Heftige Kritik an Timoschenko-Urteil
Richter Radion Kirejew hatte keine Eile mit der Verlesung des Urteils gegen
Julia Timoschenko. Dass die ukrainische Ex-Premierministerin in seinen Augen schuldig ist, ließ er aber gleich zu Beginn des Gerichtstermins am Dienstag wissen. Schuldig des Amtsmissbrauchs; schuldig, 2009 einen unvorteilhaften Gas-Vertrag mit Russland (Schaden laut Anklage 137 Mio. Euro) ausgehandelt und zur Bestätigung desselben nicht das Kabinett befragt zu haben.
Sieben Jahre Haft forderte die Anklage. Und zu sieben Jahren Haft verurteilte Kirejew schließlich auch die Angeklagte. Timoschenko, die seit zwei Monaten in Untersuchungshaft sitzt, und ihre Verteidiger wollen berufen.
Während im Gericht gelesen wurde, wurde davor gesungen: die Nationalhymne der Ukraine. Hunderte Anhänger Timoschenkos hatten sich im Zentrum Kiews versammelt, um gegen die, wie sie es nennen, "Diktatur" von Präsident Viktor Janukowitsch zu demonstrieren. Samt patriotischer Lieder. Auch der Präsident hatte seine Anhänger auf die Straße gebracht. Sowie Hunderte Polizisten, die die Innenstadt Kiews am Dienstag sicherten.
Der Vorwurf der Gegner Janukowitschs wiegt schwer: Das Verfahren gegen die einflussreichste Oppositionspolitikerin sei nichts als politische Rache. Ein Eindruck, dessen sich auch unabhängige Beobachter - ob Menschenrechtler oder Diplomaten - nicht erwehren können.
Es ist aber genau dieser Umstand, der sich als Falle für Janukowitsch erweisen könnte. Sind es diesmal nicht Straßenproteste, die seinen Anspruch auf die Macht gefährden, wie während der orangefarbenen Revolution 2004, so sind es Proteste aus der EU, den USA und auch aus Russland. Dort meinte etwa Premier Putin: "Ich verstehe nicht, wofür sie verurteilt wurde." Und Europarats-Generalsekretär Jagland sprach sinngemäß von einem politischen Urteil.
Generell schadete das Vorgehen gegen die Opposition (mehr als ein Dutzend ehemalige Kabinettsmitglieder Timoschenkos sind in Haft) dem Image Janukowitschs. Mit der Konsequenz, dass die geplante Unterzeichnung eines Assoziationsabkommens mit der
EU nun mehr als infrage steht. Österreichs Außenminister Spindelegger sieht in dem Schuldspruch einen "politischen Racheakt".
Sollte das Abkommen platzen, so dürfte das Janukowitsch bei den Parlamentswahlen 2012 schmerzhaft nachgetragen werden. Und Russland seinerseits sieht mit dem Timoschenko-Prozess seinen Ruf als verlässlicher Vertragspartner in Gefahr und macht ebenso Druck.
In Kiew sucht die Führung nach Auswegen. Selbst Janukowitsch äußerte Verständnis für die Kritik am Urteil, Timoschenko könne aber berufen. Und im Parlament werden Strafrechtsreformen debattiert - möglicherweise, um eine Amnestie zu ermöglichen.
Janukowitsch kann sich nicht in Richtung Europa bewegen, wenn Timoschenko in Haft bleibt. Es gibt natürlich einen Zusammenhang zwischen dem Fall Timoschenko und der EU-Annäherung der
Ukraine", sagt Lelia Shevtsova.
Der KURIER traf die bekannte Osteuropa-Expertin und führende Wissenschaftlerin der Carnegie-Stiftung in Moskau und Washington am Institut für die Wissenschaft vom Menschen in Wien, wo sie einen kritischen Vortrag über die "Zukunft Russlands" hielt.
Shevtsova hofft, dass Timoschenko "bald freikommt", dass "die EU Druck macht" und Präsident Janukowitsch die europäischen Chancen für das Land nicht vermasselt. "Die Ukraine braucht die EU, den Assoziationsvertrag inklusive des Freihandels, um demokratischer und moderner zu werden."
Der Freihandelsvertrag mit der Ukraine sollte im Dezember unterschrieben werden. Darüber ist jetzt aber ein Streit in der EU ausgebrochen. Das eine Lager, bestehend aus den baltischen Republiken, den skandinavischen Ländern, Polen und anderen Osteuropa-Staaten, ist für die rasche Unterzeichnung. Deutschland, die Niederlande und die EU-Zentrale in Brüssel wollen die EU-Annäherung stoppen, um Janukowitsch "für seine autoritären Methoden zu bestrafen", analysiert ein EU-Diplomat.
-
Hintergrund
-
Hintergrund
Kommentare