D: Konservative auf Berufsheer-Kurs
Mich hat die Vielseitigkeit bei der Bundeswehr gereizt", sagt Anne-Marie Schwenkhoff, 20. Sie hat sich gleich am Beginn der Umstellung auf Freiwillige im Juli 2011 für 23 Monate verpflichtet. Heute arbeitet die Hauptgefreite im Standortkommando Berlin. Obwohl "es nie langweilig war", denkt sie aber "derzeit" an keine Verlängerung.
Felix Maulwurf, 23, ebenfalls Hauptgefreiter, gehört zu den letzten, die die Wehrpflicht traf. Weil er danach keinen Studienplatz bekam, hat er den Dienst verlängert, im September ist er zu Ende – es klappt nun mit dem Studienplatz.
Beide sind typisch für die Freiwilligen. Abgesehen von denen mit konkretem Berufswunsch, meist Berufsoffizier, sind viele aus Verlegenheit hier: Mit ca. 1000 Euro netto bei freier Unterkunft und Verpflegung und sozialversichert lässt sich Zeit "sinnvoll" überbrücken, bis Lehrstelle oder Studienplatz frei sind. Zweiter Grund ist der "Wunsch nach Abwechslung", stellte das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr akribisch fest.
Andrang
Das Interesse überraschte alle. 5000 bis 15.000 Freiwillige im Jahr hatte Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) als Ziel für das erste Jahr ausgegeben, als er vom zurückgetretenen Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) das scheinbar größte Problem geerbt hatte. Der hatte die Weichen für die Berufs- und Spezialistenarmee als Antwort auf die modernen politischen und militärischen Herausforderungen gestellt – und damit die eigene Koalition so überrascht wie die linke Opposition. Die Argumente von Befürwortern und Gegnern gingen dabei so quer durch die Reihen wie in Österreich.
Die größte Befürchtung, das Ausbleiben der Freiwilligen, war grundlos: 35.000 bewarben sich in den ersten zwölf Monaten, 12.300 wurden eingestellt, sechs Prozent davon Frauen, mehr als bisher. Von den Neuen hat ein Viertel, meist in den ersten Wochen, abgebrochen.
Qualität
Überrascht hat auch das Niveau der Bewerber: Ein Drittel hat Matura, die anderen meist eine fertige Berufsausbildung. Nur 6,8 Prozent waren zuvor arbeitslos, weniger als im Bevölkerungsschnitt. "Alles Gerede, wir würden hier in eine Unterschichtenarmee abschlittern, wird durch die Fakten widerlegt", resümierte ein zufriedener De Maizière, "die Qualität ist höher als zuvor". Die ist das Hauptziel dieser historisch größten Bundeswehrreform.
Sie wirkt auch intern. Abgesehen von der Grundausbildung ist man in der Verwendung der Rekruten nun flexibler. Die Freiwilligkeit bringe "bessere Motivation und Berufsverständnis", meint Stabsfeldwebel Hans-Jacob Hein, 48, der direkte Vorgesetzte von Schwenkhoff und Maulwurf: "Das kommt dem Umgang sehr zugute. Der ist moderater und kameradschaftlicher als früher." Hein war, wie viele Berufssoldaten, "skeptisch. Heute bin ich überzeugt, dass die Freiwilligkeit die richtige Entscheidung war".
Ossi-Ansturm auf "Bufdi"
Der Abschied vom Zivildienst ist für die Sozialverbände überwiegend ein Erfolg. Es gibt zwar 20 Prozent weniger Bundesfreiwilligendienstler, abgekürzt "Bufdis", die bleiben aber doppelt so lange wie die Sechs-Monats-"Zivis" zuvor – und sind damit als gut Eingeschulte nützlicher. Auch ihre Motivation ist besser. Und nur mehr 60 Prozent sind unter 27-jährige Männer, neu sind Frauen und Ältere. Besonders in Ostdeutschland waren viele davon zuvor dauerarbeitslos, sie erhalten als Bufdis 175 Euro im Monat mehr.
Die Sozialverbände würden gerne doppelt so viele beschäftigen wie die derzeit 32.000: Sie sind ihre billigsten Arbeitskräfte. Doch trotz des Andrangs will der Bund sie nicht finanzieren: Sie kommen ihn zu teuer.
