Was bedeutet Heimat für Sie?
Es sei "wirklich eigenartig", wenn Alexander Van der Bellen das Wort "Heimat" plakatiert, befand Norbert Hofer, Präsidentschaftskandidat der FPÖ, in seinem TV-Duell gegen den unabhängigen Grünen vergangene Woche. "Ich habe nie eingesehen, warum das Monopol auf Heimat deutschtümelnden Burschenschaftern überlassen wird", sagte Van der Bellen. Ihre Auseinandersetzung über den Begriff "Heimat" ist mehr als nur Wahlkampfgeplänkel.
Dass Van der Bellen versucht, einen Begriff neu zu besetzen, der dem rechten politischen Spektrum zugeordnet wird, hat auch viele andere überrascht. In der Linken wird die Heimat zumeist mit einer Blut-und-Boden-Ideologie verbunden. "Heimat", schrieb der deutsche Schriftsteller Martin Walser 1972, "das ist sicher der schönste Name für Zurückgebliebenheit". Aber was bedeutet der Begriff abseits der Wahlauseinandersetzung, abseits der Ideologie? Wir wollten von Prominenten wie Nicht-Prominenten wissen: Was bedeutet eigentlich Heimat für Sie?
Toni Faber, Dompfarrer zu St. Stephan
Heimat ist für mich der Boden und das Beziehungsgefüge, wo meine Wurzeln sind, wo ich mich jetzt gerne mit meinen Talenten einbringe, wo ich mich gerade auch mit meinen Schwächen und meinem Unvermögen getragen weiß, und wo ich in Frieden alt werden möchte.
Heimat im Strafvollzug sind deine Sachen. Kein Ort oder so. Gegenstände halt, was man hat einfach. Das nimmt man bei den Verlegungen ja auch mit. Alles, was in die Kartons passt, das wird dir belassen. Für viele ist Heimat sicher auch eine Erinnerung. Da phantasieren sie sich dann oft was zusammen. Oder eine Hoffnung, da wird dann noch mehr phantasiert. Menschen auch, das schon. Aber sicher nicht für jeden. Und das verschwindet mit den Jahren. So ist einfach die Realität.
Der große Schriftsteller und Zeitzeuge Jean Amery schrieb vor vielen Jahren in seinem Artikel über "Aspekte des Österreichischen":
"Fühlen Sie sich eigentlich als Österreicher? fragte ich einmal gesprächsweise den Dichter Ernst Jandl. Ja, meinte er, aber (ich zitiere aus dem Gedächtnis) auf ganz unsentimentale Weise."
Nun ich fühle mich trotz meiner Jugend in Budapest und trotz meines unauslöschlichen ungarischen Akzents auf ganz sentimentale Weise vor allem in Krisensituationen als Österreicher, als ein Zugereister, der diesem Österreich und seinen Menschen, die ihm nicht nur einen Reisepass, sondern in "finsteren Zeiten" (Bertolt Brecht) auch eine neue Heimat geboten haben, bis zu seinem Lebensende unendlich dankbar sein wird. Ich flüchtete nach Österreich als ein Mensch, der sich nach den eigenen jugendlichen Irrwegen für die Wahrheit und gegen die Lüge, für die unperfekte Demokratie und gegen den Versuch, den Himmel auf Erden einzurichten, entschied. Deshalb muss auch die Liebe zu Österreich eine kritische sein und bleiben.
Ich lehne aber den von Hans Weigel kritisierten Hang zur "Selbstkritik, Selbstanklage, Selbstzerfleischung" ab. Ich habe mich auch deshalb nie dem "negativen Patriotismus" unterworfen. Der einzig vernünftige Maßstab für die Leistungen der Zweiten Republik ist der Vergleich mit der eigenen Vergangenheit und mit den Nachbarländern. Und dieser Vergleich bestätigt, dass Österreich noch immer ein blühender Staat ist, den man vor der Macht der Dummheit schützen muss.
Für mich den alten "Neuösterreicher" bedeuten die Bezirke, wo ich seit dem 5. Feber 1957 in Wien gewohnt habe, der Blick von meiner kleinen Wohnung in Altaussee auf den Dachstein, das Gefühl der Erleichterung, als ich über die Grenze bei Hegyeshalom von Budapest wieder nach Wien fahre, die Spaziergänge in den vertrauten Gassen in Neustift und Salmannsdorf, das AKH wo mein Leben gerettet wurde und vielleicht vor allem die Menschen, die mich freundlich begrüßen die Eckpunkte des Heimatgefühls.
