Flüchtlinge: Menschen hinter dem Vorurteil

Pierre strahlt – vor wenigen Wochen hat er einen positiven Asylbescheid bekommen. Er darf in Österreich bleiben. Was war, möchte der 33-Jährige am liebsten vergessen. Nicht nur die Flucht aus seinem Heimatland Burkina Faso, wo er wegen des politischen Engagements seiner Familie bedroht war. Auch in Österreich ist ihm einiges widerfahren. Zwei Mal wurde er in Schubhaft genommen. Vier Polizisten trugen ihn ins Flugzeug. Weil er sich dabei eine Platzwunde am Kopf zuzog, wurde die Abschiebung abgebrochen. Inzwischen hat der Asylgerichtshof seine Asylgründe noch einmal geprüft und Pierre als Flüchtling anerkannt.
Pierres Geschichte ist in einer neuen Broschüre des UN-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR aufgezeichnet. Darin werden die gängigen Vorurteile gegenüber Asylwerbern und Flüchtlingen aufgezeigt. Fakten und persönliche Erfahrungen sollen diese Vorurteile widerlegen. Unterstützt wird die Initiative vom Europäischen Flüchtlingsfonds und vom Innenministerium, das seit dem Vorjahr steigende Flüchtlingszahlen registriert (siehe Grafik).
Misstrauen

Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen wird hierzulande mit vorgefertigten Meinungen, Misstrauen und sehr viel Unwissen begegnet. Das ergab im Vorjahr eine vom UNHCR in Auftrag gegebene Umfrage. Mit der Broschüre und Veranstaltungen will die internationale Flüchtlingsorganisation gegensteuern. Motto: "Man sieht, was man sehen will. Riskieren Sie einen zweiten Blick hinter Ihre Vorurteile."
Asylsuchende sind faul und wollen nicht arbeiten, steht neben der Geschichte von Pierre zu lesen. Die Fakten: So lange sein Asylverfahren lief (seit 2009) durfte der Buchhalter mit Uni-Abschluss nicht arbeiten. Jetzt hat er sich beim AMS gemeldet. Obwohl sein Abschluss in Österreich bereits anerkannt ist, wurde er als Hilfskraft an die Gastronomie verwiesen.
Zuzana ist bereits vor 44 Jahren als Teenager mit ihrer Familie aus der damaligen Tschechoslowakei nach Österreich geflüchtet. Sie hat den Neu-Anfang in der neuen Heimat völlig anders erlebt als Pierre. "Wenn ich das so höre, dann schäme ich mich fast, dass es für uns damals so einfach war", sagt sie. Zuzana ist überzeugt, dass sie mit ihrer damaligen Situation heute kein Asyl mehr bekommen würde: "Mein Vater hatte politische Probleme, er hätte seinen Job verloren. Wir hätten es schwer gehabt, aber unser Leben war nicht bedroht."
Nach dem Prager Frühling wurden die Tschechen in Österreich freundlich aufgenommen wurden. Zuzana ist längst Österreicherin und spricht akzentfrei Deutsch: Dennoch fühlt sie sich immer noch als Flüchtling: "Das bleibt in einem drinnen. Ein Flüchtling verlässt seine Heimat nicht freiwillig, er kann nicht zurück." Das sei eine völlig andere Situation als jene von Migranten, mit denen Asylwerber aber immer wieder in einen Topf geworfen würden. "Ein Migrant kann in seiner Heimat Urlaub machen und seine Familie besuchen. Ich habe meine ältere Schwester zwölf Jahre nicht gesehen."
Rache

Asylsuchende spielen nur die Verfolgten – Das steht neben der Geschichte von Pjeter, der bis 1997 Chef der Zollpolizei in Nordalbanien war. Er hat viele Kriminelle hinter Gitter gebracht. Als während des Krieges die Gefängnisse geöffnet wurden, war Rache angesagt. Sein Haus wurde zerstört, Pjeter floh mit Frau und zwei kleinen Kindern nach Wien.
Asyl bekam die Familie damals noch binnen weniger Wochen. Doch der wirtschaftliche Neuanfang war für den Juristen schwer. Unter anderem arbeitete er als Rechtspraktikant, wurde aber nach einem Jahr wieder gekündigt.
Seit der schwarz-blauen Regierung (2000 bis 2006) werde es den Flüchtlingen immer schwerer gemacht, kritisiert der nunmehrige Flüchtlingshelfer. Er wünscht sich ein besseres Asylgesetz. "Es darf nicht sein, dass die Verfahren so lange dauern. Die Leute sind jahrelang hier, dann müssen sie wieder gehen. Dabei bringen wir viel mit. Wir sind nicht alle Idioten oder Kriminelle", sagt Pjeter – womit er wieder bei den Vorurteilen ist.
Und die betreffen vor allem Neo-Asylwerber Pierre: In der U-Bahnstation wurde der dunkelhäutige junge Mann vor Kurzem von Polizisten als Einziger aus einer großen Menschenmenge herausgefischt. Seine Papiere, die ihn als Asylwerber auswiesen, wurden fast eine Stunde überprüft.
Ende der 1990er-Jahre wurden die Deutschkurse für Pjeter vom Innenministerium gezahlt. Den Deutschkurs für Pierre musste das Flüchtlingsprojekt von Ute Bock finanzieren, auch die Wohnmöglichkeit in Niederösterreich wurde von "Mama Bock" vermittelt. Einige Monate hat er noch Anspruch auf die Grundversorgung von 290 Euro im Monat – für Miete, Kleidung, Essen. In der Cafeteria im Vienna International Center, wo er die anderen Flüchtlinge und die UNHCR-Mitarbeiter trifft, trinkt er Cola: "Vier, fünf Flaschen davon, und ich bin pleite", sagt er. Ein Leben in Saus und Braus – ein weiteres der vielen Vorurteile gegenüber Asylwerbern – sieht anders aus.
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