EU-Kommissar: "Österreichs Justiz weit über dem Durchschnitt"

EU-Kommissar: "Österreichs Justiz weit über dem Durchschnitt"
EU-Kommissar Didier Reynders stellt der nach Angriffen von Kanzler Kurz ins Gerede gekommenen Justiz ein gutes Zeugnis aus.

Der für Justiz zuständige EU-Kommissar Didier Reynders sagte im APA-Interview über die österreichische Justiz: „Sie sind weit über dem Durchschnitt. Sie haben eine sehr starke und unabhängige Justiz in Österreich, und das zeigt sich in allen Vergleichen, die auf europäischer Ebene publiziert werden.“ Im Rahmen eines Österreich-Besuchs am Freitag war Reynders auch mit Justizministerin Alma Zadic (Grüne) zusammengetroffen. Diese habe sich unter anderem zu Investitionen in eJustiz und die Unabhängigkeit der Justiz bekannt. „Ich habe keinen Zweifel daran“, sagte Reynders. Er gehört der liberalen Partei an.

Kein Vergleich mit Ungarn und Polen

Zur Kritik von Kanzler Sebastian Kurz an der Justiz, wonach diese eine parteipolitisch rot gefärbte Schlagseite habe, sagte Reynders: „Ich habe schon viele verschiedene Aussagen in vielen Mitgliedsstaaten gehört, aber das ist etwas anderes als eine systematische und absichtliche Verletzung der Rechtsstaatlichkeit.“ Letzteres sei in Ländern wie Polen und Ungarn der Fall, obwohl deren Vertreter immer wieder darauf hinwiesen, dass einzelne andere Mitgliedsstaaten ähnliche Regelungen hätten.

Kultur der Diskussion etablieren

Reynders kündigte an, bis Herbst einen Bericht über gemeinsame Standards im Rechtsbereich ausarbeiten zu wollen. Dieser solle nicht nur im Rat und dem Europaparlament erörtert werden, sondern auch auf nationaler Ebene, wobei der Kommissar auch auf Experten wie Rechtsanwälte, Richter und Rechtsprofessoren setzt. „Wir werden wohl viel Kritik für den ersten Bericht ernten, aber nächstes Jahr wird es einen neuen geben, und in zwei Jahren werden wir eine Kultur der Rechtsstaatlichkeit etablieren, eine Kultur der Diskussion über die Rechtsstaatlichkeit“, hofft Reynders.

Der Bericht werde nämlich alle 27 Mitgliedsstaaten untersuchen und allen bestimmte Empfehlungen geben. „Wir müssen die Zusammenarbeit so gestalten, dass sich alle Mitgliedsstaaten fair behandelt fühlen“, so Reynders. Er erwartet, dass es zwei Gruppen von Staaten geben werde. Viele Staaten werden „in einigen spezifischen Punkten“ Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit aufweisen und mit diesen könne man einen Dialog führen. Anders sei es in Ländern mit systematischen Verletzungen.
Reynders zeigte sich zuversichtlich, dass der von ihm eingeleitete Prozess den Druck auf diese Staaten verstärken werde. „Ich bin mir sicher, dass wir dann mehr Druck von Unternehmen auf die verschiedenen Staaten haben werden, die ein Problem mit der Rechtsstaatlichkeit haben.“ Schließlich gehe es beim Rechtsstaat nicht um ein theoretisches Konstrukt, sondern insbesondere um das Funktionieren des EU-Binnenmarktes.

Investments gefährdet

„Die Unternehmen könnten aufhören zu investieren, und das ist vielleicht das schwierigste für die (betroffenen) Mitgliedsstaaten“, argumentierte Reynders. Aber auch die Bürger, die nicht mehr auf unabhängige und kompetente Richter vertrauen, „könnten ihr Stimmverhalten ändern“.
Reynders trat auch der Darstellung entgegen, dass es sich um einen Konflikt zwischen der EU und einzelnen Mitgliedsstaaten handelt. „Das ist nicht wahr. Es ist ein wirkliches Problem, das alle Bürger angeht, einschließlich der Bürger in den betroffenen Staaten.“ Die jeweiligen Richter seien nicht nur nationale Richter, sondern auch europäische, betonte Reynders.
Skeptisch äußerte sich der Kommissar zur Möglichkeit, den betroffenen Bürgern im Fall eines Versagens des nationalen Rechtssystems den direkten Zugang zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu ermöglichen. „Es wäre unmöglich, das zu bewältigen“, sagte er. Allerdings gebe es schon jetzt mehrere Möglichkeiten, einzugreifen, nannte Reynders konkret etwa das Vorgehen der EU-Kommission gegen die Disziplinarverfahren, die polnischen Richtern drohen, falls sie den EuGH anrufen.

Werkzeugkasten

„Wir haben einen Werkzeugkasten mit verschiedenen Instrumenten“, vom Dialog bis zum Artikel-7-Verfahren, so Reynders. Besonders große Hoffnungen setzt er in die im Ringen um das EU-Mehrjahresbudget diskutierte Verknüpfung von EU-Zahlungen mit der Erfüllung von Rechtsstandards. „Es muss möglich sein, Zahlungen von der Europäischen Union auszusetzen, zu stoppen oder umzuleiten“, forderte Reynders. Der Beschluss dieses Mechanismus werde aber „schwierig“, weil in den Budgetverhandlungen Einstimmigkeit erforderlich sei. „Aber Geld ist vielleicht das beste Argument, um jemanden davon zu überzeugen, dass er sich an die Regeln halten muss.“

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