USA/Russland: Sanktionen in beide Richtungen
In der Krim-Krise haben die USA weitere Sanktionen gegen Russland beschlossen. Es würden Strafmaßnahmen gegen weitere russische Regierungsbeamte sowie eine Bank verhängt, sagte US-Präsident Barack Obama am Donnerstag in Washington. Zudem sei ab sofort der Weg für Sanktionen gegen ganze Wirtschaftszweige frei.
Die Reaktion aus dem Kreml folgte prompt: Es wurden Einreisesperren gegen US-Vertreter angekündigt. Dazu zählten neun Politiker wie der republikanische Senator John McCain und der Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, wie das Außenministerium in Moskau am Donnerstag mitteilte.
Drei ukrainische Kriegsschiffe gekapert
Unterdessen haben rund 20 Bewaffnete - offenbar Russen - am Donnerstag drei Schiffe der ukrainischen Marine auf der Krim gekapert. Sie hätten die in Sewastopol liegende Korvette "Ternopil" geentert, so ein ukrainischer Militärsprecher. Auch an einem Pier, an dem zwei weitere ukrainische Schiffe lagen, wehte die russische Flagge und die der russischen Marine - ein Zeichen, dass auch diese unter Kontrolle der Russen waren. Anscheinend hätten die Soldaten auch die ukrainische Flagge auf den Korvetten "Luzk" und "Chmelnitski" eingeholt, sagte der Militärsprecher. Der Sprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums auf der Halbinsel, Wladislaw Selesnjow, sagte der Agentur AFP, die Angreifer hätten Blendgranaten eingesetzt. Außerdem seien Salven aus Schnellfeuerwaffen zu hören gewesen.
Merkel verschärfte Ton
Vor dem EU-Gipfel verschärfte auch Kanzlerin Merkel den Ton gegenüber Moskau. Sie sieht Russland nicht mehr im Kreis der G8 und droht mit Wirtschaftssanktionen. "Solange das politische Umfeld für ein so wichtiges Format wie die G8 nicht gegeben ist, gibt es die G8 nicht mehr - weder den Gipfel noch die G8 als solches", sagte die CDU-Vorsitzende am Donnerstag im Bundestag in einer Regierungserklärung zum EU-Gipfel. Gleichzeitig drohte sie Russland mit Wirtschaftssanktionen, wenn sich die Lage weiter verschärft.
"Befreiung der Krim nie aufgeben"
Im Vorfeld hat die Ukraine ihren Anspruch auf die Halbinsel Krim bekräftigt. "Die Ukraine wird niemals den Kampf um die Befreiung der Krim aufgeben, so lang und schmerzhaft er auch sein mag", hieß es in einer am Donnerstag vom Parlament in Kiew verabschiedeten Resolution. Das ukrainische Volk werde die "Annexion der Krim niemals anerkennen".
Die Abgeordneten forderten auch die internationale Gemeinschaft auf, die "sogenannte Krim-Republik" nicht anzuerkennen. Die Bewohner der ukrainischen Halbinsel hatten sich am Sonntag in einem umstrittenen Referendum für eine Abspaltung von der Ukraine ausgesprochen. Der russische Staatschef Wladimir Putin unterzeichnete am Dienstag einen entsprechenden Aufnahmevertrag, den das Verfassungsgericht am Mittwoch einstimmig bestätigte. Bis zum Wochenende will der Kreml den Anschluss vollziehen. In einer Sondersitzung des Parlaments ratifizierten die Abgeordneten in Moskau zudem den Beitrittsvertrag.
Abzug des Militärs
Ebenfalls angekündigt wurde der Rückzug des ukrainischen Militärs auf das Festland. Die Maßnahme sei allerdings nur vorübergehend, sagte der Chef des nationalen Sicherheitsrates in Kiew. Bereits am Dienstag hatten prorussische Kräfte das Hauptquartier der ukrainischen Flotte in der Hafenstadt Sewastopol gestürmt. Der Sicherheitsrat der früheren Sowjetrepublik versetzte das eigene Militär in volle Kampfbereitschaft.
Die ukrainische Regierung hat die Vereinten Nationen aufgefordert, die von Russland besetzte Krim zur entmilitarisierten Zone zu erklären. Diese würde bedeuten, dass sowohl die russischen als auch die ukrainischen Soldaten die Halbinsel verlassen müssten, sagte der nationale Sicherheitschef Parubij vor Journalisten. So ließe sich die Lage am besten entspannen.
