Experte fordert Ende der "kalten Progression"
Insgesamt 2,24 Mrd. Euro hat die „kalte Progression“ im Vorjahr ins Budget gespült, hat die Innsbrucker "Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung" errechnet – diese zusätzliche Einnahmequelle für den Finanzminister wollen Experten jetzt abschaffen. Sie treffen nämlich vor allem den Mittelstand, sagt Wirtschaftsprofessor Gottfried Haber im Ö1-Morgenjournal – und dieser solle entlastet werden.
Die "kalte Progression" – also jene Steuereinnahmen, die dadurch entstehen, dass viele Steuerzahler durch die jährlichen Lohn- und Gehaltssteigerungen automatisch in eine höhere Steuerklasse rutschen – schränke „die Elastizität des Steuersystems“ ein, so Haber. „Durch Progression wirkt sich die Konjunktur weniger auf Steuereinnahmen aus, das heißt Konjunkturschwankungen lassen sich weniger gut stabilisieren“, sagt Haber.
Sie sei zudem sozial schwer argumentierbar, denn zum einen habe man dadurch „weniger in der Brieftasche“, zum anderen stelle sich die Frage nach der gewünschten Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer: „Schließlich sollen ja die Leistungsfähigeren mehr beitragen."
Grundlegende Reform
Haber plädiert zudem für eine grundsätzliche Strukturreform des Steuersystems. „Kurzfristig kann man nur auf der Einnahmenseite konsolidieren, langfristig wird man aber Ausgaben reduzieren müssen“. Sein Vorschlag: „Man muss bei den Bemessungsgrundlagen anfangen, dann die Tarife anschauen und auch das Sozialversicherungs- und das Transfersystem."
Haber ist nicht der erste, der eine Abschaffung des Automatismus fordert – auch IHS-Chef Christian Keuschnigg sieht die "kalte Progression" als "schleichende Steuererhöhung" und plädiert wie ÖGB und AK für ihre Abschaffung.
Die Budgetrede von Finanzminister Michael Spindelegger am Dienstag wirft ihren Schatten voraus. Die schärfer werdende Debatte über den „abgesandelten“ Wirtschaftsstandort (© Kammer-Chef Leitl), die Forderungen nach baldigen Steuerentlastungen (ÖGB-Boss-Fogler: „Wir haben es so satt“), und vor allem die Folgekosten des Hypo-Debakels stecken den engen Finanz-Rahmen für die nächsten Jahre ab.
WIFO-Chef Karl Aiginger fordert trotz der fehlenden Hypo-Milliarden eine Entlastung. Schon im kommenden Jahr sollte die Regierung Personen mit Jahreseinkommen von unter 24.000 Euro brutto einen „Hunderter“ bei den Sozialabgaben zurückgegeben.
Auch die Wirtschaftsfachleute kennen die Argumente der Wutbürger, Wohlstandsverlierer und Politikverweigerer. Für die Hypo blechen und bei den kleinen Leuten sparen, geht gar nicht.
Jahrelang verspricht die Regierung schon die Entlastung des Faktors Arbeit und mehr Brutto vom Netto. Geschehen ist bisher nichts. Im Gegenteil, die Nettoreallöhne sinken beharrlich. Soll heißen: Vom Bruttolohnzuwachs bleibt nach Abzug von Steuern und Inflation nichts übrig.
Der zentrale „Entlastungs“-Satz im Koalitionsabkommen heißt: Der Eingangssteuersatz soll von derzeit 36,5 Prozent „in Richtung 25 Prozent“ gesenkt werden. Das heißt alles und nichts, denn schon eine Senkung auf 36 Prozent ginge nach dieser Formel in die richtige Richtung. Noch dazu wurde der Zeitpunkt der Entlastung offen gelassen, ätzen Experten. Wohl wissend, dass eine Reduktion des Eingangssteuersatzes auf 25 Prozent sofort vier bis fünf Milliarden Euro verschlingen würde. Und die sind weit und breit nicht vorhanden.
Für Ulrich Schuh, Leiter des Forschungsinstituts EcoAustria, wäre es angesichts der leeren Kassen sogar „fahrlässig“, heute schon eine Steuersenkung zu versprechen. „Ich sehe null Spielraum für irgendwelche Zuckerln oder Entlastungsschritte“, sagt der Experte. Ohne „tief greifende Reformen“ werde sich eine Steuerreform ohne Gegenfinanzierung in den nächsten Jahren nicht ausgehen. Höhere Steuern seien aber angesichts der vierthöchsten Abgabenquote in Europa – höher als im Hochsteuerland Schweden – Gift für die Wirtschaft.
Schratzenstallers Vorschläge basieren auf drei Säulen, sind aber umstritten: Die „rigorose Streichung von Steuerausnahmen“ findet am ehesten Anhänger. Bei „höheren Umwelt- und Energieabgaben“, die auch einen Öko-Lenkungseffekt haben, scheiden sich schon die Geister. Richtig ideologisch wird die Debatte aber bei „vermögensbezogenen Steuern“. Die ÖVP sieht hier rot. SPÖ und Grüne fordern sie seit Jahren. Die Rede ist etwa von einer deutlich höheren Grund- und Grunderwerbssteuer (siehe unten) bis zur Wiedereinführung der Erbschafts- und Schenkungssteuer.
Eine allgemeine Vermögenssteuer scheint hingegen ad acta gelegt worden zu sein, auch wenn sie Kanzler Werner Faymann als „Millionärsabgabe“ erst Anfang April erneut gefordert hat. Die Gegenargumente sprechen für sich: Man müsste wohl das Bankgeheimnis aufheben und (zu) viel Kapital würde aus Österreich abfließen.
Einig sind sich Politiker und Experten, dass die "kalte Progression" abgeschafft gehört. Mehr als zwei Milliarden Euro kassiert der Finanzminister jährlich extra, weil die Steuerstufen nicht an die Inflation angepasst werden. Freilich dürften dann viele Staatsausgaben (z. B. für Pensionen) nicht automatisch mit der Inflation steigen. Sonst hat Spindelegger das nächste Budgetproblem.
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