Klausur mit dem Ich: Leben lernen mit dem Machtverlust
Wie schnell Auf und Abs im Leben passieren, zeigen gerade Politikerkarrieren deutlich. Man denke nur an die zahlreich gescheiterten ÖVP-Parteichefs, an den Rücktritt auf Raten von SPÖ-Chef Christian Kern oder Ex-SPD-Chef Martin Schulz. Der Deutsche wurde als Messias gefeiert, als Verlierer ging er ab – und das innerhalb eines Jahres.
Auch wenn der Aufprall, der Machtverlust, manches Mal hart ist und die Kurve im Leben nach unten fährt, ist der Lerneffekt dafür am höchsten. „Der Zyklus des Auf und Ab ist nicht unser Feind. Nur im Wenigerwerden, wenn unser Ego schmilzt, wird ein Vertiefungsprozess nach innen ausgelöst und wir können uns erneuern“, ist einer der wichtigsten Leitsätze im neuen Buch von Andreas Salcher Das ganze Leben in einem Tag. Der Unterschied zwischen Menschen, die an Verletzungen und Niederlagen zerbrechen, und jenen, die daraus große Fähigkeiten entwickeln können, lässt sich in drei Worten zusammenfassen: Selbstverantwortung statt Schuldzuweisung, lautet eine Erkenntnis.
Nachdenkbuch
Es ist sicherlich kein Glückratgeber, betont Salcher, sondern ein Nachdenkbuch. Man geht viel mehr in Klausur mit dem eigenen Ich. Im Mittelpunkt steht daher die Selbstreflexion – und die läuft nach der Salcher-Methode so: Das Leben dauert im neuen Buch 24 Stunden. Alle wichtigen Themen und Ereignisse, die normalerweise langsam Jahr für Jahr ablaufen, werden auf einmal aus einer veränderten Perspektive erlebbar – mit einem klaren Ziel: in jeder Lebensphase neu entscheiden zu können, in welche Richtung man sich weiterentwickeln möchte. Jede Stunde steht dabei für einen bestimmten Lebensabschnitt, der zwischen zwei und fünf Jahren dauert. Hier ein kleiner Auszug:
Im Alter von 41 bis 45 Jahren fordert die zwölfte Stunde alle unsere Kräfte im Beruf und in der Familie – dabei übersehen wir leicht, dass wir die Hälfte unserer Reise bereits hinter uns haben.
Im Alter von 56 bis 59 Jahren bestätigt die fünfzehnte Stunde das Gerücht, dass das Leben mit seiner Fortdauer immer schneller verrinnt, und zwingt uns, die „Was bleibt?“-Frage zu stellen.
Im Alter von 73 bis 75 Jahren trennt die zwanzigste Stunde unerbittlich die Glücklichen, die ihr Leben lang Lernende waren, und die Nichtlerner, deren Feuer der Neugier schon lange erloschen ist.
Die Bearbeitung der einzelnen Lebensthemen ist aber nicht willkürlich, sondern folgt entwicklungspsychologischen Konzepten. Der Bogen spannt sich von den Studienergebnissen renommierter Universitäten wie Harvard oder Stanford über die Lebensweisheiten von Seneca oder des islamischen Gelehrten Rumi bis zu den Lehren des Benediktinermönchs David Steindl-Rast.
Fragen den Lebens
Das Ziel der Lektüre: „Das Leben ist ein Lernprozess. Die Fragen in diesem Buch sollen dazu ermutigen, das eigene Leben mit neuen Augen zu sehen“, sagt Salcher.
Der Bildungsexperte der Regierung stellt dabei keine einfachen Kernfragen an seine Leserschaft. Vor allem sind es Fragestellungen, für die man vor allem eine ordentliche Portion Mut zur Wahrheit benötigt. Etwa, wo bemerke ich, dass ich Lebensfreude verliere, und wie kann ich diese in mir wieder zum Leben erwecken? Oder: Würden Sie wieder den gleichen Partner wählen und mit ihm Kinder in die Welt setzen? Welche Ziele würde ich mir für mein zukünftiges Leben setzen, wenn ich doppelt so viel Mut hätte wie in meinem bisherigen?
Der Bestsellerautor, der in den vergangenen Jahren 200.000 Bücher verkaufte, hat dabei all seine Erfahrungen, die er bei Treffen, Diskussionen und privaten Gesprächen mit sieben Nobelpreisträgern,dem Dalai Lama oder Künstlern wie Christo, Paulo Coelho, Frank Gehry und Isabel Allende gesammelt hat, in sein neuestes Werk verpackt.