Das Treffen der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag wird vom Machtkampf mit Russland als Folge der illegalen Krim-Annexion und der Zukunft der krisengeschüttelten Ukraine gekennzeichnet sein.
Dabei dürften es die 28 Mitgliedsländer nicht leicht haben, eine gemeinsame Linie zu finden. Es gibt Regierungen, die sofort harte Strafen inklusive Wirtschaftssanktionen verlangen. Frankreichs Staatspräsident François Hollande und Großbritanniens David Cameron sind für effiziente politische Sanktionen, abwarten wollen sie aber noch, den Wirtschaftsbereich miteinzubeziehen. Cameron sieht den Finanzplatz London gefährdet, Hollande fürchtet um lukrative Handelsverträge mit dem Riesenreich im Osten.
Vorzug für Diplomatie
Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel ist wie Bundeskanzler Werner Faymann in der großen Gruppe der vorsichtigen Länder. Diese Staaten suchen eine Balance zwischen Strafmaßnahmen und der Ausnützung sämtlicher diplomatischer Kanäle. Man dürfe die Sanktionsleiter nicht mit Riesenschritten hochklettern, man muss ja auch wieder runterkommen, formulierte ein österreichischer Diplomat.
"Die Abstimmung über weitere Sanktionen läuft nicht mechanisch ab", erklärte vor Gipfelbeginn ein hochrangiger EU-Beamter. Die Maßnahmen seien mit den führenden Wirtschaftsmächten der G-7 und der USA, die die Strafen gegenüber Russland unbedingt ausweiten wollen, abzustimmen.
Dreistufiges Verfahren
Prinzipiell hat sich die EU auf ein dreistufiges Sanktionen-Regime geeinigt. Beschlossen wurde bereits eine Liste von Konten- und Visasperren für 21 Personen aus Russland und der Ukraine. Diese Liste dürfte beim EU-Gipfel gegenüber Russland ausgeweitet werden, das würde "Stufe 2 plus" bedeuten. Es könnte Personen aus dem Putin-Zirkel und Medienvertreter treffen.
Bisher habe die EU nur russische Abgeordnete der Duma und des Föderationsrates sowie Militärs sanktioniert. Die konkreten Namen werden die EU-Außenminister beschließen.
"Stufe 3" sei bisher noch nicht diskutiert worden, denn das käme einem Wirtschaftskrieg gleich.
Im Falle dieser höchsten Stufe müsste es zuvor eine Analyse über die Folgen geben. Bis Gipfelbeginn war nicht klar, ob die Staats- und Regierungschefs die EU-Kommission mit einer derartigen Studie beauftragen werden. Vorab lieferte der russische Staatspräsident und heimlicher Gast beim EU-Gipfel seine Einschätzung, die nicht falsch sein dürfte. "Stufe 3 würde die EU spalten."
Die Abhängigkeit der EU von russischem Öl, Gas und anderen Rohstoffen ist groß, noch immer gibt es keine gemeinsame Energiestrategie. Russland ist nach den USA und China der drittwichtigste Handelspartner der EU. 76 Prozent der russischen Exporte sind Gas und Öl.
Am Freitag werden die EU-Regierungschefs sowie der ukrainische Interimspremier Arseni Jazenjuk den politischen Teil des Assoziationsvertrages unterzeichnen.
Dieser Vertrag umfasst den Ausbau des Dialogs und eine enge institutionelle Zusammenarbeit. Freie Handelsbeziehungen sind darin noch nicht enthalten.
Abgeblitzt bei seinen Kollegen ist Erweiterungskommissar Štefan Füle mit seinem Angebot an die Ukraine, das Land rasch in die EU aufzunehmen. Das sei "nicht abgesprochen" und "viel zu früh", empörten sich etliche Staatenlenker. Auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz wies die Idee zurück. "Wir werden nicht jedes Problem an unseren Grenzen durch die nächste Erweiterungsrunde lösen."
Parallel zu den Sanktionen gegen Russland bzw. pro-russische Kräfte auf der Krim, die für das Anschluss-Referendum vergangenen Sonntag verantwortlich waren (siehe oben), arbeitet die EU an finanziellen Hilfen für die Ukraine. Das Land steht nach Angaben der Übergangsregierung kurz vor dem Bankrott. Die EU-Staaten wollen mit monetärer Unterstützung zur Stabilisierung beitragen.