Heimat ist für mich der Platz, der mir zu 100 % vertraut ist, mit dem ich mich identifiziere. Das muss nicht zwangsläufig ein Ort sein. Heimat kann genau so gut ein Geschmack, ein Geruch oder ein Gefühl sein. Ganz bestimmt aber bedeutet Heimat für mich Menschen, die mir nahe sind und deren Werte ich teilen kann. Da fühle ich mich zuhause.
Heimat ist für mich dort, wo ich mich zu Hause fühle, wo es Menschen gibt, mit denen ich verbunden bin. Ich bin stolz und dankbar, dass Österreich meine Heimat ist.
Heimat ist dort, wo ich mich wohlfühle, wo mein Lebensmittelpunkt ist, wo Vertrautheit zu den Menschen und zu einer gewohnten Umgebung gegeben sind. Ich bin ja aus OÖ und ich hab mir eigentlich immer gewünscht, dorthin auch zurückzugehen. Wie muss es dann erst Menschen gehen, die es sich nicht aussuchen können, die auf der Flucht sind, die nirgendwo richtig daheim sind, denen all das fehlt?
Für eine Südtirolerin ist "Heimat" ein problematischer Begriff, da er stets politisch mißbraucht wurde. Er diente der Abgrenzung (von den Italienern und den Ausländern) und wurde geradezu inflationär verwendet, man denke nur an den Heimatschutz, die Heimatabende, die Heimatverbände, die Heimatkunst, die Heimatfront und die Heimatlieder. Die Liste ließe sich fortsetzen. "Heimat" sagen manche Dichter, sei ihnen die Sprache. Der spanische Schriftsteller Jorge Semprun, der Widerstandskämpfer gegen die Franco-Diktatur gewesen war, der Deportation und Exil hatte aushalten müssen, sagte: "Nicht Sprache ist Heimat, sondern das, was gesprochen wird." Es sollte also so gesprochen (und gelebt) werden, daß sich keiner diskriminiert fühlt. Im Grunde ist einem der Körper die erste Heimat. Ich zum Beispiel hab alle Mühe, mich in ihm zuhause zu fühlen. Vielleicht ist meine "Heimat" ein Zustand, der mich (über)leben läßt, ohne mich ständig an den Tod zu erinnern. Ein Zustand der Selbstvergessenheit, den doch – im Gegensatz zu den Kranken – alle Gesunden als Normalität empfinden.
Heimat ist für mich der Platz, wo ich mich wohl fühle. Der Unterschied von Geburtsort und Wahlheimat ist: In der Wahlheimat bin ich freiwillig und daher hat es mehr Wert. Meine Geburtsheimat verbinde ich mit Erinnerungen. Aber Heimat ist, wo ich mich in eine Kultur integrieren kann und sie bereichern kann mit der Kultur meines Ursprungslandes. Eine Integration von verschiedene Kulturen, die sich gegenseitig bereichern. Den Kaffee mit Kipferl haben den Wienern beispielsweise die Türken gebracht.
Elisabeth Schneller, Direktorin des Zirkus Pikard
Heimat bedeutet für mich, dass ich mich mit den Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin, in meiner Sprache (Dialekt) unterhalten kann, regionales Essen bekommen kann und die Tradition der österreichischen Kultur erleben kann.
Den Begriff "Heimat" kann man verschieden sehen. Die totalitären Regime wie der Nationalsozialismus machten sich das zunutze: Heimat, Trachten, Aufmärsche, Fahnen, Schießen, Musizieren. Das ist ja etwas Großartiges und das wird dann vom Regime gefördert. Es ist aber ein Missbrauch. Nach dem Krieg haben es diese Vereinigungen, die so gefördert wurden, schwer gehabt, wieder auf ein normales Maß zurückzukommen. Es ist aber eine Tatsache: Ohne Blasmusik geht es nicht (lacht). Das gehört zur dörflichen Gemeinschaft dazu. Es geht immer ums zusammenhelfen. Wenn die Politik diesen Gemeinschaftsgedanken aufplustert und auf die ganze Nation überträgt, wird es gefährlich. (aus einem Interview mit Sepp Forcher: "Ich mag es nicht, wenn Leute über unser Land schlecht reden")
Heimat ist für mich der Ort wo meine Wurzeln liegen. Mein Geburtshaus steht. Die Kirche, in der ich getauft wurde, der Kindergarten, die Volksschule. Heimat ist der Ort, der mir Ursprung ist. Teil meiner Identität. Sicherheit. Vertrautheit. Heimat ist ein Ort vieler Erinnerungen.
Heimat ist für mich ein Ort mit dem man sich identifiziert. Obwohl das Wort eigentlich nie im Plural verwendet wird, können das – so wie bei mir – durchaus verschiedene Plätze sein. Sich in mehreren Gegenden beheimatet zu fühlen, halte ich für großen Luxus.
