Konzept "Konstruktives Auflösen": Das brisante Dollfuß-Papier

Seit dem Jahr 1998 gibt es im Geburtsort von Engelbert Dollfuß ein kleines Museum. Es umfasst nur wenige Räume und wird von der Gemeinde Texingtal im Bezirk Melk (NÖ) betrieben. Obwohl es sich dem umstrittenen Ex-Kanzler der Zwischenkriegszeit, der 1933 das Parlament aufgelöst hatte und danach diktatorisch regierte, widmet, hatte es zuletzt keine besondere Beachtung gefunden. Bis zu jenem Tag, an dem 2021 Gerhard Karner ÖVP-Innenminister wurde.
Er war davor Bürgermeister in Texingtal gewesen und damit für das Dollfuß-Museum verantwortlich. Von seinen politischen Gegnern wurde ihm das als unkritischer Umgang mit der Vergangenheit, teilweise sogar als „Dollfuß-Verehrung“ ausgelegt. In der ÖVP wurde eine historische Wunde aufgerissen, weil diese noch immer nicht mit sich im Reinen ist, wie sie mit Engelbert Dollfuß umgehen soll.
Neues Konzept
Karner beendete die Diskussion damit, dass er auf den Gedenkverein MERKwürdig aus Melk verwies, der für das Museum ein neues Konzept ausarbeiten soll. Dessen Obmann Alexander Hauer versammelte dazu ein Team von elf Kuratoren und Wissenschaftern um sich. Seit dem Jahr 2022 wird intensiv an einer Neuausrichtung gearbeitet, wobei auch Schulen und die Bevölkerung eingebunden worden sind.
Von den Kuratoren und Historikern Remigio Gazzari, Christian Rabl und Johanna Zechner wurde in diesem Zusammenhang im April 2023 ein Konzept mit dem Titel „Konstruktives Auflösen“ verfasst, das nun die Wogen hochgehen lässt. Laut Projektleiter Alexander Hauer war das eigentlich nur als internes Arbeitspapier gedacht, das allerdings vor wenigen Wochen „geleakt worden ist“. Seither geht in der Region die Befürchtung um, dass das Museum ganz geschlossen wird. Was nicht nur in der Gemeinde, sondern auch in der ÖVP für heftige Wortgefechte gesorgt haben soll.
Das Papier lässt auch kaum einen anderen Schluss zu. Zitate daraus: „Unser Ansatz verfolgt das Ziel der Dekonstruktion einer Verherrlichungsstätte im Rahmen eines konstruktiven Prozesses.“ Oder: „Das bisherige Museum soll über mehrere Jahre hinweg begleitet aufgelöst werden.“ Wobei man die Bevölkerung, Interessierte, Wissenschafter und Künstler mitwirken lassen will. Der Akt der Auflösung sollte sich laut Konzept über vier Jahre erstrecken (danach würde auch der Pachtvertrag enden) und zelebriert werden. Es findet sich im Konzept sogar eine Liste, was das alles kosten soll. Geplant ist ein „Entsammeln“. Ausstellungsstücke sollen über vier Jahre lang sukzessive entnommen, an private Leihgeber zurückgegeben oder an anderen Gedächtnisinstitutionen übergeben werden.
Die Aufarbeitung scheint den Kuratoren sehr wichtig. „Die Person Engelbert Dollfuß ist eine zentrale Identifikations- und Konfliktfigur der erinnerungspolitischen Landschaft Österreichs“, heißt es in einer anderen Passage des Konzepts. Das Papier wurde mittlerweile auch der Familie Dollfuß zugespielt (siehe folgenden Link).
Im Februar hatte der KURIER (Redakteur Michael Hammerl, Fotograf Jeff Mangione) die Nachkommen der Familie Dollfuß im Bezirk Melk getroffen, um zu erfahren, wie sie den Konflikt um das Dollfuß-Museum in Texingtal sehen.
Engelbert Schmutz, Urenkel von Josepha Schmutz, der Mutter von Engelbert Dollfuß, erklärte damals, dass er nichts dagegen hätte, wenn das Museum im Dollfuß-Geburtshaus neu gestaltet wird, obwohl er auch die bisherige Konzeption für „komplett neutral und gut gemacht“ hält. Aber: „Ich habe kein Problem damit, wenn es umgebaut wird. Wenn wir es so lassen, haben wir immer den Angriffspunkt der Heldenverehrung, obwohl das nicht der Fall ist.“
Dem Museum hat die Familie viele Erbstücke zur Verfügung gestellt. Im Gespräch mit dem KURIER wurde aber auch klargestellt, dass das alles wieder entzogen werden könnte, wenn eine bestimmte rote Linie überschritten wird. Engelbert Schmutz: „Würde der Eindruck vermittelt, dass Dollfuß ein Diktator war, dann ist eine Grenze überschritten. Das war er nicht.“ Anschuldigungen wie „Austrofaschismus“ seien nicht gerechtfertigt, da sie nicht stimmen würden, sagt seine Frau Josefa. Man wünsche sich weiterhin ein „neutrales, historisch korrektes Museum“.
Ärger über KonzeptMan müsse Dollfuß’ Vorgehen, wie das Ausschalten des Parlaments, im Kontext der Zeit sehen, sagt Josefa Schmutz auch: „Es war Bürgerkrieg, und die andere Seite war auch nicht zimperlich.“ Die Machtübernahme sei optionslos gewesen: „Irgendwas hat er machen müssen, damit er diese Unruhen einbremst – obwohl die Todesstrafe die falsche Entscheidung war.“
Engelbart Dollfuß sei definitiv ein Diktator gewesen, sagte hingegen MERKwürdig-Kurator Remigio Gazzari zum KURIER. Und zur Neukonzeptionierung des Museums: „Es ist sicher ein Prozess, bei dem wir nicht alle zufriedenstellen werden.“
Remigio Gazzari ist auch einer der Autoren des umstrittenen Arbeitspapiers mit dem Titel „Konstruktives Auflösen“. Mittlerweile soll dieses Konzept auch schon den Dollfuß-Nachkommen zugespielt worden sein. Und dort für gehörigen Ärger gesorgt haben.
Noch heuer Endkonzept
Dass dieses Konzeptpapier aus dem wissenschaftlichen Kreis herausgespielt worden ist, hat die Arbeit von Alexander Hauer nicht erleichtert. Er ist dadurch noch mehr zwischen die Fronten der Befürworter und Gegner des Dollfuß-Museums geraten. Er selbst stuft das Konzept seiner drei Kuratoren als bloßes Arbeitspapier ein. Hauer: „Wir sind mittlerweile schon viel weiter.“ Und er verspricht, dass es im November ein finales Konzept geben wird. „Wir werden daran arbeiten, dass das Museum im kommenden Jahr wieder zugänglich ist.“ Er sei auch optimistisch, dass dafür gute Grundlagen vorgelegt werden. 2024 sei noch dazu ein besonderes Jahr: 90 Jahre zuvor war Engelbert Dollfuß im Kanzleramt von Nazis ermordet worden.
Günther Pfeiffer, ÖVP-Bürgermeister von Texingtal, will sich an der aufgeflammten Debatte um „sein“ Museum nicht beteiligen. Er warte auf das endgültige Konzept: „Fertig ist es dann, wenn es fertig ist.“
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