"Auch wenn der Fokus in den letzten Tagen eindeutig auf der Sicherheit und den politischen Entwicklungen lag, sollten wir nicht vergessen, dass sich die wirtschaftliche Situation in der Ukraine in hohem Tempo verschlechtert hat", sagt Wirtschaftskommissar Olli Rehn. "Das ist im Alltag der Ukrainer spürbar, und wir müssen hier helfen. Ein stabiles wirtschaftliches Umfeld ist Voraussetzung für eine Stabilisierung der politischen Situation."
Eine "frische" Milliarde
Die EU-Kommission hat am Mittwoch das Hilfspaket für die Ukraine aufgestockt: Zusätzlich zu 610 Millionen Euro, die schon im Vorjahr genehmigt wurden, wurde nun eine "frische" Milliarde beschlossen. Dazu soll es Mittel vom Internationalen Währungsfonds (IWF) geben.
Ähnlich wie bei den Hilfen aus dem Euro-Rettungsschirm sollen die Gelder in Tranchen ausgeschüttet werden; die ersten 600 Millionen könnten fließen, sobald es eine Einigung mit dem IWF gibt. Und wie beim Rettungsschirm sind die Gelder an Reformen in der Ukraine gebunden: Es müssten, heißt es aus der Kommission, "Reformen, die auch von den Bürgern verlangt werden", mit dem IWF vereinbart werden.
Eine "Troika" für Kiew
Dabei gehe es vor allem um Stukturreformen. Eine Gruppe von Kommissionsbeamten soll demnächst zu Verhandlungen nach Kiew reisen. Zu den notwendigen Maßnahmen zählt aus Sicht der Kommission auch eine Anhebung der bisher äußerst niedrigen Energiepreise.
Diese Zahlungsbilanzhilfen, Teil eines elf Milliarden Euro schweren EU-Hilfspakets, sind nicht alles: Rehn geht davon aus, dass einzelne EU-Staaten zusätzliche bilaterale Finanzhilfen vereinbaren würden. Auch von einer Geberkonferenz für die Ukraine war zuletzt die Rede.
Kurzfristig helfen soll eine Zollerleichterung, die die EU gewähren will: Abgaben auf Exporte aus der Ukraine in die Union sollen drastisch gesenkt bzw. gestrichen werden – ein einseitiges Vorziehen der gegenseitigen Zoll-Senkungen, die das EU-Assoziierungsabkommen mittelfristig bringen soll.
Mitglieder der rechtsextremen ukrainischen Partei Swoboda ("Freiheit") haben den Chef eines staatlichen TV-Senders attackiert und zum Rücktritt gezwungen. Grund für die Aktion, die sie filmten und ins Internet stellten, war, dass der Sender die Unterzeichnung des Anschlussvertrags der Krim an Russland ausgestrahlt hatte, berichtete die "International Business Times" am Mittwoch auf ihrer Homepage.
Die Medienbeauftragte der OSZE, Dunja Mijatovic, zeigte sich am Mittwoch in einer Aussendung empört über den Vorfall. In einem Brief an den ukrainischen Interimspräsidenten Alexander Turtschinow sprach sie von einer "abscheulichen Aktion, die gegen alle Werte der Medienfreiheit" gerichtet sei und nicht toleriert werden könne.
"Moskauer Dreck"
Der Vorfall sei umso schwerwiegender, als einige der Angreifer - darunter drei Abgeordnete - nicht nur die Legislative der Ukraine vertreten würden sondern auch noch Mitglieder des Parlamentsausschusses für die Rede- und Informationsfreiheit seien, betonte Mijatovic.
Auf dem Video ist zu sehen, wie die Ultranationalisten den Präsidenten der Nationalen Fernsehgesellschaft der Ukraine, Aleksandr Pantelejmonow schlagen, weil er die Ausstrahlung der feierlichen Unterzeichnung des Annexionsvertrages durch Russlands Präsident Wladimir Putin und die pro-russischen Führer der Krim erlaubt habe. Pantelejmonow wurde beschuldigt, Putin zu dienen und "Moskauer Dreck" zu sein. Der Mob zwang ihn, eine Rücktrittserklärung zu unterschreiben.
Einer der in dem Video zu sehenden Angreifer ist der Ponyschwanz tragende Abgeordnete Igor Myroschnytschenko, der mit zwei weiteren Swoboda-Mitgliedern Pantelejmonow schubst, an der Krawatte zieht und ihn in einen Stuhl zwingt. Während der Maidan-Proteste war der Sender beschuldigt worden, einseitig zugunsten des inzwischen entmachteten Präsidenten Viktor Janukowitsch zu berichten.
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