Expertin über Schelling-Rede: „Umfassendes Gesamtkonzept fehlt“

Schratzenstaller lobt Vorstoß für eine Ausgaben-Analyse.
WIFO-Vize Schratzenstaller plädiert dafür, Steuerstruktur komplett umzubauen. IHS-Chef Kocher ortet einige Schnittmengen zwischen SPÖ und ÖVP.

Jetzt also Plan Nummer 3. Nachdem Kanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner vergangene Woche ihre Vorschläge auf den Tisch gelegt hatten, präsentierte Finanzminister Hans Jörg Schelling am Montag seine Ideen (siehe unten). Experten sehen das durchwegs positiv. „Ich finde es gut, dass nun über konkrete Projekte diskutiert wird, sehr lange wurde nur über Überschriften geredet“, sagt Martin Kocher, Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS). Auch Margit Schratzenstaller, Vize-Chefin des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), ortet bei Schelling durchaus „interessant klingende Vorschläge“.

Doppelgleisigkeiten abschaffen

Gut gefällt der Expertin der Vorstoß für eine „umfassende Aufgaben- und Ausgaben-Analyse“. Dabei könne eruiert werden, wo es in den Ministerien „Doppelgleisigkeiten“ bzw. „Ineffizienzen“ bei Förderungen gebe, erläutert Schratzenstaller. Der Minister meint, dass dadurch fünf Prozent der Ausgaben bzw. 3,8 Milliarden Euro bis 2020 eingespart werden könnten.
Wie beurteilen die Fachleute die Ideen des Ministers, die dazu dienen sollen den Arbeitsmarkt anzukurbeln bzw. Unternehmen zu entlasten?
Schelling will ja etwa, dass Betriebe weniger Körperschaftssteuer zahlen, wenn sie Mitarbeiter einstellen. Für Niedrigverdiener soll zudem weniger Sozialversicherung anfallen (50 % bis zu einem Einkommen von 700 Euro/Monat; 75 % bis zu 1000 Euro/Monat).

Der Minister meint auch, dass durch Kombi-Löhne (ein Teil der Sozialhilfe wird für gewisse Zeit weiterbezahlt) mehr Mindestsicherungsbezieher einen Job annehmen würden.
Kocher sagt, dass man durch derlei Vorhaben durchaus mehr Menschen Jobs verschaffen könnte: „Das wären wichtige Maßnahmen, vor allem für den Niedriglohn-Bereich.“

Steuern einführen, Arbeit entlasten

Schratzenstaller hält hingegen nicht viel von solchen Einzelvorhaben: „Mir fehlt ein Gesamtkonzept für eine umfassende Abgabenstrukturreform – sowohl bei Schelling als auch bei Kerns Plänen“. Die Wirtschaftsforscherin fordert einen grundlegenden Umbau des Steuersystems. So sollten etwa Ökosteuern sowie eine Erbschaftssteuer eingeführt und die Grundsteuer erhöht werden, Ausnahmen bei Einkommen- und Umsatzsteuer sollten gestrichen werden. Im Gegenzug sollte Arbeit entlastet werden.

Schnittmengen suchen

Der Regierung empfiehlt Schratzenstaller, nun rasch einmal nach Überschneidungen in den jeweiligen Plänen zu suchen. Schnittmengen gebe es etwa beim Ziel, Bürokratie abzubauen bzw. unnötige Vorschriften abzuschaffen. Kocher ergänzt, die Forschungsprämie (derzeit 12 %) könnte erhöht, Lohnnebenkosten könnten gesenkt werden. „Entscheidend“ sei, „inwieweit die Koalition Kraft findet“, die Ideen zu realisieren. „Was bis Ende des zweiten Quartals nicht paktiert ist“, werde bis zur nächsten Wahl „wohl nicht mehr umgesetzt werden“.

