Wahlkampf mit Paprika und scharf

Türkei: Die Kommunalwahlen für Präsident Erdoğan ein „Überlebenskampf“, den er mit martialischer Rhetorik führte

Diesem Wahlkampf fehlte es beileibe nicht an Paprika – in jeder Hinsicht. Weil die Lebensmittelpreise in der Türkei im Jahresvergleich um fast ein Drittel gestiegen sind, betätigte sich die Regierung unter Staatschef Recep Tayyip Erdoğan als Gemüsehändler und verhökerte Paradeiser, Erdäpfel, Zwiebel oder eben auch Paprika zu gestützten Preisen. Gleichsam veganes Werben um die Wähler bei den Kommunalwahlen morgen, Sonntag, die der „Sultan“ zur „Überlebensfrage“ für seine AKP hochstilisiert hat.

Tatsächlich ist der Urnengang der erste Stimmungstest für die Regierungspartei seit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Vorjahr. Und das in Zeiten der Krise: Die Wirtschaft, die zuvor mit teils zweistelligen Zuwachsraten glänzte, ist zuletzt in eine Rezession geschlittert. 4,3 Millionen Türken sind ohne Arbeit. Die allgemeine Inflation schnellte auf 20 Prozent hoch (Paprika verteuerte sich im Jahresschnitt sogar um 88 Prozent). Und die türkische Währung fiel ins Bodenlose, für einen Euro bekommt man schon 6,4 Lira.

Wahlkampf mit Paprika und scharf

Die türkische Lira stürzte ins Bodenlose, die Wirtschaft schrumpft,  viele Bürger können sich nicht einmal mehr Gemüse leisten.

„Lebensmittel-Terror“

Erdoğan machte die Schuldigen für die Misere schnell ausfindig und – wieder einmal – dunkle, ausländische Kräfte verantwortlich. Er sprach von miesen Spekulanten und „Lebensmittel-Terroristen“: „So wie der Staat die Terroristen in ihren Höhlen erledigt hat, werden wir auch jene erledigen, die Terror in den Großhandelsmärkten säen.“

Mit martialischer Rhetorik zum Erfolg – wie schon bei früheren Urnengängen? Erdoğan warf jedenfalls sein gesamtes politisches Gewicht für seine AKP-Kandidaten in die Waagschale, als ob es um eine Präsidentschaftswahl ginge. Bis zu fünf Auftritte pro Tag absolvierte er im ganzen Land. Wobei sich alle Augen auf Ankara und Istanbul richten. In der Hauptstadt droht der Verlust des Bürgermeisteramtes an den Kandidaten der CHP-Opposition. Erstmals nach 15 Jahren. In der Bosporus-Metropole, in der immerhin jeder fünfte Einwohner der Türkei lebt und Erdoğan einst Bürgermeister war, wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet.

Sollten Ankara und Istanbul kippen (die drittgrößte Stadt Izmir ist seit jeher eine Hochburg der linksnationalen, säkularen CHP), dürfte der „Sultan“ gehörig unter Druck geraten.

Dementsprechend traf seine Kampfrhetorik auch die politischen Mitbewerber. Den CHP-Kandidaten in der Hauptstadt nannte er einen „Steuerhinterzieher“ und „Schuldschein-Akrobaten“. Politikern der Kurden-Partei HDP wurde teilweise die Kandidatur untersagt, andere sitzen überhaupt im Gefängnis, darunter 40 Bürgermeister. Erdoğan warf der HDP ebenso wie der CHP und zwei weiteren Parteien Terror-Unterstützung vor und sprach von einer „Viererbande“.

Christchurch-Video

Und er spielte abermals die religiöse Karte. Dabei attackierte er neuerlich den Westen, dessen vermeintliche anti-muslimsche Haltung er ins Visier nahm. Nach dem Massaker in Christchurch, bei dem ein Neonazi 50 Muslime getötet hatte, schreckte er sogar davor nicht zurück, bei Wahlkampfauftritten Teile des Videos, das der Terrorist selbst aufgenommen hatte, zu zeigen – während der Rest der Welt darum bemüht war, das Gewaltvideo aus dem Internet zu entfernen.

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