EU-Erweiterung: Etwas Lob und viel Tadel

EU-Erweiterung: Etwas Lob und viel Tadel
Die EU-Kommission übt Kritik an der Türkei und ruft zu einem Neustart auf. Serbien wird offiziell EU-Beitrittskandidat.

Erweiterungskommissar Stefan Füle hatte am Mittwoch in Brüssel gehörigen Erklärungsbedarf. Seine "Zeugnisverteilung" für die EU-Beitrittskandidaten war mit Spannung erwartet worden - vor allem die Berichte über Serbien und die Türkei. Insgesamt erhielten neun Staaten (siehe Grafik) die Fortschrittsberichte 2011 über den Grad ihrer Annäherung an die EU.

EU-Erweiterung: Etwas Lob und viel Tadel

- Die Türkei wird scharf kritisiert: Trotz gewisser Fortschritte habe sich die Lage der Menschenrechte, der Meinungs- und Religionsfreiheit verschlechtert. Zudem wird Ankaras Rolle im Zypern-Konflikt angeprangert, die EU fordert "rasch eine umfassende Lösung". Grundsätzlich spricht sich Brüssel für "eine neue und frische Agenda" aus, also für einen Neustart der Beziehungen mit der Türkei.

- Serbien wird zwar der offizielle EU-Kandidatenstatus zugestanden. Doch die Verhandlungen werden an die Erfüllung einer Reihe von Auflagen geknüpft, vor allem an die Wiederaufnahme des Dialogs mit dem Kosovo.

- Kroatien hat im Juni die Beitrittsverhandlungen abgeschlossen, der Beitrittsvertrag wird am 19. Dezember unterzeichnet. Voraussichtlicher Beitritts-Termin: 1. Juli 2013. Die Kommission unterstützt diesen Zeitplan.

- Island könnte als nächstes beitreten, wenn das Streitthema Fischerei ausgeräumt wird. Die Regierung wird aufgefordert, wegen der EU-kritischen Stimmung in Island mehr Informationen über die EU anzubieten.

- Montenegro, seit Ende 2010 Beitrittskandidat, durfte erfreut sein: Brüssel empfiehlt den Beginn konkreter Beitrittsverhandlungen.

- Mazedonien ist seit 2005 Beitrittskandidat. Doch die Beitrittsverhandlungen bleiben im Streit mit Griechenland um den Staatsnamen weiter blockiert.

- Albanien und Bosnien-Herzegowina müssen noch länger darauf warten, offizielle Beitrittskandidaten zu werden. Die Fortschrittsberichte 2011 über sie fielen erwartungsgemäß sehr schlecht aus.

- Kosovo gilt zwar ebenfalls als potenzieller Beitrittskandidat, seine Unabhängigkeit 2008 wird aber von fünf EU-Staaten und Serbien nicht anerkannt. Brüssel empfiehlt nun die Aufnahme des Dialogs über Visafreiheit.

Reaktion

EU-Erweiterung: Etwas Lob und viel Tadel

Die Kosovo-Frage bleibt ein Hauptproblem der EU-Annäherung der Westbalkan-Staaten. Österreich unterstützt den Kandidatenstatus Serbiens, fordert aber wie Brüssel, dass der Dialog mit dem Kosovo wieder aufgenommen werden muss.
In Wien geht man davon aus, "dass im Laufe dieser Verhandlungen eine Lösung zwischen Belgrad und Priština gefunden wird, noch ehe Serbien der EU beitritt", sagte Staatssekretär Wolfgang Waldner zum KURIER. "Denn wir wollen kein zweites Zypern-Problem in der EU haben."

In der Vorwoche war Waldners Aussage in Belgrad, die Unabhängigkeit des Kosovo sei "eine Realität", von Serbiens Innenminister Ivica Dacic rüde zurückgewiesen worden: Es sei "unannehmbar, dass jemand aus Österreich in Belgrad Lektionen erteilt." Unter dem Tisch aber habe Dacic, so schildert Waldner, dessen Hand gedrückt und ihm zugezwinkert - offenbar als Signal, dass diese harte Aussage für das eigene Publikum gedacht war.

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