Frankreich: Absolute für Hollande in Reichweite

Ein "normales Ergebnis für einen normalen Präsidenten", witzelten am Montag in Paris Kommentatoren – eine Anspielung auf die von Staatschef François Hollande betonte "Normalität" seiner Amtsführung im Gegensatz zur "Hyperpräsidentschaft" seines Vorgängers Nicolas Sarkozy. Tatsächlich hat das Regierungslager, das aus SP und Grünen besteht, im ersten Durchgang der Parlamentswahlen mit fast 40 Prozent der Stimmen zwar keinen bahnbrechenden Sieg, aber einen soliden Vorsprung gegenüber der bürgerlichen Sammelpartei UMP (34 Prozent) errungen.
Wegen des Wahlsystems, das Groß-Bündnisse favorisiert und isolierte kleinere Parteien gnadenlos eliminiert, dürften sich die 40 Prozent des Hollande-Lagers im zweiten Wahlgang nächsten Sonntag in eine absolute Mandatsmehrheit verwandeln. Das verdankt die Linke paradoxerweise dem von ihr kritisierten Präsidenten-Regime, das der bürgerliche General De Gaulle 1958 eingeführt hatte. Der Gründer der Fünften Republik wollte die chronische Instabilität beenden, die eine allzu zersplitterte Parteienlandschaft verursachte. Sein Leitspruch: "Ein Land mit 365 Käsesorten ist unregierbar."

Jetzt kann die SP vermutlich sogar alleine die Absolute erringen, also ohne ihren grünen Minipartner. Dieser kam auf fünf Prozent, und das auch nur, weil die SP ihm Wahlkreise überließ. Entscheidend ist aber für Hollande, dass er jetzt die Gewissheit hat, im Parlament nicht auf die wahlweise Unterstützung der "Linksfront" von Jean-Luc Mélenchon angewiesen zu sein. Die "Linksfront" rutschte auf unter sieben Prozent ab, nachdem Mélenchon bei den Präsidentenwahlen elf Prozent errungen hatte. Er selbst kommt nicht ins Parlament, nachdem er in seinem Wahlkreis zweifach überrundet wurde.
Die "Linksfront" hat trotzdem Aussicht auf über ein Dutzend Abgeordnete. Obwohl sie nicht der Regierungskoalition angehört, gilt sie als Teil des linken Gesamtlagers. Deshalb wird sich überall, wo ihre Kandidaten im ersten Durchgang auf Platz eins kamen, die SP zu ihren Gunsten zurückziehen. Das ist Tradition in Frankreich, wo sich seit Bestehen des gaullistischen Wahlblock-Systems SP und KP in der Stichwahl verbünden.
Bürgerliches Dilemma
Für die bürgerliche UMP besteht das Dilemma darin, dass ihre einzigen eventuellen Stimmenreserven bei der "Front National" ( FN) liegen. Die FN kam im ersten Wahlgang auf 13,6 Prozent. Die UMP schaffte zwar eine verhältnismäßige Schadensbegrenzung, ihre Führungspersönlichkeiten schnitten gut ab. Nach der Niederlage von Sarkozy hatte die UMP stärkere Verluste befürchtet.
Aber die UMP-Führung will sich auf keine Bündnisse mit Le Pen einlassen. Umgekehrt will Le Pen erklärtermaßen die UMP zerstückeln, um sich selber als führende Oppositionskraft zu etablieren. Deshalb wird die FN im zweiten Wahlgang überall dort, wo sie es kann, ihre Kandidaten antreten lassen, um die UMP zu schwächen.
Le Pen verfehlt Wahlziel
Die Rechtspartei "Front National" (FN) hat ihr Wahlziel nicht erreicht. Nachdem ihre Chefin, Marine Le Pen, bei der Präsidentenwahl fast 18 Prozent errungen hatte, sackte die FN bei der Parlamentswahl auf unter 14 Prozent. Vor allem aber konnte die "Marine-blaue Union", so ihre neue Bezeichnung, nur in 61 von insgesamt 577 Wahlkreisen die Hürde für den zweiten Wahlgang (12,5 Prozent der Wahlberechtigten) nehmen. Dabei hatte die FN mit einer voraussichtlichen Präsenz in 200 Wahlkreisen geprahlt. Laut Meinungsforschern dürfte die FN auf maximal drei Parlamentssitze kommen.
Ihren spektakulärsten Erfolg verzeichnete Marine Le Pen in ihrer Bastion in Nordfrankreich. In dem vormaligen Kohlen-Revier kam sie auf 42,5 Prozent. Das Sperren der Gruben, gefolgt von einer Welle von Fabrikschließungen und die Verwicklung örtlicher SP-Granden in Affären haben aus der Gegend ein ideales Terrain für die FN gemacht. Sie profitierte auch von der Abwesenheit einer nennenswerten bürgerlichen Opposition.

Nachdem der vehemente Linkstribun Jean-Luc Mélenchon ebenfalls in diesem Wahlkreis antrat, geriet die Kampagne vor Ort zu einem spektakulären, wenn auch für das restliche Frankreich untypischen Duell radikaler Politiker. Mélenchon verbesserte zwar das Ergebnis der örtlichen KP, kam aber trotzdem mit 21,4 Prozent nur auf Platz drei. Der unscheinbare SP-Kandidat, ein örtlicher Bürgermeister, belegte mit 23,5 Prozent Platz zwei. Nach seiner Niederlage rief Mélenchon zur Stimmabgabe für den Sozialisten auf. Jetzt steht ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der SP und Marine Le Pen bevor.
Im südöstlichen Departement Vaucluse, in der Nähe der Festivalstadt Avignon, errang Marion Marechal-Le Pen mit fast 35 Prozent die relative Mehrheit. Die 22-jährige Nichte von Marine Le Pen und Enkelin des Parteigründers Jean-Marie Le Pen wäre im Fall ihres Sieges im zweiten Wahlgang die jüngste Abgeordnete. Um das zu verhindern und gemäß ihres Prinzips eines "republikanischen Sperrwalls", hat die SP ihre örtlichen Kandidatin zugunsten des zweitgereihten bürgerlichen Abgeordneten zurückgezogen.
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