sektion wohnt noch im Karl-Marx-Hof.

 

Genossin Traude Weiss erzählt vor dem 90. Jahrestag des Bürgerkriegs von ihrem Vater: „Er war gemeinsam mit seinem Bruder im 34er-Jahr beim Schutzbund aktiv. Noch am 12. Februar wurde er in der Radelmayergasse verhaftet und ins Gefängnis gesteckt.“ Der Sohn eines Garagenbesitzers dürfte ihn zuvor verraten haben.

Die Gefangenschaft ersparte ihrem Vater immerhin, dass er in den Kämpfen getötet wurde. 1938 wurde er von den Nazis inhaftiert. „Dass die Demokratie ein hohes Gut ist, das hörte ich in meiner Kindheit öfters.“

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In seinen Gesprächen mit Bewohnern ortet Bezirksrat Tschabitscher ein gesteigertes politisches Interesse bei den Bewohnern aus Bürgerkriegsländern: „Manche können den Rechtsstaat besser schätzen, weil sie genau wissen, wie es sich in einer Diktatur lebt.“

Einen neuen „Kampf um den Gemeindebau“ sieht er nicht. Der Rückzug der Genossen aus dem Karl-Marx-Hof hat seiner Partei zuletzt kaum geschadet: So erhielt die SPÖ bei den Nationalratswahlen 2019 im größten Wahlsprengel des Baus 45 Prozent der Stimmen, ÖVP 21, FPÖ 14 und Grüne 9.

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Oral History: Ein Zeitzeuge erinnert sich

„Dös woa a Pistolnschuss, und dös is a MG“

Am Nachmittag des 12. Februar 1934 waren im Karl-Marx-Hof in Wien-Heiligenstadt die ersten Schüsse zu hören. Bis zum Abend versuchte die Polizei vergeblich, den nach außen hin gut abgeschotteten Gemeindebau zu besetzen. Daher wurde das Bundesheer angefordert. Verbände mit schwerem Gerät rückten an.

In der Erinnerung des langjährigen Bewohners und Mieterbeirats Kurt Treml klingt das so: „Es war gegen 19 Uhr. Ich habe gerade meine Aufgabe gemacht, da haben s’ unten zum Schießen begonnen. Meine Großmutter hat schnell die Fenster zugemacht und die Rollo runtergelassen. Wir sind dann zu acht im Ehebett gelegen. Im Bett waren auch zwei Onkeln, zwei Tanten und meine kleine Cousine. Der eine Onkel hat uns erklärt: Dös woa a Pistolnschuss, und dös is a MG.“

Am nächsten Tag, dem 13. Februar, werden Artilleriegeschosse gegen den Karl-Marx-Hof abgefeuert. „Wenig später haben die Heimwehrler mit den Haubitzen geschossen.“ So Kurt Treml, der inzwischen leider verstorben ist, im Jahr 2002.

Der Klose-Vickerl, ein Genosse und Bekannter seiner Eltern, wurde auf der Grinzinger Straße erschossen, so Zeitzeuge Treml. „Den Svoboda-Heinerl, er war Vertrauensobmann der Schutzbündler, haben s’ im Landesgericht aufgehängt.“

Gleich nach den Februarkämpfen wurde der Karl-Marx- in Biedermannhof umbenannt, nach dem Kommandanten der Heimwehr, Karl Biedermann, ab Juli 1935 heißt er entpolitisiert Heiligenstädter Hof.

Kurt Treml kam aus dem Zweiten Weltkrieg lebend, aber nur mit einem Bein zurück in den Karl-Marx-Hof.

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Historische Fakten

12. Februar 1934: An diesem Tag löst das Dollfuß-Regime unter anderem die Sozialdemokratische Partei, die freien Gewerkschaften und sozialdemokratische Kultur- und Vorfeldorganisationen auf, zu Mittag beginnen in Linz, Wien sowie in anderen Städten Arbeiteraufstände

13. / 14. Februar: Am 13. Februar fliehen führende Sozialdemokraten in die Tschechoslowakei. Am 14. Februar werden zwei Angeklagte (der schwerverletzte Schutzbündler Karl Münichreiter und der Floridsdorfer Feuerwehroffizier Georg Weissel) sofort hingerichtet, sieben weitere Hinrichtungen folgten

Amtliche Opferzahlen: 118 Tote und 486 Verwundete der Exekutive sowie 196 Tote und 319 Verwundete des Schutzbunds.

1,2 Kilometer ist der Karl-Marx-Hof lang. In den vier großen Höfen leben heute noch rund 5.000 Menschen.

 

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