Fragen nach Nazi-Terror bleiben offen

Zwei Frauen halten gemeinsam eine brennende Kerze in einem Glaszylinder.
Deutschland: In einem Staatsakt gedenkt die Politik der Migranten-Opfer des rechtsradikalen Terrors.

Es war die höchstrangige Versammlung, die der deutschen Politik möglich ist: Im Konzerthaus in Berlin trauerten die Spitzen der Republik gemeinsam mit den Angehörigen um jene zehn Menschen, die die Neonazi-Zelle aus Zwickau seit 2000 ermordet hatte.

Neun von ihnen waren nur wegen ihrer ausländischen Herkunft zu Opfern geworden. Das zehnte und letzte war eine junge Polizistin, ehe sich die beiden Haupttäter im Herbst selbst richteten. Erst da war klar geworden, dass die Mordserie keinen kriminellen, sondern ei nen politischen Hintergrund hatte.

Für die Opfer standen zehn Kerzen auf der Bühne, ergänzt um zwei weitere: Eine für alle anderen der vergangenen Jahrzehnte und eine für die Hoffnung auf wirksameren Widerstand gegen den rechtsradikalen Terror.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach in eindringlichen Worten statt des zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff, dem die Gedenkfeier ein großes Anliegen gewesen war. Sie bedauerte, „dass die Hintergründe der Morde viel zu lange im Dunkeln geblieben“ waren, „auch, weil typische Merkmale wie Bekennerbriefe fehlten“. Wie schlimm müsse es sein, sprach Merkel zu den Angehörigen, „falschen Verdächtigungen ausgesetzt zu sein statt trauern zu können: Dafür bitte ich um Verzeihung.“

Sie habe sich das Hass-Video der Terror-Zelle vorführen lassen: „Etwas Menschenverachtenderes habe ich nie gesehen.“ Dies sei „eine Schande und ein Anschlag auch auf unser Land“.

„Gleichgültigkeit verheerend“

Merkel versprach, „alles aufzuklären und eine Wiederholung durch Ausnützen aller Möglichkeiten des Rechtsstaats zu verhindern“. Dazu sei auch eine „starke Zivilgesellschaft nötig: Gleichgültigkeit hat verheerende Wirkung. Gefährlich sind auch die, die ein Klima der Verachtung erzeugen.“

Nach Merkel und Einlagen mit deutsch-türkischen Gedichten und Musik sprachen drei der 83 anwesenden Angehörigen der Opfer. Der Vater eines jungen Café-Besitzers erzählte auf Türkisch, wie sein Sohn in seinen Armen starb. Er bat, die Kölner Straße, in der er gelebt hatte, nach ihm zu benennen.

Die Sozialhelferin Semiya Simsek, Tochter des ersten Mordopfers, ergriff die Zuhörer am meisten, als sie über ihr Gespräch mit dem Vater über den „Klang der Schafe in Anatolien“ berichtete und dass er „im Sommer darauf tot war“. Sie klagte die Behörden an, dass sie den Vater im Verdacht von Drogenhandel hatten: „Ich finde keine Worte dafür, dass wir elf Jahre lang nicht reine Opfer sein durften, nicht in Ruhe trauern konnten.“ Sie sei in Deutschland geboren, frage sich aber: Bin ich hier zu Hause, oder soll ich gehen?“ Simsek drohte aber nicht wie in einer TV-Sendung zuvor, nun in die Türkei auszuwandern. Sie erhielt den einzigen Applaus der Veranstaltung. An Ende sprachen führende Politiker mit den Angehörigen im kleinen Kreis.

Die landesweit von Behörden, Arbeitgebern und Gewerkschaften vereinbarte Schweigeminute um 12 Uhr wurde von den allermeisten Deutschen nicht befolgt – und blieb daher weitgehend unbemerkt.

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