Zwischen Schutzbunker und Fußball-WM

Eine junge Frau mit dunklen Haaren lächelt in die Kamera.
Israelische und palästinensische Jugendliche über ihr Leben nach den Morden im Westjordanland.

Wenn die Sonne im palästinensischen Dorf Barta’a untergeht, befindet sich keine Menschenseele mehr auf den sonst belebten Straßen. Vor einigen Tagen sollen radikale Siedler ins Dorf gekommen sein und versucht haben, ein Kind zu entführen und die Moschee in Brand zu setzen, wird erzählt. Nun fürchten sich die Bewohner und lassen ihre Kinder nach 20 Uhr nicht mehr aus dem Haus.

Geteiltes Dorf

Ein Mann mit Bart und Mütze lächelt in die Kamera.
Junger Israeli
Barta’a liegt zur Hälfte in Israel und zur Hälfte im besetzten Gebiet des Westjordanlands. Die Bewohner spüren die explosiven Spannungen des Nahostkonflikts im täglichen Leben. Die 16-jährige Mais würde gerne mit ihren Freunden in der Dorfmitte plaudern, doch sie hat zu viel Angst. Wenn Mais in sozialen Netzwerken über die politische Situation diskutieren will, hört sie immer wieder den Satz "Tu das nicht, sonst geht es dir wie Abu Khdeir".

Mohammed Abu Khdeir, das ist jener 16-jährige palästinensische Jugendliche, der vergangene Woche im Westjordanland entführt und ermordet worden war. Die Tat wird einer jüdischen Terrorzelle zugeschrieben und dürfte ein Racheakt gewesen sein – für die Entführung der israelischen Religionsschüler Eyal Yifrah, Naftali Frenkel und Gilad Shaer. Ihre Leichen waren Anfang vergangener Woche unter Steinhaufen im Westjordanland gefunden worden.

Wieso Menschen Rachegefühle gegen unschuldige Menschen hegen, kann der 22-jährige israelische Soldat Noam nicht verstehen. Insbesondere Jugendliche hätten in der gewaltsamen Austragung politischer Konflikte nichts zu suchen, findet er. Persönlich in Gefahr fühlt sich Noam nicht, aber er fürchtet, dass die aufgeheizte Situation eskalieren und es zu einer Welle an Gewalttaten kommen könnte.

Kaum von dem Konflikt betroffen fühlt sich Ariel (22) in der israelischen Region Eshkol, obwohl er sich regelmäßig in Schutzbunkern vor Kassam-Raketen aus dem Gazastreifen verstecken muss. Der Kibbuz, in dem Ariel wohnt, ist nur einen Kilometer vom Gazastreifen entfernt, und Bombenalarm gehört hier zum Alltag. Jetzt, wo es von beiden Seiten Raketen hagelt (siehe oben), können die Bewohner ihre Bunker kaum mehr verlassen.

Dennoch sagt Ariel im Telefonat mit dem KURIER ganz gelassen: "Persönlich spüre ich die Gefahr gar nicht mehr.‘‘ Auf die Frage, was er denn von der politischen Situation halte, antwortet er: "Wir leben unser Leben, ohne uns viel mit der politischen Situation zu beschäftigen, denn täten wir das nicht, würden hier alle verrückt."

Der politischen Situation entkommen kann Majd (24) als palästinensischer Student in Jerusalem kaum. Seit die Leichen der drei israelischen Jugendlichen gefunden worden sind, sei es für einen Araber nicht mehr sicher, in Jerusalem auf der Straße zu spazieren, sagt Majd.

Für immer weggehen

Besonders leid tut es ihm um die Spiele der Fußball-WM, die er vor einer Woche noch regelmäßig im Stadtzentrum mit seinen Freunden verfolgt hat. Nun hütet er sich davor, allein das Haus zu verlassen, denn viele seiner Freunde seien in letzter Zeit von jüdischen Jugendgruppen auf der Straße verprügelt worden. Für die Zukunft des Nahen Osten sieht Majd schwarz. "Wenn ich eine Chance bekäme, die Region für immer zu verlassen, ich würde keine Sekunde zögern. Ich möchte nicht in einem Land leben, das auf dem Weg ist, wie früher Südafrika mit seinem Apartheidsregime zu werden."

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