Geplatzte Träume in Spanien

Die "Geisterstadt", so nennt sie hier jeder, die fängt gleich hinter dem letzten Haus an. Dort ist dann nur noch der Bauzaun, ein paar riesige Gruben und weit dahinter eine verwitterte Werbetafel in den endlosen Hügeln der Mancha. Das Bild darauf - kaum noch zu erkennen - zeigt, was hier entstehen sollte: Eine Stadt für Zehntausende Menschen, aus dem Boden gestampft von einem größenwahnsinnigen Bauherrn.
Heute steht hier in Ensena, fünfzig Kilometer südlich von Madrid, gerade einmal ein Dutzend düsterer Wohnblocks und rundherum viel verwaistes Baumaterial. Manche der Häuser sind bewohnt, auf jedem zweiten Fenster klebt ein Schild: "Zu vermieten". Um 80.000 Euro würden sie jetzt die Wohnungen verramschen, erzählt eine Bewohnerin verbittert. Sie hat noch das Vierfache gezahlt und weiß schon jetzt, dass sie hier bleiben muss, egal, was passiert. Wie soll sie auch den riesigen Kredit, den ihr die Bank förmlich aufgeschwätzt hat, zurückzahlen.
Ensena ist eines der größten und hässlichsten Denkmäler für die spanische Immobilienblase, die platzte und das ganze Land in die
Krise gerissen hat. Mehr als eine Million Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft sind verloren gegangen, die Banken sitzen auf Unmengen von faulen Krediten und leer stehenden Wohnungen, während 300.000 Familien auf die Straße gesetzt wurden.
Spanien steckt vor den Parlamentswahlen in einer Krise, die täglich dramatischer wird. Die Zinsen für Staatsanleihen sind in Rekordhöhe, die Arbeitslosigkeit hat 22 Prozent überschritten und der Pessimismus sitzt einer Nation, die zehn Jahre lang unverdrossen auf eine bessere Zukunft gesetzt hat, im Nacken.
"Es wird sehr schwierig werden", auf diesen Satz hat Mariano Rajoy, Spitzenkandidat der konservativen Volkspartei (PP), auch in seinem letzten Fernsehinterview vor den Wahlen nicht vergessen. Der 56-Jährige ist nach zwei Wahlniederlagen auf dem sicheren Weg in die Moncloa, dem Regierungssitz in Madrid. Umfragen sagen der PP den Sieg und eine absolute Mehrheit voraus.
"Es geht den meisten nicht darum, die Konservativen in die Regierung zu wählen, sondern die Sozialisten dort rauszuschmeißen", fasst der Journalist Diego de la Sierna die Lage zusammen. Deren Spitzenkandidat, Alfredo Perez Rubalcaba, hat sich längst darauf beschränkt, vor der Übermacht der Konservativen und deren beinhartem Sparkurs zu warnen. Der 60-Jährige ist quasi als Ersatzmann im letzten Moment eingesprungen, nachdem Premier Zapatero im Frühjahr angekündigt hat, nicht mehr zu kandidieren.
Streikwelle
Den Sparkurs aber hat Zapatero bereits eingeschlagen, Pensionen wurden gekürzt, Steuern erhöht, Beamtenposten gestrichen. Seither geht eine Streik- und Protestwelle durch das Land.
Doch während die Älteren um Gehälter und Pensionen kämpfen, fehlt
Spaniens jüngerer Generation die Aussicht, überhaupt Arbeit zu finden. Mehr als 40 Prozent der unter Dreißigjährigen haben keinen Job. Viele haben in den Boomjahren ihre Ausbildung abgebrochen, um auf den Baustellen schnell gutes Geld zu verdienen. Jetzt, wo diese Jobs weg sind, stehen sie ohne Perspektive da. "Generation weder - noch", also ohne Studium und ohne Job, nennt man sie hier.
"Das frisst sich quer durch deine Familie und den Freundeskreis", erzählt Isabella, eine junge Madriderin, "und mit der Arbeit geht auch die Aussicht auf eine eigene Wohnung verloren". Zu Hause bei den Eltern blieben die Spanier schon immer länger als andere Europäer. Mit 30 im Hotel Mama zu wohnen ist hier ganz normal: "Jetzt aber kommen die Vierzigjährigen nach Hause zurück, oft mit ihren Kindern." Die Familie ist hier das Netzwerk, das die jüngere Generation durch die Krise trägt. Jetzt, wo der Job vieler Junger weg und deren Wohnungen nur noch die Hälfte wert sind, hängt auch die Familie mit drinnen in der Schuldenfalle. Spaniens neue Mittelklasse, die in den Boomjahren entstanden ist, kämpft um ihre Existenz. "Spanien steht bei der sozialen Ungleichheit schon jetzt an der Spitze Europas", analysiert Lothar Witte von der deutschen Ebert-Stiftung in Madrid: "Das hat sich in der Krise drastisch verschärft. Es gibt immer mehr Familien, in denen niemand mehr ein Einkommen hat."
Für Witte aber ist der Boden in der Krise noch nicht erreicht, noch sei nicht klar, wie groß die Kreditrisiken sind, auf denen die spanischen Banken sitzen. Schließlich würden auch die Immobilienpreise noch weiter fallen: "Da ist noch einiges zu erwarten."
Doch nach dem Ende des Immobilienbooms fehlt Spanien die Branche, der Wirtschaftszweig, der das Land aus der Krise ziehen könnte. "Jetzt haben wir doppelt so viele Flughäfen wie Deutschland und mehr Hochgeschwindigkeitszüge als China", ärgert sich Isabella, "und keiner weiß, was er damit anfangen soll." Wie einst ihre Großväter suchen viele junge Spanier ihre Zukunft wieder im Ausland. Deutschland, Amerika, Kanada sind ihre bevorzugten Ziele. Einen Unterschied zu früher aber, macht Diego, der Journalist, deutlich: "Die Großväter sind als Landarbeiter fortgegangen, die Jungen gehen als Techniker, Ingenieure. Diese Generation ist gut ausgebildet."
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