„Die Frage ist: Was ist mit ,Kultur des Gastlandes‘ gemeint?“

Ein Mann mit Brille und Bart trägt ein rosa Hemd.
Der Politikwissenschafter und Islam-Experte Thomas Schmidinger im Interview über die Situation in Österreich:

KURIER: Was kann man aus solchen Studien ablesen?

Thomas Schmidinger: Das erinnert an den Umgang der damaligen ÖVP-Innenministerin Prokop mit einer ähnlichen Studie 2006 (sie sprach von Integrationsunwilligkeit, das Wort kam in der Studie aber gar nicht vor, Anm.). Die Frage ist: Was meint „die Kultur des Gastlandes“? Wenn damit Schweinefleisch und Bier gemeint sind, ist es für Muslime legitim, das abzulehnen. In Österreich ist die Datenlage dazu dürftig.

2009 gab es eine Studie des Innenministeriums: Demnach fühlen sich 83 Prozent der Migranten integriert.

Das entspricht meinen Erfahrungen. Um über die politische Einstellung etwas zu sagen, muss man die Daten aber mit der Mehrheitsbevölkerung vergleichen.

Laut der Studie von 2009 sind sieben Prozent der türkischen Migranten demokratiefeindlich eingestellt – und sechs Prozent der Mehrheitsbevölkerung.

Genau, im Detail weicht das kaum voneinander ab. Ich habe in Österreich auch ein Drittel FPÖ-Wähler, also ein Drittel, das eine autoritäre Partei für wählbar hält.

Auch wenn „Integration“ ein schwammiger Begriff ist – was sind die wesentlichen Einflussgrößen darauf?

Im Wesentlichen geht es um Bildung, sozialen Aufstieg und Ökonomie: Welche Chancen hat man, sich einzubringen? Und: Wie viel hat man im Alltag mit Menschen aus anderen Teilen der Gesellschaft zu tun? In Österreich ist die Segregation im Bildungssystem ein großes Problem. So haben viele Migranten dann ab ihrem zehnten Lebensjahr kaum noch Alltagskontakt mit Mehrheitsösterreichern – das verhindert die Schule.

Welche Rolle hat die religiöse Einstellung? Die Studie von 2009 weist zum Beispiel aus, dass 57 Prozent der türkischen Migranten die Gesetze und Vorschriften der Religion wichtiger finden als jene des Staates?

Die Fragestellung ist relevant. Viele Muslime sehen da keinen Widerspruch. Für religiöse Menschen ist der Koran wichtiger als das Gesetzbuch. Aber wenn man konkret fragt, ob Homosexuelle und Ehebrecherinnen gesteinigt werden sollen, wird man natürlich weit weniger Zustimmung finden als bei so einer abstrakten Frage.

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