"Die VP muss weg von ihrer Klientelpolitik"

Ein älterer Mann mit Bart und braunem Jackett schaut nach unten.
Die ÖVP dürfe sich nicht nur für Lehrergewerkschafter und Bauern engagieren, sagt Ex-EU-Kommissar Franz Fischler.

Franz Fischler war Österreichs erster EU-Kommissar. Derzeit engagiert er sich für das Demokratie-Volksbegehren "MeinÖ". Fischler über die Krise der ÖVP und der EU.

KURIER: Sie haben vor vier Monaten gesagt, wenn sich die ÖVP nicht bald bewegt, ist sie tot. Hat sie sich bewegt?

Franz Fischler: Bis jetzt nicht. Die größte Gefahr, die ich sehe, ist, dass die ÖVP bei der nächsten Wahl nicht vorkommt; dass es ein reines Match Faymann gegen Strache gibt. Michael Spindelegger bemüht sich. Aber bemühen ist zu wenig. Die Situation in Kärnten hat alles noch schlimmer gemacht. Eigentlich müsste man dort die ÖVP neu gründen.

Wie kann die ÖVP aus der Krise kommen?

Sie muss sich thematisch wieder verbreitern. Bei vielen ihrer früheren Kernkompetenzen haben ihr andere Parteien den Rang abgelaufen. Ich sehe derzeit keine europapolitischen Initiativen der ÖVP. Und niemand sieht die Partei noch als Kompetenzzentrum für die heimische Industriepolitik.

Bei Bildungsthemen wird der ÖVP oft vorgeworfen, zu bremsen. Tut sie das?

Die Bildungspolitik der ÖVP ist viel zu stark an der Lehrergewerkschaft ausgerichtet. Das ist symptomatisch für die Klientelpolitik der Partei auch in anderen Bereichen – etwa für Bauern oder bestimmte Gruppen im öffentlichen Dienst. Die ÖVP muss weg von dieser Klientelpolitik, sonst wird es schwierig. Das Problem ist ja auch: Diese Gruppen werden immer kleiner, nicht größer.

Kommen wir zu einer anderen Krise, jener der EU. Haben Sie Verständnis für Menschen, die sagen, wir sollen nicht noch mehr Milliarden nach Griechenland pumpen, weil das ein Fass ohne Boden ist?

Emotional ja, sachlich nein. Nehmen wir an, Griechenland fliegt aus der Eurozone. Dann nehmen die internationalen Investoren einen anderen Staat in der Eurozone aufs Korn und spekulieren gegen ihn. So können sie mit der Zeit jeden abschießen. Ein Griechenland-Austritt wäre daher wesentlich teurer als die Rettung.

Heißt das, die Griechen können machen, was sie wollen, weil Europa keine Alternative hat?

Es ist eine ungute Tradition der Griechen, Europa in Geiselhaft zu halten. Sie haben das getan, um in die Eurozone zu kommen. Sie haben damals gedroht, die Ost-erweiterung zu blockieren.

Wie kann der Euro gerettet werden? Sollen die Schulden in Europa vergemeinschaftet werden, wie das etwa Kanzler Faymann fordert?

Eurobonds (gemeinsame Anleihen der EU-Staaten, Anm.) sind die perfekte Lösung. Dann könnte nicht mehr jeder einzelne Staat in Europa von Spekulanten attackiert werden. Werden die Schulden vergemeinschaftet, muss es aber Garantien geben, dass die Sünder büßen und nicht neue Schulden auf Kosten der Gemeinschaft machen.

War es rückblickend ein Fehler, den Euro einzuführen?

Nein, das war richtig und sinnvoll. Man hätte aber gleich zu Beginn Eurobonds einführen sollen – geknüpft an strenge Regeln bei der Budgetdisziplin. Man darf nicht vergessen: Es waren Deutsche und Franzosen, die vor Jahren Druck gemacht haben, die Maastricht-Kriterien für Budgetdisziplin aufzuweichen. Man kann nicht sagen, dass Griechenland allein an der Krise schuld ist.

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