Die EU muss sich neu erfinden oder scheitern
Die Atmosphäre einer Elite-Universität beflügelt. Auch den österreichischen Außenminister. Die Rede, die Michael Spindelegger vor der London School of Economics gehalten hat, stellt endlich klar, wie sich der ÖVP-Chef die weitere Entwicklung
Europas vorstellt.
Und im KURIER-Interview präzisiert Spindelegger, wie Österreich die aktuelle Schuldenkrise bewältigen will. Man muss nicht in allen Punkten einer Meinung mit dem Vizekanzler sein, aber endlich hat auch ein österreichischer Spitzenpolitiker klargemacht, dass Europa in der derzeitigen Verfassung nicht überlebensfähig ist. Wenn weiter übermüdete Regierungschefs in unregelmäßigen Abständen knapp vor der Öffnung der Börsen in Asien lauwarme Kompromisse schließen, geht die Europäische Union kaputt.
"Die Welt wartet nicht auf Europa", hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in trocken-deutscher Manier festgestellt. Sie hat schon länger erkannt, dass die Schuldenkrise nicht auf Zuruf von ein paar Politikern gelöst werden kann. Dabei profitiert Frau Merkel von der derzeitigen Führungsschwäche in Europa. Letztlich hat sie bei den jüngsten Gipfeltreffen in Absprache mit Staatspräsident Sarkozy die wichtigen Entscheidungen getroffen. Dem Geist einer Gemeinschaft hat dies nicht entsprochen, demokratischen Gepflogenheiten schon gar nicht.
Welche Souveränität?
Vizekanzler
Spindelegger berichtet offenbar aus eigener Erfahrung, wenn er in seiner Rede kritisiert, dass in letzter Zeit eine sehr beschränkte Anzahl von Staaten für alle anderen entschieden hat.
Die Europäische Union braucht also schnell neue Verträge, wodurch die Europäische Kommission gestärkt wird. Diese soll bei den Mitgliedsstaaten eingreifen können, bevor das nächste Schuldendesaster droht. Der Grundgedanke, dass die Kommission direkt in das politische Geschehen der Staaten eingreift, ist ja nicht neu. Der Nationalrat muss regelmäßig Beschlüsse aus Brüssel nachvollziehen, sogar in der Gerichtsbarkeit steht Europa zum Teil über den Nationalstaaten.
Die Gefahr einer europäischen Verfassung, die deutlich mehr Macht zur Kommission nach Brüssel verlagert, liegt auf der Hand: Eine abgehobene Kaste von Beamten regiert unkontrolliert in den Alltag der Bürger hinein. Einmal abgesehen davon, dass es kaum noch nationale Politiker gibt, die als Volkshelden gefeiert werden, muss die Kommission künftig stärker kontrolliert werden, von einem mit mehr Macht ausgestatteten Europäischen Parlament.
Es wird nicht die Vereinigten Staaten von Europa geben, und das ist auch gut so. Aber es wird entweder eine Union mit Durchgriffsrechten in die nationalen Budgets geben - oder den Zerfall in Nationalstaaten, die jahrhundertelang miteinander Krieg geführt haben. Die Politik muss diese Alternativen erklären - und dann die Völker Europas entscheiden lassen. So schnell wie möglich.
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