Das ehemalige Winterpalais von Prinz Eugen in der Wiener Innenstadt war zum Bersten voll. Alles, was in Österreichs Wirtschaft und Hochfinanz Rang und Namen hat, kam am Montag ins Finanzministerium, um Hans Jörg Schellings Reformrede zu lauschen.
Der Hausherr witzelte, dass hier einst der reichste Mann – Prinz Eugen – gewohnt habe, nun aber der ärmste Mann des Landes residiere. Er müsse schließlich die Staatsfinanzen im Auge behalten – und werde nicht selten zu neuen Ausgaben gedrängt, wenn nicht regelrecht erpresst. „Wir können aber nicht länger Geld, das wir nicht haben, mit der Gießkanne ausgeben“, sagte Schelling zum Pensionisten-Hunderter.
Inhaltlich spannte der Finanzminister den Bogen weit über das Steuersystem und die Budgetpolitik hinaus, bis hin zu den Beamten, Pensionen und dem Gesundheitssystem. In seinem „Pakt für Österreich“ legte er Dutzende Einzelvorschläge vor.
Das Publikum hatte Schelling jedenfalls sofort auf seiner Seite, als er sich rasch das Sakko auszog – und symbolträchtig die Hemdsärmel aufkrempelte.
Dann folgte nach Schellings Definition ein „Arbeitsprogramm für die nächsten 18 Monate“ mit derart vielen Projekten, dass ihre Umsetzung wohl eher Jahre in Anspruch nehmen dürfte.

Viel Konfliktstoff

Etwa: Ein neues Beamtendienstrecht, die Leistungsharmonisierung zwischen den Sozialversicherungsträgern oder eine umfassende Staats- und Verwaltungsreform.
Trotz des weitgehend sachlichen Tons konnte Schelling nicht der Versuchung widerstehen – und schoss nicht wenige Spitzen gegen Kern und einmal auch gegen die ÖBB ab. Wer etwa glaube, dass „gute Laune“ das Budget saniert, der liege falsch. Und während man jährlich fünf Milliarden für die Bahn aufwende, habe man nur 100 Millionen für den Internet-Ausbau.
An Vorschlägen gänzlich neu ist Schellings Idee, die Körperschaftssteuer für jene Unternehmen zu senken, die Jobs schaffen. „Ich will mit Steuern steuern“, sagte der Minister.
Auch ließ er mit dem Vorschlag aufhorchen, wonach es eine Einschleifregelung bei Sozialversicherungsbeiträgen geben sollte. Bezieher kleiner Einkommen würden entlastet. Auch bei seinen Vorstellungen zu Kombilohnmodellen, um Arbeitslose wieder in Jobs zu bringen, dürfte auf Gegenliebe bei der SPÖ stoßen.
Erwartungsgemäß klar war hingegen seine Absage an jede Steuererhöhung, insbesondere sagt Schelling laut und deutlich Nein zu Erbschafts-, Schenkungs und Vermögenssteuern sowie zu einer Wertschöpfungsabgabe nach SPÖ-Zuschnitt. Auch die Abschaffung der „kalten Progression“ brachte er wieder aufs Tapet.
Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny sagte nach Schellings Rede: „Ich finde es positiv, dass von beiden Seiten der Regierung durchaus zukunftsfähige Programme aufgestellt werden. Jetzt geht es an eine zeitlich realistisch gestaffelte Umsetzung.“ Erste-Bank-Chef Andreas Treichl merkte an: „Mir hat die Rede sehr gut gefallen. Ich hoffe, dass davon möglichst viel umgesetzt wird. Diese Regierung hat nur noch eine Chance, wenn sie gemeinsam vorgeht. Jetzt muss möglichst schnell möglichst viel umgesetzt werden.“
Genau hier setzt auch Schelling an – und nannte neben der „kalten Progression“ viele andere Punkte, die schon im heutigen Ministerrat beschlossen werden könnten. So beispielsweise eine umfassende Ausgabenanalyse über alle Bereiche des Staates („Spending Review“). Es werde etwa Jahr für Jahr mehr Geld in den Arbeitsmarkt gepumpt, ohne dass die Ergebnisse besser würden.

Spitzensteuersatz senken

Wenig Freude dürfte die SPÖ mit Schelling haben, wenn er den Spitzensteuersatz schnell wieder reduzieren, das Stiftungsrecht neu aufstellen und den Kündigungsschutz für über 50-Jährige abschaffen will. Auch seine Attacken auf Sozialminister Alois Stöger kommen nur bei der eigenen Klientel gut an.
Wirtschafts-Ideen Weitere Vorschläge Schellings sind: Die Forschungsprämie von 12 auf 15 Prozent erhöhen; hohe Managergagen wieder steuerlich absetzbar machen, ein neuer Investitionsfreibetrag und eine Neuordnung der Finanzmarktaufsicht.
Schelling will 2017 also zum „Jahr der Reformen“ machen – und wünschte zum Abschluss „Profit Neujahr“.

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