Apathie in Europas letzter Diktatur

Schwer drückt die Hitze auf die Hauptstadt Minsk, seit Tagen verteilt das Rote Kreuz im Zentrum Wasser an die Passanten. Doch die Apathie hat nicht nur meteorologische Gründe. Am 11. Oktober wählt das Land einen neuen Präsidenten; dabei erscheint die Wiederwahl von Aleksander Lukaschenko, der seit 1994 autoritär regiert, erneut sicher. Der Unterschied zu den vorigen Wahlen: Von der Opposition ist kaum mit Protesten gegen "Europas letzten Diktator" zu rechnen. Umgekehrt fehlen diesmal aber auch die üblichen Druckmittel wie Inhaftierungen.
"Die Situation in der Ukraine hat der Opposition in Weißrussland nicht geholfen", meint auf Anfrage Aleksy Dzikawicki, leitender Redakteur vom Sender Belsat, der durch EU-Gelder finanziert wird. "Die weißrussische Bevölkerung ist nun eher geneigt, sich mit Lukaschenko abzufinden, um einen Bürgerkrieg zu vermeiden."
Noch im Dezember 2010 waren nach der Wahl Zehntausende auf die Straßen gegangen, die Staatsorgane reagierten mit Gewalt, auch Oppositionspolitiker wurden von der Polizei geschlagen. Lukaschenko erfuhr darauf internationale Ächtung. Doch dank der Ukraine-Krise konnte das weißrussische Staatsoberhaupt den Mittler geben und die Regierungschefs von Russland, der Ukraine, Deutschland und Frankreich nach Minsk einladen. Der Internationale Währungsfonds, der vor vier Jahren dem Land einen Kredit verweigerte, lobte erst jüngst die Strukturreformen des Landes.
Gleichzeitig positionierte sich der 60-Jährige als Kritiker Russlands und droht aus der im Jänner aktiven Eurasischen Handelsunion auszutreten. Wladimir Putin nannte er schon "einen schlimmeren Diktator" als er selbst.
Dabei ist Minsk auf Finanztransfers aus Moskau angewiesen. Der heimischen Wirtschaft geht es schlecht, das Bruttoinlandsprodukt ist in der ersten Jahreshälfte um drei Prozent gesunken.
Eine Kandidatin
Angesichts der angespannten Lage setzt die "Volksabstimmung", ein Zusammenschluss von vier Parteien und aussichtsreichster Oppositionsblock, dieses Jahr auf weniger Konfrontation, auf sozialpolitische Themen – sowie auf eine Frau. Die 38-jährige Tatsiana Karatkevich, Mitglied der weißrussischen Sozialdemokraten, ist die erste Präsidentschaftskandidatin des Landes. Als ausgebildete Psychologin scheint sie bei den Begegnungen mit den Wählern eher auf das Zuhören bedacht. Scharfe Kritik wie klare Aussagen meidet sie, was die regierungstreuen Medien bisher mit einer ausgewogenen Berichterstattung quittieren. Ihr Slogan "Für einen friedlichen Wandel" ist nachhaltig angelegt, dieses Jahr wird er kaum eintreten.
Zu schaffen machen ihr auf der Straße jedoch diejenigen, die sich dem Urnengang verweigern werden. Darunter sind die Anhänger von Mikalaj Statkewitsch, wie Karatkevich Mitglied der Sozialdemokraten, der als als einziger Oppositionspolitiker seit 2010 hinter Gittern sitzt. Sollte der charismatische Ex-Militär, der wie kein anderer Lukaschenko herausforderte, nicht demnächst freikommen, wollen seine Befürworter nicht näher erklärte Boykottmaßnahmen setzen.
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