Gestützt auf diese Erfahrungen definiert Salcher auch, was ein glückliches Leben ist – und unterscheidet drei Arten von Glück (siehe Interview unten).
Die 25. Stunde
Anders als sonst üblich, wird man das neue Salcher-Werk nicht beim ersten Kapitel starten, sondern vielmehr bei jener Stunde, die dem Alter des Lesers entspricht. Erst dann wird man sich die anderen Stunden – sprich Lebensabschnitte – vornehmen. Aber der Autor hat noch ein Extra-Kapitel, nämlich die 25. Stunde, an das Ende des Buches gestellt. „Die 25. Stunde wird es für niemanden von uns geben, daher sollten wir versuchen, jeden Tag mit Neugier und Leidenschaft zu leben.“ Wie das gelingt, verrät Salcher in der 25. Stunde.
Interview: "Es gibt nicht nur einen Weg zum Glück"
KURIER: Herr Salcher, wie kam es zu der Idee, das Leben in 24 Stunden einzuteilen?
Andreas Salcher: Vor 15 Jahren entwickelte ich ein 24-Stunden-Seminar. Die Grundidee war, dass man nach einem Arbeitstag 24 Stunden ohne Schlaf, ohne Handy, ohne Uhr seine Zeit erlebt. Da ging es darum, die Lebenszeit und dein Muster mit Lebenszeit wirklich und sehr pur zu erleben. Aus dieser Idee wollte ich immer ein Buch machen. Aber mir fehlte der richtige Zugang. Ein befreundeter WU-Professor hat mich dann mit der Idee inspiriert, doch das ganze Leben in 24 Stunden einzuteilen. Da hat es bei mir Klick gemacht, und ich schrieb das Inhaltsverzeichnis.
In Ihrem Buch soll man durch Selbstreflexion zu einem erfüllten Leben kommen. Wie definieren Sie Glück?
Martin Seligman ist Begründer der positiven Psychologie. Er hat sich mit der Frage beschäftigt, was ein glückliches Leben ist. Er hat drei Modelle entwickelt. Es gibt das angenehme Leben. Diese Menschen schaffen es, im Augenblick meistens das Positive zu sehen. Sie sind in der Lage, Negatives zu verdrängen. Diese Veranlagung hat einen hohen genetischen Faktor. Dieser Weg ist der Mehrheit der Menschen nicht möglich. Der zweite Weg ist das gute Leben. Das heißt, man geht in seinem Leben auf, sei es der Job, Familie, Sport oder das Hobby. Der dritte Weg ist das sinnerfüllte Leben. Da hat man seine Mission gefunden. Du lebst für eine höhere Aufgabe, die dich erfüllt. Bei diesem Modell kommt auch am meisten von den Menschen zurück. Die Botschaft ist aber – es gibt nicht nur einen Weg zum Glück. Deswegen funktionieren auch die Glücksratgeber nicht, weil eine 18-Jährige andere Ratschläge braucht als eine 70-Jährige.
Wann genau passieren wichtige Wendepunkte im Leben?
Die Forschung entdeckt immer mehr, dass das erste Lebensjahr emotional entscheidend ist. Wenn man als Baby körperliche Wärme und Zuneigung bekommt, hat man das Urvertrauen ins Leben. Die nächste Stufe ist, ob du das Glück hast, in der Volksschule eine Lehrerin zu bekommen, die dir Lernfreude vermittelt. Das ist eine wichtige Prägung, die das ganze Leben anhält.
In der siebten Stunde kommt der erste Wendepunkt, den man als Mensch registriert: Da gibt es die 23- bis 26-Jährigen, die die Überflieger sind. Andere realisieren, das Leben hat es nicht so gut mir gemeint. Das heißt aber noch lange nicht, dass das ein gescheitertes Leben ist. In der 11. Stunde, kurz vor der Halbzeit zwischen 37 und 40 Jahren, entdecken viele, dass sie trotzdem nicht glücklich sind, obwohl sie vieles erreicht haben. In dieser Phase haben wir schon viele Verletzungen angesammelt. Hier stellt sich die Frage: Schaffen wir den Neuanfang oder zerbrechen wir daran?
Welche Rolle spielt die Gesundheit?
Wenn man rechtzeitig drei einfache Dinge beachtet, kann man sein Leben um 16 Jahre verlängern: Am wichtigsten ist, nicht zu rauchen, dann wenig essen und sich regelmäßig bewegen.
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