Draca Slavka, führt einen Geflügelstand am Brunnenmarkt
Ich komme aus Kroatien, Österreich ist meine zweite Heimat. Ich lebe seit 40 Jahren hier. Hier bleibe ich zwar ewig Ausländerin, aber ich liebe dieses Land. Heimat ist für mich da, wo ich mich wohlfühle, wo ich willkommen bin.
Oskar: Heimat ist relativ, wo man geboren und aufgewachsen ist. Wo die Wiege gestanden ist.
Janosh: Heimat ist mein Zuhause, soll man hegen und pflegen. Österreich ist meine neue Heimat, ich bin ein 56er-Flüchtling. Mein Vaterland ist dort, wo ich geboren bin.
Helmut: Heimat ist ein Zuhause. Ein neuer Anfang, ist Arbeit für mich.
Heimat steht für Erinnerungen, Gerüche und Geschmack. Ich bin nahe am Meer aufgewachsen: Wenn ich heute ans Meer reise, dann ist das immer ein emotionaler Moment für mich, unabhängig davon in welchem Land ich mich befinde.
Heimat ist das Gefühl, an einem Ort angekommen und zuhause zu sein. Und Gefühle ändern sich.
Heimat, für mich als Innsbrucker in Kalifornien, bedeutet die Bergwelt, die Wanderwege, das Schifahren, der tiroler Dialekt, die alten Freunde, und die Menschen in der Stadt, die oft stehen bleiben, um miteinander zu reden.
Matthias Beitl, Leiter des Volkskundemuseums
Es ist vorderhand naheliegend, gleich an Volkskundemuseen zu denken, wenn das Wort "Heimat" auftaucht. Diese Museen werden oft als Orte gedacht, an denen sich Heimat materialisiert: Dinge, die wir abgelegt oder zurückgelassen haben, um sie bei Bedarf wieder zum Zweck der Selbstvergewisserung zu heben. Heimat ist jedoch ein historisch gewachsenes Konstrukt aus vielen Parametern und für viele Zwecke. Unser allgemeines Verständnis von "Heimat" ist ein Erbe der Entwicklung einer bürgerlichen Gesellschaft zum Ende des 18. Jahrhunderts, stilisiert als Wunsch-Ort, von Sehnsüchten getragen und Verlustängste kompensierend. Das Problem mit der "Heimat" liegt darin, dass ihr "Kultur" und "Identität" eingeschrieben werden, beides Begriffe, die dazu dienen, das "Fremde" vom vermeintlich "Eigenen" abzugrenzen und somit Menschen auszuschließen. Kultur und Identitätsbildung sind dem gegenüber als dynamische Prozesse zu verstehen, die stets Veränderung in sich tragen. Viele Menschen würden leichter und angstfreier leben, würden sie sich diesem Faktum stellen. Die gedachte Heimat vermittelt ein Gefühl: es wird zu einem großen Teil von Wohlfahrt, Gewohnheit, Sicherheit und kollektiver Erinnerung getragen. Auf diesem Gefühl basieren einerseits Erfolge verschiedenartiger coffee table Literatur zum Thema "Besser leben", andererseits und oftmals in der Umkehrung des Gefühls – nämlich angedrohter Wohlstandsverlust, Veränderung, Angst und Fremdheit – politische Rezepturen zur Stimmenmaximierung. Sehr lange wurde der Heimatbegriff ausschließlich dem rechtspopulistischen Lager überlassen, erst vor kurzem brachten die Grünen "Heimat" in ihre Wahlstrategie ein. Die anderen Parteien fügen sich irgendwo dazwischen. In den Kulturwissenschaften ist "Heimat" schon lange Verhandlungsgegenstand, verblieb aber mehr oder weniger im wissenschaftlichen Gelände. Nunmehr ist "Heimat" plötzlich eine politische Diskursware mehrerer Anbieter geworden. Bald wird es darum gehen, wem der Begriff gehört. Es sind weitere Polarisierungen zu erwarten, die Angstkatalysatoren sind allgegenwärtig. Dabei wird oft übersehen, dass Menschen mehrere Zugehörigkeiten haben, gerade Österreich blickt auf eine lange Migrationsgeschichte zurück. Ein Volkskundemuseum wie wir es verstehen, ist nicht nur ein Archiv – wie übrigens jedes Museum primär eines ist – vielmehr ist es ein Verhandlungsort kultureller Dynamik, ein Ort der Analyse von gesellschaftlichen Prozessen – ob rezent oder historisch, mit allen Brüchen, Trends, Konflikten und Errungenschaften einer sich stets verändernden Gesellschaft.
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