Causa Kampusch wird neu aufgerollt

Das FBI steht Gewehr bei Fuß"; "Die Amerikaner brennen darauf, in Österreich diesen atypischen Entführungsfall zu evaluieren." Dies hatte der KURIER schon vor vielen Wochen erfahren und dann auch berichtet. Nun hat das FBI also seine Arbeit im Fall Kampusch offiziell aufgenommen, unterstützt werden die Cold Case Spezialisten von Experten des Deutschen Bundeskriminalamtes (BKA). Sieben Personen sollen ein übergeordnetes Gremium bilden, für die Überprüfung des Falles selbst werden 14 Personen abgestellt. Folgende zentrale Fragen und Aspekte rücken nun in den Fokus.
1.) Was dürfen FBI und BKA tun? Die ausländischen Experten dürfen keine klassischen Ermittlungen durchführen, somit auch keine Vernehmungen von Zeugen. Evaluieren heißt: Die Ermittlungen der österreichischen Behörden werden überprüft, anhand von Unterlagen, die den Spezialisten vornehmlich von den Ministerien zur Verfügung gestellt werden.
2.) War ein zweiter Täter beteiligt? Eine Tatzeugin hat insgesamt acht Mal glaubhaft angegeben, im März 1998 eindeutig zwei Männer im Entführungsfahrzeug gesehen zu haben. Bis heute bleibt sie bei dieser Version. Ein Freund von Entführer Priklopil wurde zudem von Ermittlern als hochgradig verdächtig eingestuft. Besonders brisant: Aufgrund von der Angaben von Natascha Kampusch in Befragungen durch die Justiz sei davon auszugehen, dass mehrere Täter beteiligt gewesen sein müssen – dies hat der ermittelnde Staatsanwalt Mühlbacher im September 2009 in einem internen Bericht festgehalten. Der KURIER verfügt über dieses Dokument.
3.) Der Verdächtige Ernst H. wurde am Tag von Nataschas Flucht von Entführer Priklopil kontaktiert. Die beiden fuhren stundenlang durch die Gegend, am Ende des Tages war Priklopil tot (er wurde von einem Zug erfasst). H. präsentierte unterschiedliche Versionen von den Vorgängen an diesem 23. August 2006. Er habe zunächst die Unwahrheit sagen müssen, denn sonst wäre er in Untersuchungshaft gekommen, hat der dem KURIER verraten. Die bemerkenswerten Vorgänge rund um Ernst H. wird wohl auch FBI und BKA interessieren.
4.) Die Rolle der Staatsanwälte Eine zentrale Frage in den Evaluierungen wird auch sein: Haben die verantwortlichen Staatsanwälte tatsächlich wesentliche Ermittlungserkenntnisse außer Acht gelassen, wie dies Mitglieder einer früheren Evaluierungskommission (darunter ehemalige Höchstrichter) sowie ein parlamentarischer Unterausschuss einstimmig konstatierten? Fest steht: Die Staatsanwaltschaft hat den Fall Kampusch zwei Mal (November 2006 und Jänner 2010) mit einem toten Einzeltäter zu den Akten gelegt. Trotz zahlreicher offener Fragen rund um mögliche Mittäter. Fest steht aber auch: Ein Verfahren wegen Amtsmissbrauchs gegen fünf Staatsanwälte, die stets jegliche Vorwürfe von sich gewiesen haben, wurde seitens der Staatsanwaltschaft Ende 2011 eingestellt.
5.) Problematische Zusammensetzung In beiden Evaluierungs-Gremien, die nun den Fall neu unter die Lupe nehmen sollen, sitzen auch hochrangige Mitglieder des Innen- und des Justizministeriums. Nicht unproblematisch: Die Staatsanwälte sind dem Justizministerium weisungsgebunden; das Justizministerium wiederum hat letztlich das Vorgehen der Staatsanwaltschaft im Fall Kampusch verteidigt und den Anklägern einen Persilschein ausgestellt. Sektionschef Pilnacek meinte nach dem Einstellen des Verfahrens gegen die Staatsanwäle, dass diese sich keines Fehlverhaltens schuldig gemacht hätten. Und weiter: "Es gibt nichts mehr zu ermitteln."
6.) Wie geht es weiter? Die Evaluierung soll bis Ende 2012 andauern. Das Innenministerium ließ verlauten, es gehe nun um eine "ordentliche und transparente Aufarbeitung des Falls." Sollten sich neue Verdachtsmomente ergeben, müssten diese von österreichischen Behörden neu geklärt werden. Das hieße dann: Der Fall Kampusch wird neu aufgerollt.
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