Unberührt davon ist das Technische Hilfswerk, eine Organisation des Innenministeriums für Unfall- und Katastrophenhilfe mit 80.000 Helfern, davon 99 Prozent Freiwilligen. Auch das TH ist mit seinen Bufdis "sehr zufrieden".
"Die deutsche Berufsarmee ist schon im Ansatz gescheitert und kein Vorbild"
Die deutsche Berufsarmee ist im Ansatz schon gescheitert und absolut kein Vorbild für Österreich." Generalleutnant Johann Culik, ehemaliger Militärkommandant von Niederösterreich und nunmehriger Militärberater der ÖVP, spricht aus, was aktive Militärs sonst nur hinter vorgehaltener Hand sagen.
Der Hintergrund: Die deutsche Bundeswehr hat das gesetzliche Ziel, einen Gesamtrahmen von 170.000 Bediensteten zu erreichen. Diese Zahl setzt sich aus Kampftruppen und Zivilpersonal zusammen. Nachdem Kampfsoldaten nicht bis zur Pension dienen können, wurde eine jährliche Nährrate von 15.000 Neuzugängen errechnet.
Warum der deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière die halbe Rekrutierungszahl von tatsächlich erreichten 8000 Mann als Erfolg wertet, kann Culik nicht nachvollziehen. Dies sei, so Culik, das Minimum zur notdürftigen Aufrechterhaltung eines Dienstbetriebes. Offenbar gelinge es in Deutschland trotz massivem Einsatz von Werbemitteln nicht, die Bundeswehr als attraktiven Arbeitgeber zu vermarkten.
Selbst die Zahl von nur 8000 Mann war nur schwer aufzubringen. Es meldeten sich fast nur Interessenten aus den Arbeitslosengebieten im Osten. Das führte zu einem dramatischen Appell von Minister de Maizière, den er vor wenigen Wochen an die südlichen Bundesländer Deutschlands richtete: "Gemessen am Bevölkerungsanteil muss euer Anteil an der Rekrutierung höher sein."
Ins Visier der Bundeswehr-Rekrutierungsbüros geraten zunehmend auch Migranten. Der Wehrbeauftragte des deutschen Bundestags, Hellmut Königshaus, meinte in einem Interview: "Man muss ausdrücklich auch Menschen mit Migrationshintergrund ansprechen." Die Gegenleistung: "Ich kann mir durchaus eine Sonderregelung bei der Einbürgerung vorstellen."
Unsicher ist, ob selbst die diesjährige Rekrutierungszahl in den kommenden Jahren noch erreichbar ist. Die Heuerkommandos der Bundeswehr, die durch Schulen, Berufsmessen und Großveranstaltungen ziehen, stoßen auf immer breiteren und immer besser organisierten Widerstand. Etwa durch das "Deutsche Bündnis Kindersoldaten", das verhindern will, dass bereits 17-jährige angesprochen werden. Und es gibt auch breiten Widerstand gegen den Einsatz von sogenannten "Jugendoffizieren" an den Schulen.
Umgelegt auf Österreich, so Generalleutnant Culik, würde das bedeuten, dass sich hierzulande nur 800 Bewerber melden würden. Denn der Bevölkerungsschlüssel von Österreich und Deutschland lautet 1:10. Und selbst das scheint für den General zu hoch gegriffen. Culik: "Wir haben keine Rekrutierungsgebiete wie in der ehemaligen DDR."
Verteidigungsminister Norbert Darabos rechnet bei seinem Berufsarmeemodell mit 1400 Bewerbern jährlich.
Culik will sich unbedingt für die Wehrpflicht einsetzen und unterstützt daher die ÖVP. Dabei kann er sich sogar auf den deutschen Minister de Maizière berufen. Der erklärte am 2. Juni in Berlin: "Wir haben die Wehrpflicht sehr ungerne ausgesetzt." Ein Grund dafür sei die mangelnde Wehrgerechtigkeit gewesen. Mit 80 Millionen Einwohnern und einem Bedarf von 55.000 Rekruten konnten nicht mehr alle Wehrpflichtigen einberufen werden. Dem steht Österreich mit acht Millionen Einwohnern und 30.000 Rekruten gegenüber. "Das ist ein gewaltiger Unterschied", sagte de Maizière. "Das sagt, dass die Wehrpflicht in Österreich breiter wirkt als in Deutschland."
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