Venezuela-Wahl in Zeiten der Krise

Bevor sie für ein Foto posiert, will Josefina Cruz noch schnell alles saubermachen. "Früher", sagt sie und schrubbt einen Kochtopf, "habe ich 150 Menüs pro Tag verkauft. Manchmal waren es auch mehr, 180 oder sogar 200." Wenn die Arbeiter aus den umliegenden Fabriken in ihr kleines Restaurant im Westen von Caracas kamen, lief das Geschäft richtig gut. Doch diese Zeiten sind vorbei. Das sozialistische System, einst von Hugo Chavez installiert, steckt in der Dauerkrise fest.
An diesem Sonntag könnte es zu Fall gebracht werden. Chavez’ Nachfolger, Präsident Nicolas Maduro, und seiner Regierungspartei droht eine Niederlage bei den Parlamentswahlen. Und wer den Alltag in Venezuela erlebt, weiß warum.
Vor Wochen, erzählt Josefina Cruz, habe sie sich in die lange Schlange vor einem staatlichen Supermarkt gestellt, um Grundnahrungsmittel einzukaufen: "Das mache ich nie wieder." Fünf Stunden dauerte es, bis sie von der Tiefgarage zum Eingang und über die langen Gänge vorbei an halb leeren Regalen bis zur Kasse gelangte. Dort sagte sie der Kassierin ihre Personalausweisnummer an, gab Fingerabdrücke ab und bezahlte. Das Geschäft verließ sie mit zwei Packungen Kaffee, zwei Litern Milch, zwei Kilo Maismehl und zwei Packungen Zucker. Mehr bekommt eine Person im sozialistisch regierten Venezuela pro Woche nicht – kontrolliert wird das über die biometrischen Daten.
Rekord-Inflation
Venezuela, das war lange Zeit Synonym für erfolgreiche Armutsbekämpfung und die gerechte Verteilung nationaler Güter. Mithilfe der Erdöleinnahmen wurden Sozialprojekte finanziert und Lebensmittel subventioniert. Doch seit Chavez 2013 den Kampf gegen den Krebs verlor, geht es auch mit dem südamerikanischen Staat bergab. Heute stellt Venezuela den traurigen Rekord, das Land mit der weltweit höchsten Inflationsrate zu sein: Der Internationale Währungsfonds schätzte sie für dieses Jahr auf 160 Prozent.
Maduro bekommt die wirtschaftlichen Probleme einfach nicht in den Griff. Er leugnet die Krise oder macht die venezolanische Opposition, private Unternehmen, kolumbianische Paramilitärs und die USA dafür verantwortlich. Dabei sind sich Experten einig, dass die Ursachen in den niedrigen Erdölpreisen, den hohen staatlichen Subventionen, Währungskontrollen, Misswirt-schaft und Korruption liegen. Vermutlich auch deshalb hat die Zentralbank für 2015 keine Zahlen vorgelegt.
Die Konsequenzen der Krise bekommen unterdessen Menschen wie Josefina Cruz zu spüren. Statt im Supermarkt muss sie jene Produkte, die in Venezuela schon seit Monaten Mangelware sind, bei den "Bachaqueros" am Schwarzmarkt einkaufen. Zwar kosten die Waren dort ein Vielfaches mehr, denn staatlich regulierte Produkte mit niedrigen Preisen werden teuer weiterverkauft. Doch die alleinerziehende Mutter von 16-jährigen Zwillingen hat keine Zeit, um sich jede Woche in der Schlange anzustellen.
Sie schimpft über die "Bachaqueros", doch verübeln kann Josefina ihnen die illegalen Geschäfte nicht. Denn der monatliche Mindestlohn wurde nun zwar auf 9648,18 Bolivares angehoben (laut offiziellem Wechselkurs wären das 1391 Euro, auf dem Schwarzmarkt hingegen nur 12 Euro), das reicht aber aufgrund der hohen Inflation bei Weitem nicht aus, um das zu kaufen, was man zum Leben braucht.
Immer weniger Gäste
Inzwischen ist die Inflation auch in Josefina Cruz’ kleinem Restaurant mit den acht Sitzplätzen angekommen: "Heute serviere ich gerade einmal zwanzig oder dreißig Teller pro Tag, mehr aber nie. Sie musste den Preis ihrer Menüs anheben, da auch die Waren jeden Tag teurer werden. Gleichzeitig kommen immer weniger Gäste, weil sich keiner mehr leisten kann, außer Haus zu essen.
Doch nicht nur das. Die Krise hat in Venezuela noch tief greifendere Folgen, wie der Ernährungsberater Héctor Cruces weiß. Er sitzt in seinem Büro nahe eines großen Einkaufszentrums und erzählt, dass auch ihm die Klienten ausbleiben. "Wer interessiert sich heute noch für gute Ernährung, wenn man sowieso nur das essen kann, was man gerade im Supermarkt bekommt?" fragt er. "Venezuela ist in den Ranglisten zu Übergewicht und Fettleibigkeit ganz vorne mit dabei", sagt Cruces. Das hänge auch damit zusammen, dass sich die Venezolaner hauptsächlich von Kohlenhydraten ernährten, weil diese die billigsten Nahrungsmittel seien: "Mehl, Brot, Reis und Pasta, das ist, was in diesem Land gegessen wird."
Auf dem Schwarzmarkt
Proteinquellen wie Huhn, Fleisch oder Fisch sind schwer zu bekommen und auf dem Schwarzmarkt teuer. Auch die Preise von Gemüse und Früchten steigen aufgrund der Inflation in schwindelerregende Höhen.
"Der Mindestlohn reicht nicht aus, um auch noch Gemüse zu kaufen", kritisiert der Experte: "Die Menschen versuchen satt zu werden, darum die Kohlenhydrate. Sie achten nicht mehr auf den Nährwert." Schon bald werde das Land die gesundheitlichen Konsequenzen dieser Mangelernährung zu spüren bekommen.
Josefina Cruz macht sich darüber keine Gedanken. Wie auch? Sie ist zu sehr damit beschäftigt, die notwendigen Lebensmittel für ihr Restaurant zu beschaffen. Auch sie bietet in ihren Menüs viel Reis, etwas Fleisch und wenig Gemüse an, muss Abstriche machen. Trotzdem sieht sie die Zukunft nicht negativ. Wichtig sei, über die Runden zu kommen: "Das haben wir bis jetzt ja auch irgendwie geschafft."
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